habe dem Freunde, der ihm für diesen Tag ein Mahl be- reitet hatte, nach geendigtem Lehrgeschäft nur bemerk- lich machen wollen, dass er jezt bereit sei, mit ihm nach Hause und zur Tafel zu gehen 7). Allein die Mahlzeit erscheint, namentlich bei Lukas, nicht als Grund, sondern als Folge jener Abberufung; zur Mahlzeit ferner wird ein bescheidener Gast dem Wirth der ihn geladen nur durch ein akoloutheso soi, nicht durch ein akolouthei moi sich an- sagen; endlich wird ja bei dieser Auffassung die ganze Anekdote so bedeutungslos, dass sie besser weggeblieben wäre 8). Somit bleibt das Jähe und Gewaltsame dieser Scene, und wir müssen sagen: diess ist nicht der Gang des wirklichen Lebens, noch das Verfahren eines Mannes, der, wie Jesus, die Gesetze und Formen der Wirklichkeit achtet, sondern das Verfahren der Sage und Poesie ist es, welche Contraste und ergreifende Scenen liebt, welche den Austritt eines Mannes aus einem früheren Lebens- kreise und den Eintritt in einen neuen durch die Wendung zu veranschaulichen sucht, derselbe habe das Werkzeug seines bisherigen Treibens weggeworfen, seine Werkstätte verlassen, um ein neues Leben zu beginnen. Die ge- schichtliche Grundlage mag also sein, dass Jesus wirklich unter seinen Jüngern Zöllner hatte, und dass namentlich Matthäus vielleicht einer war. Diese Männer hatten dann allerdings die Zollbank verlassen, um Jesu nachzufolgen, doch nur im tropischen Sinne dieser Redensart, und nicht, wie die Sage es malte, im eigentlichen.
Auch das ist nun erstaunlich rasch und promt, dass der Zöllner alsbald ein grosses Mahl für Jesum in Bereit- schaft hat. Denn dass dieses Mahl erst an einem der fol- genden Tage veranstaltet worden sei 9), ist ganz gegen
7) Exeg. Handb. 1, b, S. 510. L. J. 1, a, 240.
8)Schleiermacher, über den Lukas, S. 79.
9)Gratz, Comm. z. Matth. 1, S. 470.
Zweiter Abschnitt.
habe dem Freunde, der ihm für diesen Tag ein Mahl be- reitet hatte, nach geendigtem Lehrgeschäft nur bemerk- lich machen wollen, daſs er jezt bereit sei, mit ihm nach Hause und zur Tafel zu gehen 7). Allein die Mahlzeit erscheint, namentlich bei Lukas, nicht als Grund, sondern als Folge jener Abberufung; zur Mahlzeit ferner wird ein bescheidener Gast dem Wirth der ihn geladen nur durch ein ἀκολουϑήσω σοι, nicht durch ein ἀκολούϑει μοι sich an- sagen; endlich wird ja bei dieser Auffassung die ganze Anekdote so bedeutungslos, daſs sie besser weggeblieben wäre 8). Somit bleibt das Jähe und Gewaltsame dieser Scene, und wir müssen sagen: dieſs ist nicht der Gang des wirklichen Lebens, noch das Verfahren eines Mannes, der, wie Jesus, die Gesetze und Formen der Wirklichkeit achtet, sondern das Verfahren der Sage und Poësie ist es, welche Contraste und ergreifende Scenen liebt, welche den Austritt eines Mannes aus einem früheren Lebens- kreise und den Eintritt in einen neuen durch die Wendung zu veranschaulichen sucht, derselbe habe das Werkzeug seines bisherigen Treibens weggeworfen, seine Werkstätte verlassen, um ein neues Leben zu beginnen. Die ge- schichtliche Grundlage mag also sein, daſs Jesus wirklich unter seinen Jüngern Zöllner hatte, und daſs namentlich Matthäus vielleicht einer war. Diese Männer hatten dann allerdings die Zollbank verlassen, um Jesu nachzufolgen, doch nur im tropischen Sinne dieser Redensart, und nicht, wie die Sage es malte, im eigentlichen.
Auch das ist nun erstaunlich rasch und promt, daſs der Zöllner alsbald ein groſses Mahl für Jesum in Bereit- schaft hat. Denn daſs dieses Mahl erst an einem der fol- genden Tage veranstaltet worden sei 9), ist ganz gegen
7) Exeg. Handb. 1, b, S. 510. L. J. 1, a, 240.
8)Schleiermacher, über den Lukas, S. 79.
9)Gratz, Comm. z. Matth. 1, S. 470.
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Zweiter Abschnitt.
habe dem Freunde, der ihm für diesen Tag ein Mahl be-
reitet hatte, nach geendigtem Lehrgeschäft nur bemerk-
lich machen wollen, daſs er jezt bereit sei, mit ihm nach
Hause und zur Tafel zu gehen 7). Allein die Mahlzeit
erscheint, namentlich bei Lukas, nicht als Grund, sondern
als Folge jener Abberufung; zur Mahlzeit ferner wird ein
bescheidener Gast dem Wirth der ihn geladen nur durch
ein ἀκολουϑήσω σοι, nicht durch ein ἀκολούϑει μοι sich an-
sagen; endlich wird ja bei dieser Auffassung die ganze
Anekdote so bedeutungslos, daſs sie besser weggeblieben
wäre 8). Somit bleibt das Jähe und Gewaltsame dieser
Scene, und wir müssen sagen: dieſs ist nicht der Gang
des wirklichen Lebens, noch das Verfahren eines Mannes,
der, wie Jesus, die Gesetze und Formen der Wirklichkeit
achtet, sondern das Verfahren der Sage und Poësie ist es,
welche Contraste und ergreifende Scenen liebt, welche
den Austritt eines Mannes aus einem früheren Lebens-
kreise und den Eintritt in einen neuen durch die Wendung
zu veranschaulichen sucht, derselbe habe das Werkzeug
seines bisherigen Treibens weggeworfen, seine Werkstätte
verlassen, um ein neues Leben zu beginnen. Die ge-
schichtliche Grundlage mag also sein, daſs Jesus wirklich
unter seinen Jüngern Zöllner hatte, und daſs namentlich
Matthäus vielleicht einer war. Diese Männer hatten dann
allerdings die Zollbank verlassen, um Jesu nachzufolgen,
doch nur im tropischen Sinne dieser Redensart, und nicht,
wie die Sage es malte, im eigentlichen.
Auch das ist nun erstaunlich rasch und promt, daſs
der Zöllner alsbald ein groſses Mahl für Jesum in Bereit-
schaft hat. Denn daſs dieses Mahl erst an einem der fol-
genden Tage veranstaltet worden sei 9), ist ganz gegen
7) Exeg. Handb. 1, b, S. 510. L. J. 1, a, 240.
8) Schleiermacher, über den Lukas, S. 79.
9) Gratz, Comm. z. Matth. 1, S. 470.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/568>, abgerufen am 16.02.2025.
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