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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Fünftes Kapitel. §. 71.
ben, 72 Jünger Repräsentanten der 70 oder 72 Völker, wel-
che, mit eben so vielen Sprachen, nach jüdischer und alt-
christlicher Ansicht auf der Erde sich finden sollten 5), und
wiesen somit auf die universelle Bestimmung Jesu und sei-
nes Reiches hin 6). Doch auch für die jüdische Nation für
sich hatte jene Zahl als heilige Zahl Bedeutung: 70 Älte-
ste wählte sich Moses als Gehülfen (4 Mos. 11, 16. 25.);
70 Mitglieder hatte das Synedrium 7); ebenso viele grie-
chische Dolmetscher das A. T.

Hier fragt sich nun: hatte der in das Gedränge der
Umstände hineingestellte Jesus nichts Angelegeneres zu
thun, als alle möglichen bedeutsamen Zahlen zusammenzu-
suchen und sich nach Massgabe derselben mit verschiedenen
Jüngerkreisen zu umgeben? oder ist ein solches durchge-
führtes Halten an heiligen Zahlen, ein solches Fortspinnen
des einmal durch die Zahl der Apostel dazu gegebenen
Anfangs nicht vielmehr ganz im Geist der urchristlichen
Sage, welche, sofern wir sie jüdisch gefärbt uns denken,
den Schluss machte, wenn Jesus die 12 Stämme in der Zahl
seiner Apostel abgebildet habe, so werde er auch die 70
Ältesten durch eine entsprechende Anzahl von Jüngern
nachgebildet haben, oder sofern wir sie mehr paulinisch-uni-
versalistisch vorstellen, nicht umhin konnte, vorauszusetzen,
dass Jesus neben der durch die Zahl der Apostel angedeu-
teten Beziehung seiner Sache auf das israelitische Volk zu-
gleich durch die Auswahl von 70 Jüngern ihre weitere
Bestimmung für alle Völker der Erde vorgebildet habe?
Und so angenehm auch von jeher der Kirche die Klasse
der 70 Jünger gewesen ist, gleichsam als Versorgungsan-
stalt, um Männer unterzubringen, welche nicht zu den Zwöl-

5) Tuf haarez f. 19, c. 3; Recognit. Clement. 2, 42; Epiphan.
haer. 1, 5.
6) Schneckenburger, a. a. O.; Gieseler, über Entstehung der
schriftl. Evangelien, S. 127 f.
7) s. Lightfoot, p. 786.

Fünftes Kapitel. §. 71.
ben, 72 Jünger Repräsentanten der 70 oder 72 Völker, wel-
che, mit eben so vielen Sprachen, nach jüdischer und alt-
christlicher Ansicht auf der Erde sich finden sollten 5), und
wiesen somit auf die universelle Bestimmung Jesu und sei-
nes Reiches hin 6). Doch auch für die jüdische Nation für
sich hatte jene Zahl als heilige Zahl Bedeutung: 70 Älte-
ste wählte sich Moses als Gehülfen (4 Mos. 11, 16. 25.);
70 Mitglieder hatte das Synedrium 7); ebenso viele grie-
chische Dolmetscher das A. T.

Hier fragt sich nun: hatte der in das Gedränge der
Umstände hineingestellte Jesus nichts Angelegeneres zu
thun, als alle möglichen bedeutsamen Zahlen zusammenzu-
suchen und sich nach Maſsgabe derselben mit verschiedenen
Jüngerkreisen zu umgeben? oder ist ein solches durchge-
führtes Halten an heiligen Zahlen, ein solches Fortspinnen
des einmal durch die Zahl der Apostel dazu gegebenen
Anfangs nicht vielmehr ganz im Geist der urchristlichen
Sage, welche, sofern wir sie jüdisch gefärbt uns denken,
den Schluſs machte, wenn Jesus die 12 Stämme in der Zahl
seiner Apostel abgebildet habe, so werde er auch die 70
Ältesten durch eine entsprechende Anzahl von Jüngern
nachgebildet haben, oder sofern wir sie mehr paulinisch-uni-
versalistisch vorstellen, nicht umhin konnte, vorauszusetzen,
daſs Jesus neben der durch die Zahl der Apostel angedeu-
teten Beziehung seiner Sache auf das israëlitische Volk zu-
gleich durch die Auswahl von 70 Jüngern ihre weitere
Bestimmung für alle Völker der Erde vorgebildet habe?
Und so angenehm auch von jeher der Kirche die Klasse
der 70 Jünger gewesen ist, gleichsam als Versorgungsan-
stalt, um Männer unterzubringen, welche nicht zu den Zwöl-

5) Tuf haarez f. 19, c. 3; Recognit. Clement. 2, 42; Epiphan.
haer. 1, 5.
6) Schneckenburger, a. a. O.; Gieseler, über Entstehung der
schriftl. Evangelien, S. 127 f.
7) s. Lightfoot, p. 786.
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[567/0591] Fünftes Kapitel. §. 71. ben, 72 Jünger Repräsentanten der 70 oder 72 Völker, wel- che, mit eben so vielen Sprachen, nach jüdischer und alt- christlicher Ansicht auf der Erde sich finden sollten 5), und wiesen somit auf die universelle Bestimmung Jesu und sei- nes Reiches hin 6). Doch auch für die jüdische Nation für sich hatte jene Zahl als heilige Zahl Bedeutung: 70 Älte- ste wählte sich Moses als Gehülfen (4 Mos. 11, 16. 25.); 70 Mitglieder hatte das Synedrium 7); ebenso viele grie- chische Dolmetscher das A. T. Hier fragt sich nun: hatte der in das Gedränge der Umstände hineingestellte Jesus nichts Angelegeneres zu thun, als alle möglichen bedeutsamen Zahlen zusammenzu- suchen und sich nach Maſsgabe derselben mit verschiedenen Jüngerkreisen zu umgeben? oder ist ein solches durchge- führtes Halten an heiligen Zahlen, ein solches Fortspinnen des einmal durch die Zahl der Apostel dazu gegebenen Anfangs nicht vielmehr ganz im Geist der urchristlichen Sage, welche, sofern wir sie jüdisch gefärbt uns denken, den Schluſs machte, wenn Jesus die 12 Stämme in der Zahl seiner Apostel abgebildet habe, so werde er auch die 70 Ältesten durch eine entsprechende Anzahl von Jüngern nachgebildet haben, oder sofern wir sie mehr paulinisch-uni- versalistisch vorstellen, nicht umhin konnte, vorauszusetzen, daſs Jesus neben der durch die Zahl der Apostel angedeu- teten Beziehung seiner Sache auf das israëlitische Volk zu- gleich durch die Auswahl von 70 Jüngern ihre weitere Bestimmung für alle Völker der Erde vorgebildet habe? Und so angenehm auch von jeher der Kirche die Klasse der 70 Jünger gewesen ist, gleichsam als Versorgungsan- stalt, um Männer unterzubringen, welche nicht zu den Zwöl- 5) Tuf haarez f. 19, c. 3; Recognit. Clement. 2, 42; Epiphan. haer. 1, 5. 6) Schneckenburger, a. a. O.; Gieseler, über Entstehung der schriftl. Evangelien, S. 127 f. 7) s. Lightfoot, p. 786.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/591>, abgerufen am 25.11.2024.