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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
vom verlornen Schaf, Groschen 16) und Sohn, (Luc. 15,
3--32), von welchen Matthäus (18, 12 ff.) nur das erste,
aber in einem andern Zusammenhang, hat, der auch den Sinn
etwas anders, und zwar ohne Zweifel unrichtig, bestimmt.
Dass diese drei Parabeln unmittelbar hinter einander ge-
sprochen sein können, ist desswegen denkbar, weil die
zweite nur eine untergeordnete Variation der ersten, die
dritte aber weitere Ausführung und Erläuterung von bei-
den ist. Ob ebenso, nach der Behauptung der neuesten
Kritik, auch noch die zwei folgenden Gleichnisse mit den
vorhergehenden in Einen zusammenhängenden Vortrag ge-
hören 17), muss die nähere Betrachtung ihres auch an sich
bemerkenswerthen Inhalts zeigen.

Die nächstfolgende, als crux interpretum bekannte
Parabel vom ungerechten Haushalter (16, 1 ff.) 18) ist doch
in sich selber ohne alle Schwierigkeit. Liest man blos
bis zum Ende des Gleichnisses, die zunächst darangehäng-
te Moral V. 9. miteingeschlossen: so bringt man den ein-
fachen Sinn heraus, dass der Mensch, der, auch ohne ge-
rade bestimmt auf unrechtmässige Weise zu Geld und Gut
gelangt zu sein, doch Gott gegenüber immer ein doulos
akhreios (Luc. 17, 10) und in Anwendung der ihm von
Gott anvertrauten Gaben ein oikonomos tes adikias ist,
diese immer mitunterlaufende Untreue am besten durch
Nachsicht und Wohlthätigkeit gegen seine Mitmenschen
gut machen, und sich durch deren Vermittlung ein Pläz-
chen im Himmel verschaffen könne 19). Dass diese Wohl-
thätigkeit in der fingirten Geschichte ein Betrug ist, da-
von muss man, wie in den vorhin angeführten Parabeln

16) Eine entsprechende Vergleichung aus Schir R. bei Wetstein
S. 757.
17) Schleiermacher, a. a. O. S. 202 ff. Olshausen, S. 437. 668 ff.
18) Einen verwandten Ausspruch aus Kimchi s. bei Lightfoot,
S. 842.
19) Eine ähnliche rabbinische Sentenz s. bei Schöttgen, 1, S. 299.

Zweiter Abschnitt.
vom verlornen Schaf, Groschen 16) und Sohn, (Luc. 15,
3—32), von welchen Matthäus (18, 12 ff.) nur das erste,
aber in einem andern Zusammenhang, hat, der auch den Sinn
etwas anders, und zwar ohne Zweifel unrichtig, bestimmt.
Daſs diese drei Parabeln unmittelbar hinter einander ge-
sprochen sein können, ist deſswegen denkbar, weil die
zweite nur eine untergeordnete Variation der ersten, die
dritte aber weitere Ausführung und Erläuterung von bei-
den ist. Ob ebenso, nach der Behauptung der neuesten
Kritik, auch noch die zwei folgenden Gleichnisse mit den
vorhergehenden in Einen zusammenhängenden Vortrag ge-
hören 17), muſs die nähere Betrachtung ihres auch an sich
bemerkenswerthen Inhalts zeigen.

Die nächstfolgende, als crux interpretum bekannte
Parabel vom ungerechten Haushalter (16, 1 ff.) 18) ist doch
in sich selber ohne alle Schwierigkeit. Liest man blos
bis zum Ende des Gleichnisses, die zunächst darangehäng-
te Moral V. 9. miteingeschlossen: so bringt man den ein-
fachen Sinn heraus, daſs der Mensch, der, auch ohne ge-
rade bestimmt auf unrechtmäſsige Weise zu Geld und Gut
gelangt zu sein, doch Gott gegenüber immer ein δοῦλος
ἀχρεῖος (Luc. 17, 10) und in Anwendung der ihm von
Gott anvertrauten Gaben ein οἰκονόμος τῆς ἀδικίας ist,
diese immer mitunterlaufende Untreue am besten durch
Nachsicht und Wohlthätigkeit gegen seine Mitmenschen
gut machen, und sich durch deren Vermittlung ein Pläz-
chen im Himmel verschaffen könne 19). Daſs diese Wohl-
thätigkeit in der fingirten Geschichte ein Betrug ist, da-
von muſs man, wie in den vorhin angeführten Parabeln

16) Eine entsprechende Vergleichung aus Schir R. bei Wetstein
S. 757.
17) Schleiermacher, a. a. O. S. 202 ff. Olshausen, S. 437. 668 ff.
18) Einen verwandten Ausspruch aus Kimchi s. bei Lightfoot,
S. 842.
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[600/0624] Zweiter Abschnitt. vom verlornen Schaf, Groschen 16) und Sohn, (Luc. 15, 3—32), von welchen Matthäus (18, 12 ff.) nur das erste, aber in einem andern Zusammenhang, hat, der auch den Sinn etwas anders, und zwar ohne Zweifel unrichtig, bestimmt. Daſs diese drei Parabeln unmittelbar hinter einander ge- sprochen sein können, ist deſswegen denkbar, weil die zweite nur eine untergeordnete Variation der ersten, die dritte aber weitere Ausführung und Erläuterung von bei- den ist. Ob ebenso, nach der Behauptung der neuesten Kritik, auch noch die zwei folgenden Gleichnisse mit den vorhergehenden in Einen zusammenhängenden Vortrag ge- hören 17), muſs die nähere Betrachtung ihres auch an sich bemerkenswerthen Inhalts zeigen. Die nächstfolgende, als crux interpretum bekannte Parabel vom ungerechten Haushalter (16, 1 ff.) 18) ist doch in sich selber ohne alle Schwierigkeit. Liest man blos bis zum Ende des Gleichnisses, die zunächst darangehäng- te Moral V. 9. miteingeschlossen: so bringt man den ein- fachen Sinn heraus, daſs der Mensch, der, auch ohne ge- rade bestimmt auf unrechtmäſsige Weise zu Geld und Gut gelangt zu sein, doch Gott gegenüber immer ein δοῦλος ἀχρεῖος (Luc. 17, 10) und in Anwendung der ihm von Gott anvertrauten Gaben ein οἰκονόμος τῆς ἀδικίας ist, diese immer mitunterlaufende Untreue am besten durch Nachsicht und Wohlthätigkeit gegen seine Mitmenschen gut machen, und sich durch deren Vermittlung ein Pläz- chen im Himmel verschaffen könne 19). Daſs diese Wohl- thätigkeit in der fingirten Geschichte ein Betrug ist, da- von muſs man, wie in den vorhin angeführten Parabeln 16) Eine entsprechende Vergleichung aus Schir R. bei Wetstein S. 757. 17) Schleiermacher, a. a. O. S. 202 ff. Olshausen, S. 437. 668 ff. 18) Einen verwandten Ausspruch aus Kimchi s. bei Lightfoot, S. 842. 19) Eine ähnliche rabbinische Sentenz s. bei Schöttgen, 1, S. 299.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/624>, abgerufen am 24.11.2024.