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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
welche er austrieb, nicht reden lassen, oti edeisan auton,
und wenn er nach Marc. 3, 12. den Dämonen und nach
Matth. 12, 16. den geheilten Kranken einschärft, ina me
phaneron auton poiesosin: so sollten offenbar jene ihn nicht
als denjenigen bekannt machen, als welchen sie ihn ver-
möge ihres tieferen dämonischen Blickes, diese nicht als
denjenigen, als welchen sie ihn aus der ihnen zu Theil
gewordenen wundervollen Heilung kannten, nämlich als
den Messias. Warum er diess nicht wollte, davon hat
man den Grund gewöhnlich unter Beiziehung von Joh. 6,
15. darin gesucht, dass er eine Aufregung der politischen
Messiasidee der Menge und daraus entspringende Unruhen
habe verhüten wollen 7). Diess wäre ein triftiger Grund;
doch stellen die Synoptiker die Sache eher so, als wäre
es theils Werk der Demuth gewesen 8), wie denn Matthäus
(12, 19.) im Zusammenhang eines solchen Verbots das je-
saianische Orakel vom geräuschlos wirkenden Knecht Got-
tes (Jes. 42, 1 f.) auf Jesum anwendet; theils, und zwar
überwiegend, hat es das Ansehen, als hätte sich Jesus bei
seiner Messianität fürchten müssen, als wäre der Messias,
wenigstens ein solcher, wie Jesus war, schon zum Voraus
durch die jüdische Hierarchie in die Acht erklärt gewesen.

Wenn es nach allem diesem scheinen könnte, als
hätte Jesus nur äusserer Rücksichten wegen mit einer of-
fenen Erklärung noch zurückgehalten, während er für
sich von seiner Messianität von Anfang an überzeugt ge-
wesen sei: so kann doch das Leztere schon nach demjeni-
gen nicht wohl angenommen werden, was wir oben ge-
sehen haben, dass Jesus im Anfang ganz nur mit dersel-
ben Verkündigung wie der Täufer, welche bei ihm schwer-

7) Fritzsche, p. 352. Olshausen, a. a. O.
8) Dem steht die Ansicht des Fragmentisten gerade entgegen,
welcher jenem Verbote durchaus die Absicht unterlegt, die
Leute nur desto begieriger zu machen. Vom Zweck Jesu
und s. Jünger, S. 141 f.

Zweiter Abschnitt.
welche er austrieb, nicht reden lassen, ὅτι ᾔδεισαν αὐτὸν,
und wenn er nach Marc. 3, 12. den Dämonen und nach
Matth. 12, 16. den geheilten Kranken einschärft, ἴνα μὴ
φανερον αὐτὸν ποιήσωσιν: so sollten offenbar jene ihn nicht
als denjenigen bekannt machen, als welchen sie ihn ver-
möge ihres tieferen dämonischen Blickes, diese nicht als
denjenigen, als welchen sie ihn aus der ihnen zu Theil
gewordenen wundervollen Heilung kannten, nämlich als
den Messias. Warum er dieſs nicht wollte, davon hat
man den Grund gewöhnlich unter Beiziehung von Joh. 6,
15. darin gesucht, daſs er eine Aufregung der politischen
Messiasidee der Menge und daraus entspringende Unruhen
habe verhüten wollen 7). Dieſs wäre ein triftiger Grund;
doch stellen die Synoptiker die Sache eher so, als wäre
es theils Werk der Demuth gewesen 8), wie denn Matthäus
(12, 19.) im Zusammenhang eines solchen Verbots das je-
saianische Orakel vom geräuschlos wirkenden Knecht Got-
tes (Jes. 42, 1 f.) auf Jesum anwendet; theils, und zwar
überwiegend, hat es das Ansehen, als hätte sich Jesus bei
seiner Messianität fürchten müssen, als wäre der Messias,
wenigstens ein solcher, wie Jesus war, schon zum Voraus
durch die jüdische Hierarchie in die Acht erklärt gewesen.

Wenn es nach allem diesem scheinen könnte, als
hätte Jesus nur äusserer Rücksichten wegen mit einer of-
fenen Erklärung noch zurückgehalten, während er für
sich von seiner Messianität von Anfang an überzeugt ge-
wesen sei: so kann doch das Leztere schon nach demjeni-
gen nicht wohl angenommen werden, was wir oben ge-
sehen haben, daſs Jesus im Anfang ganz nur mit dersel-
ben Verkündigung wie der Täufer, welche bei ihm schwer-

7) Fritzsche, p. 352. Olshausen, a. a. O.
8) Dem steht die Ansicht des Fragmentisten gerade entgegen,
welcher jenem Verbote durchaus die Absicht unterlegt, die
Leute nur desto begieriger zu machen. Vom Zweck Jesu
und s. Jünger, S. 141 f.
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[476/0500] Zweiter Abschnitt. welche er austrieb, nicht reden lassen, ὅτι ᾔδεισαν αὐτὸν, und wenn er nach Marc. 3, 12. den Dämonen und nach Matth. 12, 16. den geheilten Kranken einschärft, ἴνα μὴ φανερον αὐτὸν ποιήσωσιν: so sollten offenbar jene ihn nicht als denjenigen bekannt machen, als welchen sie ihn ver- möge ihres tieferen dämonischen Blickes, diese nicht als denjenigen, als welchen sie ihn aus der ihnen zu Theil gewordenen wundervollen Heilung kannten, nämlich als den Messias. Warum er dieſs nicht wollte, davon hat man den Grund gewöhnlich unter Beiziehung von Joh. 6, 15. darin gesucht, daſs er eine Aufregung der politischen Messiasidee der Menge und daraus entspringende Unruhen habe verhüten wollen 7). Dieſs wäre ein triftiger Grund; doch stellen die Synoptiker die Sache eher so, als wäre es theils Werk der Demuth gewesen 8), wie denn Matthäus (12, 19.) im Zusammenhang eines solchen Verbots das je- saianische Orakel vom geräuschlos wirkenden Knecht Got- tes (Jes. 42, 1 f.) auf Jesum anwendet; theils, und zwar überwiegend, hat es das Ansehen, als hätte sich Jesus bei seiner Messianität fürchten müssen, als wäre der Messias, wenigstens ein solcher, wie Jesus war, schon zum Voraus durch die jüdische Hierarchie in die Acht erklärt gewesen. Wenn es nach allem diesem scheinen könnte, als hätte Jesus nur äusserer Rücksichten wegen mit einer of- fenen Erklärung noch zurückgehalten, während er für sich von seiner Messianität von Anfang an überzeugt ge- wesen sei: so kann doch das Leztere schon nach demjeni- gen nicht wohl angenommen werden, was wir oben ge- sehen haben, daſs Jesus im Anfang ganz nur mit dersel- ben Verkündigung wie der Täufer, welche bei ihm schwer- 7) Fritzsche, p. 352. Olshausen, a. a. O. 8) Dem steht die Ansicht des Fragmentisten gerade entgegen, welcher jenem Verbote durchaus die Absicht unterlegt, die Leute nur desto begieriger zu machen. Vom Zweck Jesu und s. Jünger, S. 141 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/500>, abgerufen am 22.11.2024.