nächst von den Redemassen des Matthäus ausgehen, das ihnen Entsprechende bei den andern Evangelisten aufsu- chen, hierauf fragen, wer wohl diese Reden besser ge- stellt und dargestellt habe, und endlich darüber, wiefern sie wirklich als aus Jesu Munde gekommen zu betrachten seien, uns ein Urtheil zu bilden streben.
Die erste grössere Redemasse bei Matthäus ist die so- genannte Bergrede, K. 5 -- 7. Nachdem nämlich dieser Evangelist die Rückkehr Jesu von der Taufe nach Galiläa und die Berufung der beiden Fischerpaare erzählt hat, berichtet er, wie Jesus lehrend und heilend ganz Galiläa durchreist habe, und viel Volks aus allen Theilen Palä- stina's ihm nachgezogen sei; als er die Volksmenge gese- hen, sei er auf einen Berg gestiegen, und habe die be- zeichnete Rede gehalten (4, 23 ff.). Während man eine Parallele zu dieser Rede bei Markus vergeblich sucht, giebt dagegen Lukas, 6, 20 -- 49, einen Vortrag, der nicht nur denselben Anfang und Schluss, sondern auch in dem dazwischen liegenden Inhalt und Gedankengang die auf- fallendste Verwandtschaft mit jenem hat, wozu noch kommt, dass auch bei ihm wie bei Matthäus nach Beendigung des Vortrags Jesus nach Kapernaum geht, und den Knecht des Hauptmanns heilt. Freilich reiht er die Rede etwas später ein, indem er vor derselben manche Wanderungen und Heilungen Jesu erzählt, welche Matthäus nach der seinigen stellt; er lässt ferner, fast im Gegensaz gegen Matthäus, Jesum die Rede nicht anabanta eis to oros, sondern katabanta, epi topou pedinou, und nicht, wie bei Matthäus, kathisanta, sondern stehend halten; wozu end- lich noch diess kommt, dass die Rede bei Lukas dem Um- fang nach nur etwa ein Viertheil von der bei Matthäus beträgt, somit ein bedeutender Theil von dieser in jener fehlt, während übrigens doch auch die Rede bei Lukas einige eigenthümliche Elemente hat, welche in der des Matthäus vermisst werden.
Zweiter Abschnitt.
nächst von den Redemassen des Matthäus ausgehen, das ihnen Entsprechende bei den andern Evangelisten aufsu- chen, hierauf fragen, wer wohl diese Reden besser ge- stellt und dargestellt habe, und endlich darüber, wiefern sie wirklich als aus Jesu Munde gekommen zu betrachten seien, uns ein Urtheil zu bilden streben.
Die erste gröſsere Redemasse bei Matthäus ist die so- genannte Bergrede, K. 5 — 7. Nachdem nämlich dieser Evangelist die Rückkehr Jesu von der Taufe nach Galiläa und die Berufung der beiden Fischerpaare erzählt hat, berichtet er, wie Jesus lehrend und heilend ganz Galiläa durchreist habe, und viel Volks aus allen Theilen Palä- stina's ihm nachgezogen sei; als er die Volksmenge gese- hen, sei er auf einen Berg gestiegen, und habe die be- zeichnete Rede gehalten (4, 23 ff.). Während man eine Parallele zu dieser Rede bei Markus vergeblich sucht, giebt dagegen Lukas, 6, 20 — 49, einen Vortrag, der nicht nur denselben Anfang und Schluſs, sondern auch in dem dazwischen liegenden Inhalt und Gedankengang die auf- fallendste Verwandtschaft mit jenem hat, wozu noch kommt, daſs auch bei ihm wie bei Matthäus nach Beendigung des Vortrags Jesus nach Kapernaum geht, und den Knecht des Hauptmanns heilt. Freilich reiht er die Rede etwas später ein, indem er vor derselben manche Wanderungen und Heilungen Jesu erzählt, welche Matthäus nach der seinigen stellt; er läſst ferner, fast im Gegensaz gegen Matthäus, Jesum die Rede nicht ἀναβάντα εἰς τὸ ὄρος, sondern καταβάντα, ἐπὶ τόπου πεδινοῦ, und nicht, wie bei Matthäus, καϑίσαντα, sondern stehend halten; wozu end- lich noch dieſs kommt, daſs die Rede bei Lukas dem Um- fang nach nur etwa ein Viertheil von der bei Matthäus beträgt, somit ein bedeutender Theil von dieser in jener fehlt, während übrigens doch auch die Rede bei Lukas einige eigenthümliche Elemente hat, welche in der des Matthäus vermiſst werden.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0594"n="570"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
nächst von den Redemassen des Matthäus ausgehen, das<lb/>
ihnen Entsprechende bei den andern Evangelisten aufsu-<lb/>
chen, hierauf fragen, wer wohl diese Reden besser ge-<lb/>
stellt und dargestellt habe, und endlich darüber, wiefern<lb/>
sie wirklich als aus Jesu Munde gekommen zu betrachten<lb/>
seien, uns ein Urtheil zu bilden streben.</p><lb/><p>Die erste gröſsere Redemasse bei Matthäus ist die so-<lb/>
genannte Bergrede, K. 5 — 7. Nachdem nämlich dieser<lb/>
Evangelist die Rückkehr Jesu von der Taufe nach Galiläa<lb/>
und die Berufung der beiden Fischerpaare erzählt hat,<lb/>
berichtet er, wie Jesus lehrend und heilend ganz Galiläa<lb/>
durchreist habe, und viel Volks aus allen Theilen Palä-<lb/>
stina's ihm nachgezogen sei; als er die Volksmenge gese-<lb/>
hen, sei er auf einen Berg gestiegen, und habe die be-<lb/>
zeichnete Rede gehalten (4, 23 ff.). Während man eine<lb/>
Parallele zu dieser Rede bei Markus vergeblich sucht,<lb/>
giebt dagegen Lukas, 6, 20 — 49, einen Vortrag, der nicht<lb/>
nur denselben Anfang und Schluſs, sondern auch in dem<lb/>
dazwischen liegenden Inhalt und Gedankengang die auf-<lb/>
fallendste Verwandtschaft mit jenem hat, wozu noch kommt,<lb/>
daſs auch bei ihm wie bei Matthäus nach Beendigung des<lb/>
Vortrags Jesus nach Kapernaum geht, und den Knecht<lb/>
des Hauptmanns heilt. Freilich reiht er die Rede etwas<lb/>
später ein, indem er vor derselben manche Wanderungen<lb/>
und Heilungen Jesu erzählt, welche Matthäus nach der<lb/>
seinigen stellt; er läſst ferner, fast im Gegensaz gegen<lb/>
Matthäus, Jesum die Rede nicht <foreignxml:lang="ell">ἀναβάνταεἰςτὸὄρος</foreign>,<lb/>
sondern <foreignxml:lang="ell">καταβάντα, ἐπὶτόπουπεδινοῦ</foreign>, und nicht, wie bei<lb/>
Matthäus, καϑίσαντα, sondern stehend halten; wozu end-<lb/>
lich noch dieſs kommt, daſs die Rede bei Lukas dem Um-<lb/>
fang nach nur etwa ein Viertheil von der bei Matthäus<lb/>
beträgt, somit ein bedeutender Theil von dieser in jener<lb/>
fehlt, während übrigens doch auch die Rede bei Lukas<lb/>
einige eigenthümliche Elemente hat, welche in der des<lb/>
Matthäus vermiſst werden.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[570/0594]
Zweiter Abschnitt.
nächst von den Redemassen des Matthäus ausgehen, das
ihnen Entsprechende bei den andern Evangelisten aufsu-
chen, hierauf fragen, wer wohl diese Reden besser ge-
stellt und dargestellt habe, und endlich darüber, wiefern
sie wirklich als aus Jesu Munde gekommen zu betrachten
seien, uns ein Urtheil zu bilden streben.
Die erste gröſsere Redemasse bei Matthäus ist die so-
genannte Bergrede, K. 5 — 7. Nachdem nämlich dieser
Evangelist die Rückkehr Jesu von der Taufe nach Galiläa
und die Berufung der beiden Fischerpaare erzählt hat,
berichtet er, wie Jesus lehrend und heilend ganz Galiläa
durchreist habe, und viel Volks aus allen Theilen Palä-
stina's ihm nachgezogen sei; als er die Volksmenge gese-
hen, sei er auf einen Berg gestiegen, und habe die be-
zeichnete Rede gehalten (4, 23 ff.). Während man eine
Parallele zu dieser Rede bei Markus vergeblich sucht,
giebt dagegen Lukas, 6, 20 — 49, einen Vortrag, der nicht
nur denselben Anfang und Schluſs, sondern auch in dem
dazwischen liegenden Inhalt und Gedankengang die auf-
fallendste Verwandtschaft mit jenem hat, wozu noch kommt,
daſs auch bei ihm wie bei Matthäus nach Beendigung des
Vortrags Jesus nach Kapernaum geht, und den Knecht
des Hauptmanns heilt. Freilich reiht er die Rede etwas
später ein, indem er vor derselben manche Wanderungen
und Heilungen Jesu erzählt, welche Matthäus nach der
seinigen stellt; er läſst ferner, fast im Gegensaz gegen
Matthäus, Jesum die Rede nicht ἀναβάντα εἰς τὸ ὄρος,
sondern καταβάντα, ἐπὶ τόπου πεδινοῦ, und nicht, wie bei
Matthäus, καϑίσαντα, sondern stehend halten; wozu end-
lich noch dieſs kommt, daſs die Rede bei Lukas dem Um-
fang nach nur etwa ein Viertheil von der bei Matthäus
beträgt, somit ein bedeutender Theil von dieser in jener
fehlt, während übrigens doch auch die Rede bei Lukas
einige eigenthümliche Elemente hat, welche in der des
Matthäus vermiſst werden.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/594>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.