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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweites Kapitel. §. 49.
Versuchung, und wenn diese schon an das Ende der 40 Tage
fällt, so können die folgenden nicht früher fallen; denn das
geht doch nicht an, zu sagen, weil die einzelnen Versu-
chungen bei Lukas nicht wie bei Matthäus durch tote und
pali[n], sondern nur durch kai aneinandergereiht seien, so
habe man sich an ihre Ordnung nicht zu binden, sondern
gar wohl könne im Sinne des dritten Evangelisten die zweite
und dritte vor der zuerst erwähnten sich zugetragen ha-
ben. Bleibt demnach bei Lukas das Ungeschickte, dass er
Jesum 40 Tage vom Teufel versucht werden lässt, aus die-
ser langen Zeit aber keine Versuchung namhaft zu machen
weiss, sondern nur etliche nachmals eingetretene: so wird
man hienach wenig geneigt sein, mit der neuesten Kritik
des Matthäusevangeliums bei Lukas die ursprüngliche, bei
Matthäus dagegen die abgeleitete und getrübte Erzählung
zu finden 9). Sondern indem die Versuchungsgeschichte
bald unbestimmt erzählt und dann das peirazesthai über-
haupt in die 40 Tage verlegt wurde, wie Markus die Sa-
che wiedergiebt, bald aber mit Anführung der bestimmten
Fälle, wobei dann der zum Motiv des ersten gewählte
Hunger die Stellung nach dem 40tägigen Fasten erheisch-
te, wie wir es bei Matthäus finden: so hat nun Lukas die
offenbar secundäre Darstellung, beides auf eine kaum er-
trägliche Weise zusammenzufassen, und nach dem unbe-
stimmten 40tägigen Versuchtwerden zum Überfluss auch
noch das bestimmte, spätere zu stellen. Damit soll keines-
wegs gesagt werden, dass Lukas erst nach Markus und in
Abhängigkeit von ihm geschrieben habe, sondern wenn
auch umgekehrt Markus hier aus Lukas schöpfte, so nahm
er sich nur den ersten Theil von dessen Darstellung, das
Unbestimmte, heraus, indem er statt der weiteren Angabe
einzelner Versuchungen einen eigenthümlichen Zug in Be-
reitschaft hatte, dass nämlich Jesus während seines Auf-
enthalts in der Wüste meta ton therion gewesen sei.

9) Ders. ebendas.
Das Leben Jesu I. Band. 26

Zweites Kapitel. §. 49.
Versuchung, und wenn diese schon an das Ende der 40 Tage
fällt, so können die folgenden nicht früher fallen; denn das
geht doch nicht an, zu sagen, weil die einzelnen Versu-
chungen bei Lukas nicht wie bei Matthäus durch τότε und
παλι[ν], sondern nur durch καὶ aneinandergereiht seien, so
habe man sich an ihre Ordnung nicht zu binden, sondern
gar wohl könne im Sinne des dritten Evangelisten die zweite
und dritte vor der zuerst erwähnten sich zugetragen ha-
ben. Bleibt demnach bei Lukas das Ungeschickte, daſs er
Jesum 40 Tage vom Teufel versucht werden läſst, aus die-
ser langen Zeit aber keine Versuchung namhaft zu machen
weiſs, sondern nur etliche nachmals eingetretene: so wird
man hienach wenig geneigt sein, mit der neuesten Kritik
des Matthäusevangeliums bei Lukas die ursprüngliche, bei
Matthäus dagegen die abgeleitete und getrübte Erzählung
zu finden 9). Sondern indem die Versuchungsgeschichte
bald unbestimmt erzählt und dann das πειράζεσϑαι über-
haupt in die 40 Tage verlegt wurde, wie Markus die Sa-
che wiedergiebt, bald aber mit Anführung der bestimmten
Fälle, wobei dann der zum Motiv des ersten gewählte
Hunger die Stellung nach dem 40tägigen Fasten erheisch-
te, wie wir es bei Matthäus finden: so hat nun Lukas die
offenbar secundäre Darstellung, beides auf eine kaum er-
trägliche Weise zusammenzufassen, und nach dem unbe-
stimmten 40tägigen Versuchtwerden zum Überfluſs auch
noch das bestimmte, spätere zu stellen. Damit soll keines-
wegs gesagt werden, daſs Lukas erst nach Markus und in
Abhängigkeit von ihm geschrieben habe, sondern wenn
auch umgekehrt Markus hier aus Lukas schöpfte, so nahm
er sich nur den ersten Theil von dessen Darstellung, das
Unbestimmte, heraus, indem er statt der weiteren Angabe
einzelner Versuchungen einen eigenthümlichen Zug in Be-
reitschaft hatte, daſs nämlich Jesus während seines Auf-
enthalts in der Wüste μετα τῶν ϑηρίων gewesen sei.

9) Ders. ebendas.
Das Leben Jesu I. Band. 26
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[401/0425] Zweites Kapitel. §. 49. Versuchung, und wenn diese schon an das Ende der 40 Tage fällt, so können die folgenden nicht früher fallen; denn das geht doch nicht an, zu sagen, weil die einzelnen Versu- chungen bei Lukas nicht wie bei Matthäus durch τότε und παλιν, sondern nur durch καὶ aneinandergereiht seien, so habe man sich an ihre Ordnung nicht zu binden, sondern gar wohl könne im Sinne des dritten Evangelisten die zweite und dritte vor der zuerst erwähnten sich zugetragen ha- ben. Bleibt demnach bei Lukas das Ungeschickte, daſs er Jesum 40 Tage vom Teufel versucht werden läſst, aus die- ser langen Zeit aber keine Versuchung namhaft zu machen weiſs, sondern nur etliche nachmals eingetretene: so wird man hienach wenig geneigt sein, mit der neuesten Kritik des Matthäusevangeliums bei Lukas die ursprüngliche, bei Matthäus dagegen die abgeleitete und getrübte Erzählung zu finden 9). Sondern indem die Versuchungsgeschichte bald unbestimmt erzählt und dann das πειράζεσϑαι über- haupt in die 40 Tage verlegt wurde, wie Markus die Sa- che wiedergiebt, bald aber mit Anführung der bestimmten Fälle, wobei dann der zum Motiv des ersten gewählte Hunger die Stellung nach dem 40tägigen Fasten erheisch- te, wie wir es bei Matthäus finden: so hat nun Lukas die offenbar secundäre Darstellung, beides auf eine kaum er- trägliche Weise zusammenzufassen, und nach dem unbe- stimmten 40tägigen Versuchtwerden zum Überfluſs auch noch das bestimmte, spätere zu stellen. Damit soll keines- wegs gesagt werden, daſs Lukas erst nach Markus und in Abhängigkeit von ihm geschrieben habe, sondern wenn auch umgekehrt Markus hier aus Lukas schöpfte, so nahm er sich nur den ersten Theil von dessen Darstellung, das Unbestimmte, heraus, indem er statt der weiteren Angabe einzelner Versuchungen einen eigenthümlichen Zug in Be- reitschaft hatte, daſs nämlich Jesus während seines Auf- enthalts in der Wüste μετα τῶν ϑηρίων gewesen sei. 9) Ders. ebendas. Das Leben Jesu I. Band. 26

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/425>, abgerufen am 25.11.2024.