Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. genommenen Voraussetzung, dass der Galiläer Jesus allePaschafeste habe besuchen müssen, eine Annahme, welche übrigens durch das Datum desselben Johannes, dass Jesus das Paschafest 6, 4. unbesucht gelassen, widerlegt wird. Denn hier ist nicht etwa eine von Jesus wirklich gemachte Reise vom Referenten verschwiegen, sondern von 6, 1. an, wo Jesus auf der Ostseite des Sees Tiberias ist, durch 6, 17 und 59, wo er nach Kapernaum geht, und 7, 1, wo er, um Judäa zu vermeiden, in Galiläa wandelt, bis 7, 2 und 10, wo er zur Skenopegie nach Jerusalem reist, hängt die Darstellung des Evangelisten so genau zusammen, dass nirgends eine Paschareise eingeschoben werden kann. Aus den Synoptikern für sich wissen wir gar nicht, wie lange Jesus öffentlich gewirkt hat, und er könnte nach ihnen ebensogut mehrere Jahre als blos Eines thätig gewesen, nur aber im lezten erst zum Paschafest gereist sein. Frei- lich sprachen schon einige der ältesten Häretiker 10) und Kirchenväter 11) von einer blos einjährigen Wirksamkeit Jesu: allein, dass nicht das Fehlen der früheren Fest- reisen Jesu bei den Synoptikern, sondern etwas ganz Zufälliges die Quelle dieser Ansicht war, geben jene Väter selbst zu verstehen, indem sie sich für dieselbe auf die auch von Jesus Luc. 4. auf sich bezogene Propheten- stelle Jes. 61, 1 f. berufen, wo von einem eniautos Kuriou dekt[o]s die Rede ist, welchen der Prophet, oder nach der evangelischen Deutung der Messias, zu verkündigen gesen- det sei. Indem sie diesen Ausdruck im strengen, chrono- logischen Sinne verstanden, kamen sie auf ihre Annahme nur Eines Messiasjahrs, welche sie denn freilich mit den Synoptikern leichter vereinigen konnten, als mit Johannes, 10) Iren. adv. haer. 1, 1, 5. 2, 35. 38. (ed. Grabe), von den Va- lentinianern. Clem. hom. 17, 19. 11) Clem. Alex. Stromat. 1, p. 174, Würzb. Ausg., 340 Sylburg;
Orig. de principp. 4, 5, vrgl. homil. in Luc. 32. Zweiter Abschnitt. genommenen Voraussetzung, daſs der Galiläer Jesus allePaschafeste habe besuchen müssen, eine Annahme, welche übrigens durch das Datum desselben Johannes, daſs Jesus das Paschafest 6, 4. unbesucht gelassen, widerlegt wird. Denn hier ist nicht etwa eine von Jesus wirklich gemachte Reise vom Referenten verschwiegen, sondern von 6, 1. an, wo Jesus auf der Ostseite des Sees Tiberias ist, durch 6, 17 und 59, wo er nach Kapernaum geht, und 7, 1, wo er, um Judäa zu vermeiden, in Galiläa wandelt, bis 7, 2 und 10, wo er zur Skenopegie nach Jerusalem reist, hängt die Darstellung des Evangelisten so genau zusammen, daſs nirgends eine Paschareise eingeschoben werden kann. Aus den Synoptikern für sich wissen wir gar nicht, wie lange Jesus öffentlich gewirkt hat, und er könnte nach ihnen ebensogut mehrere Jahre als blos Eines thätig gewesen, nur aber im lezten erst zum Paschafest gereist sein. Frei- lich sprachen schon einige der ältesten Häretiker 10) und Kirchenväter 11) von einer blos einjährigen Wirksamkeit Jesu: allein, daſs nicht das Fehlen der früheren Fest- reisen Jesu bei den Synoptikern, sondern etwas ganz Zufälliges die Quelle dieser Ansicht war, geben jene Väter selbst zu verstehen, indem sie sich für dieselbe auf die auch von Jesus Luc. 4. auf sich bezogene Propheten- stelle Jes. 61, 1 f. berufen, wo von einem ἐνιαυτὸς Κυρίου δεκτ[ό]ς die Rede ist, welchen der Prophet, oder nach der evangelischen Deutung der Messias, zu verkündigen gesen- det sei. Indem sie diesen Ausdruck im strengen, chrono- logischen Sinne verstanden, kamen sie auf ihre Annahme nur Eines Messiasjahrs, welche sie denn freilich mit den Synoptikern leichter vereinigen konnten, als mit Johannes, 10) Iren. adv. haer. 1, 1, 5. 2, 35. 38. (ed. Grabe), von den Va- lentinianern. Clem. hom. 17, 19. 11) Clem. Alex. Stromat. 1, p. 174, Würzb. Ausg., 340 Sylburg;
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Zweiter Abschnitt.
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Paschafeste habe besuchen müssen, eine Annahme, welche
übrigens durch das Datum desselben Johannes, daſs Jesus
das Paschafest 6, 4. unbesucht gelassen, widerlegt wird.
Denn hier ist nicht etwa eine von Jesus wirklich gemachte
Reise vom Referenten verschwiegen, sondern von 6, 1. an,
wo Jesus auf der Ostseite des Sees Tiberias ist, durch
6, 17 und 59, wo er nach Kapernaum geht, und 7, 1, wo
er, um Judäa zu vermeiden, in Galiläa wandelt, bis 7, 2
und 10, wo er zur Skenopegie nach Jerusalem reist, hängt
die Darstellung des Evangelisten so genau zusammen, daſs
nirgends eine Paschareise eingeschoben werden kann. Aus
den Synoptikern für sich wissen wir gar nicht, wie lange
Jesus öffentlich gewirkt hat, und er könnte nach ihnen
ebensogut mehrere Jahre als blos Eines thätig gewesen,
nur aber im lezten erst zum Paschafest gereist sein. Frei-
lich sprachen schon einige der ältesten Häretiker 10) und
Kirchenväter 11) von einer blos einjährigen Wirksamkeit
Jesu: allein, daſs nicht das Fehlen der früheren Fest-
reisen Jesu bei den Synoptikern, sondern etwas ganz
Zufälliges die Quelle dieser Ansicht war, geben jene
Väter selbst zu verstehen, indem sie sich für dieselbe auf
die auch von Jesus Luc. 4. auf sich bezogene Propheten-
stelle Jes. 61, 1 f. berufen, wo von einem ἐνιαυτὸς Κυρίου
δεκτός die Rede ist, welchen der Prophet, oder nach der
evangelischen Deutung der Messias, zu verkündigen gesen-
det sei. Indem sie diesen Ausdruck im strengen, chrono-
logischen Sinne verstanden, kamen sie auf ihre Annahme
nur Eines Messiasjahrs, welche sie denn freilich mit den
Synoptikern leichter vereinigen konnten, als mit Johannes,
10) Iren. adv. haer. 1, 1, 5. 2, 35. 38. (ed. Grabe), von den Va-
lentinianern. Clem. hom. 17, 19.
11) Clem. Alex. Stromat. 1, p. 174, Würzb. Ausg., 340 Sylburg;
Orig. de principp. 4, 5, vrgl. homil. in Luc. 32.
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