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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
chen die genannten Kritiker auf folgende Weise darzuthun.
Das erste Evangelium, sagen sie 13), und mehr oder we-
niger auch die zwei mittleren, enthalten die Tradition über
das Leben Jesu, wie sie sich in Galiläa gebildet hatte;
hier aber hatte sich vorwiegend nur die Kunde von dem,
was von Jesu eben in dieser Provinz gethan und geredet
worden war, erhalten, von dem Aussergaliläischen aber
war nur das Wichtigste, die Geburt, Einweihung und na-
mentlich die lezte Reise Jesu, auf welcher sein Tod er-
folgte, bekannt geworden, das Übrige aber, so namentlich
die früheren Festreisen, entweder unbekannt geblieben oder
frühzeitig wieder in Vergessenheit gerathen, so dass, was et-
wa auch von einzelnen Notizen aus einem oder dem andern
früheren Festaufenthalt Jesu verlautete, weil man nur von Ei-
nem solchen, dem lezten, wusste, in diesen verlegt wurde.
Allein ebenderselbe Johannes, auf welchen diese Theolo-
gen sonst Alles bauen, meldet ausdrücklich von den Gali-
läern (4, 45.), dass auch sie auf dem ersten Paschafeste,
welches Jesus nach seiner Taufe besuchte (und also wohl
auch auf den übrigen), gewesen seien, und zwar in Masse
wie es scheint, da ja in Folge dessen, dass die Galiläer in
Jerusalem seine Thaten gesehen hatten, Jesus eine gün-
stige Aufnahme in Galiläa fand. Nimmt man noch dazu,
dass die meisten Jünger Jesu, die ihn auch auf den frü-
heren Festreisen begleiteten (s. z. B. Joh. 4, 22. 9, 2.),
Galiläer waren, so ist es undenkbar, dass nicht von An-
fang an Nachrichten über die frühere Wirksamkeit Jesu
in Jerusalem nach Galiläa gekommen sein sollten. Einmal
dahin gekommen aber konnten sie vielleicht mit der Zeit
wieder erlöschen? Allerdings hat die Tradition eine ver-
schwemmende, assimilirende Kraft: da die lezte Reise Jesu
nach Jerusalem besonders merkwürdig war, so konnten
die früheren allmählich mit dieser zusammenfliessen. Aber

13) Schneckenburger, Beiträge, S. 39 f.

Zweiter Abschnitt.
chen die genannten Kritiker auf folgende Weise darzuthun.
Das erste Evangelium, sagen sie 13), und mehr oder we-
niger auch die zwei mittleren, enthalten die Tradition über
das Leben Jesu, wie sie sich in Galiläa gebildet hatte;
hier aber hatte sich vorwiegend nur die Kunde von dem,
was von Jesu eben in dieser Provinz gethan und geredet
worden war, erhalten, von dem Aussergaliläischen aber
war nur das Wichtigste, die Geburt, Einweihung und na-
mentlich die lezte Reise Jesu, auf welcher sein Tod er-
folgte, bekannt geworden, das Übrige aber, so namentlich
die früheren Festreisen, entweder unbekannt geblieben oder
frühzeitig wieder in Vergessenheit gerathen, so daſs, was et-
wa auch von einzelnen Notizen aus einem oder dem andern
früheren Festaufenthalt Jesu verlautete, weil man nur von Ei-
nem solchen, dem lezten, wuſste, in diesen verlegt wurde.
Allein ebenderselbe Johannes, auf welchen diese Theolo-
gen sonst Alles bauen, meldet ausdrücklich von den Gali-
läern (4, 45.), daſs auch sie auf dem ersten Paschafeste,
welches Jesus nach seiner Taufe besuchte (und also wohl
auch auf den übrigen), gewesen seien, und zwar in Masse
wie es scheint, da ja in Folge dessen, daſs die Galiläer in
Jerusalem seine Thaten gesehen hatten, Jesus eine gün-
stige Aufnahme in Galiläa fand. Nimmt man noch dazu,
daſs die meisten Jünger Jesu, die ihn auch auf den frü-
heren Festreisen begleiteten (s. z. B. Joh. 4, 22. 9, 2.),
Galiläer waren, so ist es undenkbar, daſs nicht von An-
fang an Nachrichten über die frühere Wirksamkeit Jesu
in Jerusalem nach Galiläa gekommen sein sollten. Einmal
dahin gekommen aber konnten sie vielleicht mit der Zeit
wieder erlöschen? Allerdings hat die Tradition eine ver-
schwemmende, assimilirende Kraft: da die lezte Reise Jesu
nach Jerusalem besonders merkwürdig war, so konnten
die früheren allmählich mit dieser zusammenflieſsen. Aber

13) Schneckenburger, Beiträge, S. 39 f.
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[440/0464] Zweiter Abschnitt. chen die genannten Kritiker auf folgende Weise darzuthun. Das erste Evangelium, sagen sie 13), und mehr oder we- niger auch die zwei mittleren, enthalten die Tradition über das Leben Jesu, wie sie sich in Galiläa gebildet hatte; hier aber hatte sich vorwiegend nur die Kunde von dem, was von Jesu eben in dieser Provinz gethan und geredet worden war, erhalten, von dem Aussergaliläischen aber war nur das Wichtigste, die Geburt, Einweihung und na- mentlich die lezte Reise Jesu, auf welcher sein Tod er- folgte, bekannt geworden, das Übrige aber, so namentlich die früheren Festreisen, entweder unbekannt geblieben oder frühzeitig wieder in Vergessenheit gerathen, so daſs, was et- wa auch von einzelnen Notizen aus einem oder dem andern früheren Festaufenthalt Jesu verlautete, weil man nur von Ei- nem solchen, dem lezten, wuſste, in diesen verlegt wurde. Allein ebenderselbe Johannes, auf welchen diese Theolo- gen sonst Alles bauen, meldet ausdrücklich von den Gali- läern (4, 45.), daſs auch sie auf dem ersten Paschafeste, welches Jesus nach seiner Taufe besuchte (und also wohl auch auf den übrigen), gewesen seien, und zwar in Masse wie es scheint, da ja in Folge dessen, daſs die Galiläer in Jerusalem seine Thaten gesehen hatten, Jesus eine gün- stige Aufnahme in Galiläa fand. Nimmt man noch dazu, daſs die meisten Jünger Jesu, die ihn auch auf den frü- heren Festreisen begleiteten (s. z. B. Joh. 4, 22. 9, 2.), Galiläer waren, so ist es undenkbar, daſs nicht von An- fang an Nachrichten über die frühere Wirksamkeit Jesu in Jerusalem nach Galiläa gekommen sein sollten. Einmal dahin gekommen aber konnten sie vielleicht mit der Zeit wieder erlöschen? Allerdings hat die Tradition eine ver- schwemmende, assimilirende Kraft: da die lezte Reise Jesu nach Jerusalem besonders merkwürdig war, so konnten die früheren allmählich mit dieser zusammenflieſsen. Aber 13) Schneckenburger, Beiträge, S. 39 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/464>, abgerufen am 25.11.2024.