Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Kapitel. §. 74.
Saat heran, er weiss nicht wie, von einer Entwicklungsstu-
fe zur andern. Endlich wenn sie reif ist, schickt er die
Sichel, weil die Zeit zur Ernte da ist. In dieser Parabel
fehlt, was bei Matthäus das Hauptmoment ausmacht, das
vom Feind ausgesäte Unkraut; da jedoch die übrigen Mo-
mente: Säen, Schlafen, Aufwachsen man weiss nicht wie,
Ernte, ganz dieselben sind, so fragt es sich, ob nicht Mar-
kus hier bloss eine ihm sonst woher bekannte andere Recension
derselben Gleichnissrede giebt, welche er der des Matthäus
vielleicht mit desswegen vorzog, weil sie in jener Gestalt
mehr vermittelnd zwischen die erste vom Säemann und die
dritte vom Senfkorn eintrat.

Auch Lukas hat von den 7 Parabeln Matth. 13. bloss
drei, die vom Säemann, vom Senfkorn und vom Sauerteig,
so dass also dem Matthäus die Gleichnisse vom vergrabe-
nen Schatz, von der Perle und vom Netze, wie auch die
vom Unkraut im Acker (in dieser Form) eigenthümlich blei-
ben. Das Gleichniss vom Säemann stellt Lukas etwas früher
(8, 4 ff.) und auch nicht in dieselbe Umgebung wie Mat-
thäus, hauptsächlich aber getrennt von den zwei weiteren
Parabeln, die er noch mit der Sammlung des Matthäus
gemein hat. Diese bringt er später, 13, 18--21, nach, ei-
ne Stellung, welche die neueren Kritiker einstimmig als
die richtige anerkennen 9). Allein dieses Urtheil gehört
zu dem Wunderlichsten, wozu sich die jetzige Kritik durch
ihre Parteilichkeit für den Lukas hat verleiten lassen.
Denn sehen wir den so sehr gerühmten Zusammenhang
an, so hat hier Jesus in einer Synagoge ein zusammenge-
bücktes Weib geheilt, hierauf den schwierigen Synagogen-
vorsteher durch das Argument vom Ochsen und Esel zum
Schweigen gebracht, und nun heisst es V. 17: kai tauta
legontos autouou kateskhunonto pantes oi antikeimenoi auto,

9) Schleiermacher, a. a. O. S. 192. Olshausen, 1, S. 438.
Schneckenburger, a. a. Q. S. 33.

Sechstes Kapitel. §. 74.
Saat heran, er weiſs nicht wie, von einer Entwicklungsstu-
fe zur andern. Endlich wenn sie reif ist, schickt er die
Sichel, weil die Zeit zur Ernte da ist. In dieser Parabel
fehlt, was bei Matthäus das Hauptmoment ausmacht, das
vom Feind ausgesäte Unkraut; da jedoch die übrigen Mo-
mente: Säen, Schlafen, Aufwachsen man weiſs nicht wie,
Ernte, ganz dieselben sind, so fragt es sich, ob nicht Mar-
kus hier bloſs eine ihm sonst woher bekannte andere Recension
derselben Gleichniſsrede giebt, welche er der des Matthäus
vielleicht mit deſswegen vorzog, weil sie in jener Gestalt
mehr vermittelnd zwischen die erste vom Säemann und die
dritte vom Senfkorn eintrat.

Auch Lukas hat von den 7 Parabeln Matth. 13. bloſs
drei, die vom Säemann, vom Senfkorn und vom Sauerteig,
so daſs also dem Matthäus die Gleichnisse vom vergrabe-
nen Schatz, von der Perle und vom Netze, wie auch die
vom Unkraut im Acker (in dieser Form) eigenthümlich blei-
ben. Das Gleichniſs vom Säemann stellt Lukas etwas früher
(8, 4 ff.) und auch nicht in dieselbe Umgebung wie Mat-
thäus, hauptsächlich aber getrennt von den zwei weiteren
Parabeln, die er noch mit der Sammlung des Matthäus
gemein hat. Diese bringt er später, 13, 18—21, nach, ei-
ne Stellung, welche die neueren Kritiker einstimmig als
die richtige anerkennen 9). Allein dieses Urtheil gehört
zu dem Wunderlichsten, wozu sich die jetzige Kritik durch
ihre Parteilichkeit für den Lukas hat verleiten lassen.
Denn sehen wir den so sehr gerühmten Zusammenhang
an, so hat hier Jesus in einer Synagoge ein zusammenge-
bücktes Weib geheilt, hierauf den schwierigen Synagogen-
vorsteher durch das Argument vom Ochsen und Esel zum
Schweigen gebracht, und nun heiſst es V. 17: καὶ ταῦτα
λέγοντος αυτοῦοῦ κατῃσχύνοντο πάντες οἱ ἀντικείμενοι αὐτῷ,

9) Schleiermacher, a. a. O. S. 192. Olshausen, 1, S. 438.
Schneckenburger, a. a. Q. S. 33.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0621" n="597"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Kapitel</hi>. §. 74.</fw><lb/>
Saat heran, er wei&#x017F;s nicht wie, von einer Entwicklungsstu-<lb/>
fe zur andern. Endlich wenn sie reif ist, schickt er die<lb/>
Sichel, weil die Zeit zur Ernte da ist. In dieser Parabel<lb/>
fehlt, was bei Matthäus das Hauptmoment ausmacht, das<lb/>
vom Feind ausgesäte Unkraut; da jedoch die übrigen Mo-<lb/>
mente: Säen, Schlafen, Aufwachsen man wei&#x017F;s nicht wie,<lb/>
Ernte, ganz dieselben sind, so fragt es sich, ob nicht Mar-<lb/>
kus hier blo&#x017F;s eine ihm sonst woher bekannte andere Recension<lb/>
derselben Gleichni&#x017F;srede giebt, welche er der des Matthäus<lb/>
vielleicht mit de&#x017F;swegen vorzog, weil sie in jener Gestalt<lb/>
mehr vermittelnd zwischen die erste vom Säemann und die<lb/>
dritte vom Senfkorn eintrat.</p><lb/>
            <p>Auch Lukas hat von den 7 Parabeln Matth. 13. blo&#x017F;s<lb/>
drei, die vom Säemann, vom Senfkorn und vom Sauerteig,<lb/>
so da&#x017F;s also dem Matthäus die Gleichnisse vom vergrabe-<lb/>
nen Schatz, von der Perle und vom Netze, wie auch die<lb/>
vom Unkraut im Acker (in dieser Form) eigenthümlich blei-<lb/>
ben. Das Gleichni&#x017F;s vom Säemann stellt Lukas etwas früher<lb/>
(8, 4 ff.) und auch nicht in dieselbe Umgebung wie Mat-<lb/>
thäus, hauptsächlich aber getrennt von den zwei weiteren<lb/>
Parabeln, die er noch mit der Sammlung des Matthäus<lb/>
gemein hat. Diese bringt er später, 13, 18&#x2014;21, nach, ei-<lb/>
ne Stellung, welche die neueren Kritiker einstimmig als<lb/>
die richtige anerkennen <note place="foot" n="9)"><hi rendition="#k">Schleiermacher</hi>, a. a. O. S. 192. <hi rendition="#k">Olshausen</hi>, 1, S. 438.<lb/><hi rendition="#k">Schneckenburger</hi>, a. a. Q. S. 33.</note>. Allein dieses Urtheil gehört<lb/>
zu dem Wunderlichsten, wozu sich die jetzige Kritik durch<lb/>
ihre Parteilichkeit für den Lukas hat verleiten lassen.<lb/>
Denn sehen wir den so sehr gerühmten Zusammenhang<lb/>
an, so hat hier Jesus in einer Synagoge ein zusammenge-<lb/>
bücktes Weib geheilt, hierauf den schwierigen Synagogen-<lb/>
vorsteher durch das Argument vom Ochsen und Esel zum<lb/>
Schweigen gebracht, und nun hei&#x017F;st es V. 17: <foreign xml:lang="ell">&#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03C4;&#x03B1;&#x1FE6;&#x03C4;&#x03B1;<lb/>
&#x03BB;&#x03AD;&#x03B3;&#x03BF;&#x03BD;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2; &#x03B1;&#x03C5;&#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6;&#x03BF;&#x1FE6; &#x03BA;&#x03B1;&#x03C4;&#x1FC3;&#x03C3;&#x03C7;&#x03CD;&#x03BD;&#x03BF;&#x03BD;&#x03C4;&#x03BF; &#x03C0;&#x03AC;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B5;&#x03C2; &#x03BF;&#x1F31; &#x1F00;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BA;&#x03B5;&#x03AF;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03B9; &#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x1FF7;</foreign>,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[597/0621] Sechstes Kapitel. §. 74. Saat heran, er weiſs nicht wie, von einer Entwicklungsstu- fe zur andern. Endlich wenn sie reif ist, schickt er die Sichel, weil die Zeit zur Ernte da ist. In dieser Parabel fehlt, was bei Matthäus das Hauptmoment ausmacht, das vom Feind ausgesäte Unkraut; da jedoch die übrigen Mo- mente: Säen, Schlafen, Aufwachsen man weiſs nicht wie, Ernte, ganz dieselben sind, so fragt es sich, ob nicht Mar- kus hier bloſs eine ihm sonst woher bekannte andere Recension derselben Gleichniſsrede giebt, welche er der des Matthäus vielleicht mit deſswegen vorzog, weil sie in jener Gestalt mehr vermittelnd zwischen die erste vom Säemann und die dritte vom Senfkorn eintrat. Auch Lukas hat von den 7 Parabeln Matth. 13. bloſs drei, die vom Säemann, vom Senfkorn und vom Sauerteig, so daſs also dem Matthäus die Gleichnisse vom vergrabe- nen Schatz, von der Perle und vom Netze, wie auch die vom Unkraut im Acker (in dieser Form) eigenthümlich blei- ben. Das Gleichniſs vom Säemann stellt Lukas etwas früher (8, 4 ff.) und auch nicht in dieselbe Umgebung wie Mat- thäus, hauptsächlich aber getrennt von den zwei weiteren Parabeln, die er noch mit der Sammlung des Matthäus gemein hat. Diese bringt er später, 13, 18—21, nach, ei- ne Stellung, welche die neueren Kritiker einstimmig als die richtige anerkennen 9). Allein dieses Urtheil gehört zu dem Wunderlichsten, wozu sich die jetzige Kritik durch ihre Parteilichkeit für den Lukas hat verleiten lassen. Denn sehen wir den so sehr gerühmten Zusammenhang an, so hat hier Jesus in einer Synagoge ein zusammenge- bücktes Weib geheilt, hierauf den schwierigen Synagogen- vorsteher durch das Argument vom Ochsen und Esel zum Schweigen gebracht, und nun heiſst es V. 17: καὶ ταῦτα λέγοντος αυτοῦοῦ κατῃσχύνοντο πάντες οἱ ἀντικείμενοι αὐτῷ, 9) Schleiermacher, a. a. O. S. 192. Olshausen, 1, S. 438. Schneckenburger, a. a. Q. S. 33.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/621
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/621>, abgerufen am 28.11.2024.