bedeuten soll, müsste er später um soviel härter und be- schränkter geworden sein. Indess diese einzelne Wohlthat, welche Jesus einem Heiden erzeigte, wenn sie gleich mit der obigen Erzählung, laut welcher er eine eben solche verweigert, in einem ungelösten Widerspruche steht, so beweist sie doch immer noch nicht, dass er Heiden auch in sein messianisches Reich zuzulassen gedachte; so wie, dass er bei dieser und andern Gelegenheiten dem israeliti- schen Volke drohte, es werde wegen seiner Unempfäng- lichkeit von jenem Reiche ausgeschlossen und andere Völ- ker statt seiner zugelassen werden, auch so verstanden werden kann, wie auch die Propheten ihre Verheissungen von der Ausdehnung des Messiasreichs auf alle Völker im- mer nur gemeint hatten, dass die Heiden einst sich zum Jehovadienst kehren, die mosaische Religion in ihrem gan- zen Umfang annehmen, und in Folge dessen auch in das Messiasreich zugelassen werden werden; womit es sich sehr gut verträgt, dass, ehe diese Umwendung von Seiten der Heiden geschehen wäre, Jesus seinen Jüngern die Hinwendung zu ihnen verbot.
Doch die Synoptiker berichten, nach seiner Auferste- hung habe Jesus den Jüngern die Anweisung gegeben: poreuthentes matheteusate panta ta ethne, bapt[i]zontes autous k. t. l., d. h. doch wohl, sie sollen ihnen, auch ohne dass sie zuvor Juden geworden wären, mit der An- erbietung des messianischen Reichs entgegenkommen (Matth. 28, 19. Marc. 16, 15. Luc. 24, 47). Allein nicht nur bege- ben sich die Jünger nach dem ersten Pfingstfest keines- wegs sofort an die Ausführung dieses Befehls, sondern als ein Fall sich aufdringt, in welchem sie demselben nach- kommen sollten, benehmen sie sich ganz, als ob sie von einer solchen Anweisung Jesu gar nichts wüssten (A. G. 10 und 11). Der heidnische Hauptmann Cornelius, durch seinen gottseligen Wandel der Aufnahme in die messiani- sche Gemeinde würdig, wird von Gott durch einen Engel
Viertes Kapitel. §. 64.
bedeuten soll, müſste er später um soviel härter und be- schränkter geworden sein. Indeſs diese einzelne Wohlthat, welche Jesus einem Heiden erzeigte, wenn sie gleich mit der obigen Erzählung, laut welcher er eine eben solche verweigert, in einem ungelösten Widerspruche steht, so beweist sie doch immer noch nicht, daſs er Heiden auch in sein messianisches Reich zuzulassen gedachte; so wie, daſs er bei dieser und andern Gelegenheiten dem israëliti- schen Volke drohte, es werde wegen seiner Unempfäng- lichkeit von jenem Reiche ausgeschlossen und andere Völ- ker statt seiner zugelassen werden, auch so verstanden werden kann, wie auch die Propheten ihre Verheissungen von der Ausdehnung des Messiasreichs auf alle Völker im- mer nur gemeint hatten, daſs die Heiden einst sich zum Jehovadienst kehren, die mosaische Religion in ihrem gan- zen Umfang annehmen, und in Folge dessen auch in das Messiasreich zugelassen werden werden; womit es sich sehr gut verträgt, daſs, ehe diese Umwendung von Seiten der Heiden geschehen wäre, Jesus seinen Jüngern die Hinwendung zu ihnen verbot.
Doch die Synoptiker berichten, nach seiner Auferste- hung habe Jesus den Jüngern die Anweisung gegeben: πορευϑέντες μαϑητεύσατε πάντα τὰ ἔϑνη, βαπτ[ί]ζοντες αὐτοὺς κ. τ. λ., d. h. doch wohl, sie sollen ihnen, auch ohne daſs sie zuvor Juden geworden wären, mit der An- erbietung des messianischen Reichs entgegenkommen (Matth. 28, 19. Marc. 16, 15. Luc. 24, 47). Allein nicht nur bege- ben sich die Jünger nach dem ersten Pfingstfest keines- wegs sofort an die Ausführung dieses Befehls, sondern als ein Fall sich aufdringt, in welchem sie demselben nach- kommen sollten, benehmen sie sich ganz, als ob sie von einer solchen Anweisung Jesu gar nichts wüssten (A. G. 10 und 11). Der heidnische Hauptmann Cornelius, durch seinen gottseligen Wandel der Aufnahme in die messiani- sche Gemeinde würdig, wird von Gott durch einen Engel
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Viertes Kapitel. §. 64.
bedeuten soll, müſste er später um soviel härter und be-
schränkter geworden sein. Indeſs diese einzelne Wohlthat,
welche Jesus einem Heiden erzeigte, wenn sie gleich mit
der obigen Erzählung, laut welcher er eine eben solche
verweigert, in einem ungelösten Widerspruche steht,
so beweist sie doch immer noch nicht, daſs er Heiden auch
in sein messianisches Reich zuzulassen gedachte; so wie,
daſs er bei dieser und andern Gelegenheiten dem israëliti-
schen Volke drohte, es werde wegen seiner Unempfäng-
lichkeit von jenem Reiche ausgeschlossen und andere Völ-
ker statt seiner zugelassen werden, auch so verstanden
werden kann, wie auch die Propheten ihre Verheissungen
von der Ausdehnung des Messiasreichs auf alle Völker im-
mer nur gemeint hatten, daſs die Heiden einst sich zum
Jehovadienst kehren, die mosaische Religion in ihrem gan-
zen Umfang annehmen, und in Folge dessen auch in das
Messiasreich zugelassen werden werden; womit es sich
sehr gut verträgt, daſs, ehe diese Umwendung von Seiten
der Heiden geschehen wäre, Jesus seinen Jüngern die
Hinwendung zu ihnen verbot.
Doch die Synoptiker berichten, nach seiner Auferste-
hung habe Jesus den Jüngern die Anweisung gegeben:
πορευϑέντες μαϑητεύσατε πάντα τὰ ἔϑνη, βαπτίζοντες
αὐτοὺς κ. τ. λ., d. h. doch wohl, sie sollen ihnen, auch
ohne daſs sie zuvor Juden geworden wären, mit der An-
erbietung des messianischen Reichs entgegenkommen (Matth.
28, 19. Marc. 16, 15. Luc. 24, 47). Allein nicht nur bege-
ben sich die Jünger nach dem ersten Pfingstfest keines-
wegs sofort an die Ausführung dieses Befehls, sondern
als ein Fall sich aufdringt, in welchem sie demselben nach-
kommen sollten, benehmen sie sich ganz, als ob sie von
einer solchen Anweisung Jesu gar nichts wüssten (A. G.
10 und 11). Der heidnische Hauptmann Cornelius, durch
seinen gottseligen Wandel der Aufnahme in die messiani-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/529>, abgerufen am 25.11.2024.
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