eine solche namentlich de Wette1), Schleiermacher2) und diesem folgend Usteri3) unternommen haben. Ihr Bestreben geht dahin, aus der johanneischen Erzählung, als der reinen Quelle, die übrigen, als getrübte Abflüsse, herzuleiten. Bei Johannes sei von keinem sich öffnenden Himmel, von keiner göttlichen Stimme die Rede; nur das Herabsteigen des Geistes werde dem Täufer nach einer ihm gewordenen Verheissung zum göttlichen Zeugniss, dass Jesus der Messias sei; auf welche Weise aber der Täufer wahrgenommen, dass der Geist auf üesu ruhe, sage er uns nicht, und gar wohl können ihm auch blos Reden Jesu das Zeichen davon gewesen sein.
Man muss sich über die Behauptung Schleiermacher's wundern, dass im vierten Evangelium nicht angegeben wer- de, in welcher Weise der Täufer das niedersteigende pneuma wahrgenommen, da doch das auch hier sich fin- dende osei periseran es deutlich genug sagt, und eben durch diesen Zug jenes Herabkommen als sichtbares, nicht blos aus Reden erschlossenes unverkennbar dargestellt ist. Usteri freilich meint, die Taube habe der Täufer nur als Bild gebraucht, um den sanften und milden Geist zu be- zeichnen, den er an Jesu bemerkte. Allein, wenn er nur diess wollte, so würde er eher Jesum selbst, wie sonst mit einem amnos, so hier mit einer perisera verglichen, nicht aber durch das malerische tetheamai to pneuma kata- bainon osei periseran ex ouranou, den Gedanken an eine sinn- liche Anschauung erregt haben. Es ist also in Bezug auf das von der Taube Gesagte nicht wahr, dass erst in der entfernteren Tradition, wie sie die Synoptiker geben sol- len, das ursprünglich blos bildlich Gemeinte eigentlich ge-
1) Biblische Dogmatik, §. 208. Anm. b.
2) Über den Lukas, S. 58 f.
3) In der im vorigen §. Anm. 2. angeführten Abhandlung, von S. 446. an.
Zweiter Abschnitt.
eine solche namentlich de Wette1), Schleiermacher2) und diesem folgend Usteri3) unternommen haben. Ihr Bestreben geht dahin, aus der johanneischen Erzählung, als der reinen Quelle, die übrigen, als getrübte Abflüsse, herzuleiten. Bei Johannes sei von keinem sich öffnenden Himmel, von keiner göttlichen Stimme die Rede; nur das Herabsteigen des Geistes werde dem Täufer nach einer ihm gewordenen Verheiſsung zum göttlichen Zeugniſs, daſs Jesus der Messias sei; auf welche Weise aber der Täufer wahrgenommen, daſs der Geist auf üesu ruhe, sage er uns nicht, und gar wohl können ihm auch blos Reden Jesu das Zeichen davon gewesen sein.
Man muſs sich über die Behauptung Schleiermacher's wundern, daſs im vierten Evangelium nicht angegeben wer- de, in welcher Weise der Täufer das niedersteigende πνεῦμα wahrgenommen, da doch das auch hier sich fin- dende ὡσεὶ περιςερὰν es deutlich genug sagt, und eben durch diesen Zug jenes Herabkommen als sichtbares, nicht blos aus Reden erschlossenes unverkennbar dargestellt ist. Usteri freilich meint, die Taube habe der Täufer nur als Bild gebraucht, um den sanften und milden Geist zu be- zeichnen, den er an Jesu bemerkte. Allein, wenn er nur dieſs wollte, so würde er eher Jesum selbst, wie sonst mit einem ἀμνὸς, so hier mit einer περιςερὰ verglichen, nicht aber durch das malerische τεϑέαμαι τὸ πνεῦμα κατα- βαῖνον ὡσεὶ περιςερὰν ἐξ οὐρανοῦ, den Gedanken an eine sinn- liche Anschauung erregt haben. Es ist also in Bezug auf das von der Taube Gesagte nicht wahr, daſs erst in der entfernteren Tradition, wie sie die Synoptiker geben sol- len, das ursprünglich blos bildlich Gemeinte eigentlich ge-
1) Biblische Dogmatik, §. 208. Anm. b.
2) Über den Lukas, S. 58 f.
3) In der im vorigen §. Anm. 2. angeführten Abhandlung, von S. 446. an.
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Zweiter Abschnitt.
eine solche namentlich de Wette 1), Schleiermacher 2)
und diesem folgend Usteri 3) unternommen haben. Ihr
Bestreben geht dahin, aus der johanneischen Erzählung,
als der reinen Quelle, die übrigen, als getrübte Abflüsse,
herzuleiten. Bei Johannes sei von keinem sich öffnenden
Himmel, von keiner göttlichen Stimme die Rede; nur das
Herabsteigen des Geistes werde dem Täufer nach einer
ihm gewordenen Verheiſsung zum göttlichen Zeugniſs, daſs
Jesus der Messias sei; auf welche Weise aber der Täufer
wahrgenommen, daſs der Geist auf üesu ruhe, sage er uns
nicht, und gar wohl können ihm auch blos Reden Jesu
das Zeichen davon gewesen sein.
Man muſs sich über die Behauptung Schleiermacher's
wundern, daſs im vierten Evangelium nicht angegeben wer-
de, in welcher Weise der Täufer das niedersteigende
πνεῦμα wahrgenommen, da doch das auch hier sich fin-
dende ὡσεὶ περιςερὰν es deutlich genug sagt, und eben
durch diesen Zug jenes Herabkommen als sichtbares, nicht
blos aus Reden erschlossenes unverkennbar dargestellt ist.
Usteri freilich meint, die Taube habe der Täufer nur als
Bild gebraucht, um den sanften und milden Geist zu be-
zeichnen, den er an Jesu bemerkte. Allein, wenn er nur
dieſs wollte, so würde er eher Jesum selbst, wie sonst
mit einem ἀμνὸς, so hier mit einer περιςερὰ verglichen,
nicht aber durch das malerische τεϑέαμαι τὸ πνεῦμα κατα-
βαῖνον ὡσεὶ περιςερὰν ἐξ οὐρανοῦ, den Gedanken an eine sinn-
liche Anschauung erregt haben. Es ist also in Bezug auf
das von der Taube Gesagte nicht wahr, daſs erst in der
entfernteren Tradition, wie sie die Synoptiker geben sol-
len, das ursprünglich blos bildlich Gemeinte eigentlich ge-
1) Biblische Dogmatik, §. 208. Anm. b.
2) Über den Lukas, S. 58 f.
3) In der im vorigen §. Anm. 2. angeführten Abhandlung, von
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/406>, abgerufen am 22.11.2024.
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