Zauberhafte hineinzugerathen. Die Olshausen'sche Verglei- chung wenigstens, Jesus habe hier dasselbe gethan, was die göttliche Allmacht alljährlich mit den wandernden Fi- schen und Zugvögeln thue 5), hinkt nicht bloss, son- dern weicht ganz auseinander; denn der Unterschied, dass das Leztere eine göttliche Thätigkeit ist, welche mit der ganzen übrigen Naturwirksamkeit Gottes, mit dem Wech- sel der Jahreszeiten u. s. f. in engster Verbindung steht, das Erstere aber, auch Jesum als wirklichen Gott voraus- gesezt, eine aus allem Naturzsammenhang herausgerissene vereinzelte That wäre, hebt alle Vergleichbarkeit beider Er- scheinungen auf. -- Doch auch die Möglichkeit eines sol- chen Wunders vorausgesezt, wie denn auf supranaturali- stischen Standpunkt nichts an sich unmöglich ist: lässt sich denn auch nur ein scheinbarer Zweck denken, welcher Je- sum bewegen konnte, von seiner Wunderkraft einen so aben- teuerlichen Gebrauch zu machen? War es denn so viel werth, dass Petrus durch den Vorfall eine abergläubische und gar nicht neutestamentliche Furcht vor Jesu bekam? und liess sich nur auf diese der wahre Glaube pfropfen? oder glaub- te Jesus nur durch solche Zeichen sich Jünger werben zu können? wie wenig hätte er da auf die Macht des Geistes und der Wahrheit vertraut, wie viel zu gering den Petrus angeschlagen, der wenigstens später (Joh. 6, 68.) nicht durch die Mirakel, die er von Jesus sah, sondern durch die Remata zoes aioniou, die er von ihm hörte, in seiner Gesell- schaft festgehalten war.
Von diesen Schwierigkeiten gedrängt, kann man sich auf die andre Seite flüchten und als das Gelindere anneh- men, Jesus habe nur vermöge seines übermenschlichen Wis- sens die Kenntniss gehabt, dass an jenem Platze gerade ei- ne Menge von Fischen sich befinde, und diess dem Petrus mitgetheilt. Meint man diess so, Jesus habe mit einer
5) Bibl. Comm. 1, 283.
Fünftes Kapitel. §. 67.
Zauberhafte hineinzugerathen. Die Olshausen'sche Verglei- chung wenigstens, Jesus habe hier dasselbe gethan, was die göttliche Allmacht alljährlich mit den wandernden Fi- schen und Zugvögeln thue 5), hinkt nicht bloſs, son- dern weicht ganz auseinander; denn der Unterschied, daſs das Leztere eine göttliche Thätigkeit ist, welche mit der ganzen übrigen Naturwirksamkeit Gottes, mit dem Wech- sel der Jahreszeiten u. s. f. in engster Verbindung steht, das Erstere aber, auch Jesum als wirklichen Gott voraus- gesezt, eine aus allem Naturzsammenhang herausgerissene vereinzelte That wäre, hebt alle Vergleichbarkeit beider Er- scheinungen auf. — Doch auch die Möglichkeit eines sol- chen Wunders vorausgesezt, wie denn auf supranaturali- stischen Standpunkt nichts an sich unmöglich ist: läſst sich denn auch nur ein scheinbarer Zweck denken, welcher Je- sum bewegen konnte, von seiner Wunderkraft einen so aben- teuerlichen Gebrauch zu machen? War es denn so viel werth, daſs Petrus durch den Vorfall eine abergläubische und gar nicht neutestamentliche Furcht vor Jesu bekam? und lieſs sich nur auf diese der wahre Glaube pfropfen? oder glaub- te Jesus nur durch solche Zeichen sich Jünger werben zu können? wie wenig hätte er da auf die Macht des Geistes und der Wahrheit vertraut, wie viel zu gering den Petrus angeschlagen, der wenigstens später (Joh. 6, 68.) nicht durch die Mirakel, die er von Jesus sah, sondern durch die ῥήματα ζωῆς αἰωνίου, die er von ihm hörte, in seiner Gesell- schaft festgehalten war.
Von diesen Schwierigkeiten gedrängt, kann man sich auf die andre Seite flüchten und als das Gelindere anneh- men, Jesus habe nur vermöge seines übermenschlichen Wis- sens die Kenntniſs gehabt, daſs an jenem Platze gerade ei- ne Menge von Fischen sich befinde, und dieſs dem Petrus mitgetheilt. Meint man dieſs so, Jesus habe mit einer
5) Bibl. Comm. 1, 283.
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Fünftes Kapitel. §. 67.
Zauberhafte hineinzugerathen. Die Olshausen'sche Verglei-
chung wenigstens, Jesus habe hier dasselbe gethan, was
die göttliche Allmacht alljährlich mit den wandernden Fi-
schen und Zugvögeln thue 5), hinkt nicht bloſs, son-
dern weicht ganz auseinander; denn der Unterschied, daſs
das Leztere eine göttliche Thätigkeit ist, welche mit der
ganzen übrigen Naturwirksamkeit Gottes, mit dem Wech-
sel der Jahreszeiten u. s. f. in engster Verbindung steht,
das Erstere aber, auch Jesum als wirklichen Gott voraus-
gesezt, eine aus allem Naturzsammenhang herausgerissene
vereinzelte That wäre, hebt alle Vergleichbarkeit beider Er-
scheinungen auf. — Doch auch die Möglichkeit eines sol-
chen Wunders vorausgesezt, wie denn auf supranaturali-
stischen Standpunkt nichts an sich unmöglich ist: läſst sich
denn auch nur ein scheinbarer Zweck denken, welcher Je-
sum bewegen konnte, von seiner Wunderkraft einen so aben-
teuerlichen Gebrauch zu machen? War es denn so viel werth,
daſs Petrus durch den Vorfall eine abergläubische und gar
nicht neutestamentliche Furcht vor Jesu bekam? und lieſs
sich nur auf diese der wahre Glaube pfropfen? oder glaub-
te Jesus nur durch solche Zeichen sich Jünger werben zu
können? wie wenig hätte er da auf die Macht des Geistes
und der Wahrheit vertraut, wie viel zu gering den Petrus
angeschlagen, der wenigstens später (Joh. 6, 68.) nicht
durch die Mirakel, die er von Jesus sah, sondern durch die
ῥήματα ζωῆς αἰωνίου, die er von ihm hörte, in seiner Gesell-
schaft festgehalten war.
Von diesen Schwierigkeiten gedrängt, kann man sich
auf die andre Seite flüchten und als das Gelindere anneh-
men, Jesus habe nur vermöge seines übermenschlichen Wis-
sens die Kenntniſs gehabt, daſs an jenem Platze gerade ei-
ne Menge von Fischen sich befinde, und dieſs dem Petrus
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5) Bibl. Comm. 1, 283.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/559>, abgerufen am 17.07.2024.
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