Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweites Kapitel. §. 46. te, sie sei zur Offenbarung des Messias bestimmt gewesen,überdiess die johanneische Beschreibung des herabkommenden Geistes fast wörtlich der synoptischen entspricht: so ist wohl nicht zu zweifeln, dass hier derselbe Vorfall berichtet werden solle. Die alten verlorenen Evangelien Justins und der Ebioni- ten verbanden hiemit noch ein himmlisches Licht oder ein im Jordan aufflammendes Feuer 1); auch mit der Taube und Himmelsstimme nahmen sie Veränderungen vor, von wel- chen unten zu sprechen sein wird. Wem denn eigentlich die Erscheinung gegolten habe, darüber kann man bei Ver- gleichung der verschiedenen Berichte zweifelhaft bleiben. Nach Johannes, wo der Täufer sie seinen Anhängern er- zählt, scheinen diese nicht Augenzeugen gewesen zu sein, sondern, indem er davon spricht, wie ihm von demjeni- gen, der ihn zu taufen gesandt habe, das Herabkommen und Bleiben des Geistes über Einem als Kennzeichen des Messias verheissen worden sei, sieht es aus, als wäre die Erscheinung vorzugsweise nur für den Täufer bestimmt ge- wesen. Bei Matthäus und Markus erregt das aneokhthesan auto (to Iesou) und eide (o I.) den Schein, als hätte zu- nächst Jesus die Erscheinung gehabt; da indess bei Mat- thäus die Himmelsstimme in der dritten Person von Jesu redet: so wird ausser ihm jedenfalls noch Ein weiteres In- dividuum, das die Stimme mitanhörte, vorausgesezt, wel- ches dann, den Johannes verglichen, der Täufer sein müsste. Aber Lukas scheint dem Vorfall ein noch viel grösseres Publikum zu geben, indem er en to baptisthenai apanta ton laon auch Jesum die Taufe empfangen und hierauf, wie man kaum anders glauben kann, vor allem Volk die beschriebene Scene sich ereignen lässt 2). 1) Justin. Mart. dial. c. Tryph. 88: katelthontos tou Iesou epi to udor, kai pur anephthe en to Iordane k. t. l. Epiphan. haeres. 30, 13 (nach der Himmelsstimme): kai eu- thus perielampse ton topon phos mega. 2) Über diese Differenzen vergl. Usteri, über den Täufer Jo-
Zweites Kapitel. §. 46. te, sie sei zur Offenbarung des Messias bestimmt gewesen,überdieſs die johanneische Beschreibung des herabkommenden Geistes fast wörtlich der synoptischen entspricht: so ist wohl nicht zu zweifeln, daſs hier derselbe Vorfall berichtet werden solle. Die alten verlorenen Evangelien Justins und der Ebioni- ten verbanden hiemit noch ein himmlisches Licht oder ein im Jordan aufflammendes Feuer 1); auch mit der Taube und Himmelsstimme nahmen sie Veränderungen vor, von wel- chen unten zu sprechen sein wird. Wem denn eigentlich die Erscheinung gegolten habe, darüber kann man bei Ver- gleichung der verschiedenen Berichte zweifelhaft bleiben. Nach Johannes, wo der Täufer sie seinen Anhängern er- zählt, scheinen diese nicht Augenzeugen gewesen zu sein, sondern, indem er davon spricht, wie ihm von demjeni- gen, der ihn zu taufen gesandt habe, das Herabkommen und Bleiben des Geistes über Einem als Kennzeichen des Messias verheiſsen worden sei, sieht es aus, als wäre die Erscheinung vorzugsweise nur für den Täufer bestimmt ge- wesen. Bei Matthäus und Markus erregt das ἀνεῴχϑησαν αὐτῷ (τῷ Ἰησοῦ) und εἶδε (ὁ Ἰ.) den Schein, als hätte zu- nächst Jesus die Erscheinung gehabt; da indeſs bei Mat- thäus die Himmelsstimme in der dritten Person von Jesu redet: so wird ausser ihm jedenfalls noch Ein weiteres In- dividuum, das die Stimme mitanhörte, vorausgesezt, wel- ches dann, den Johannes verglichen, der Täufer sein müſste. Aber Lukas scheint dem Vorfall ein noch viel gröſseres Publikum zu geben, indem er ἐν τῷ βαπτισϑῆναι ἄπαντα τὸν λαὸν auch Jesum die Taufe empfangen und hierauf, wie man kaum anders glauben kann, vor allem Volk die beschriebene Scene sich ereignen läſst 2). 1) Justin. Mart. dial. c. Tryph. 88: κατελϑόντος τοῦ Ἰησοῦ ἐπὶ τὸ ὔδωρ, καὶ πῦρ ἀνήφϑη ἐν τῷ Ἰορδάνῃ κ. τ. λ. Epiphan. haeres. 30, 13 (nach der Himmelsstimme): καὶ εὐ- ϑὺς περιέλαμψε τὸν τόπον φῶς μέγα. 2) Über diese Differenzen vergl. Usteri, über den Täufer Jo-
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Zweites Kapitel. §. 46.
te, sie sei zur Offenbarung des Messias bestimmt gewesen,
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Geistes fast wörtlich der synoptischen entspricht: so ist wohl
nicht zu zweifeln, daſs hier derselbe Vorfall berichtet werden
solle. Die alten verlorenen Evangelien Justins und der Ebioni-
ten verbanden hiemit noch ein himmlisches Licht oder ein im
Jordan aufflammendes Feuer 1); auch mit der Taube und
Himmelsstimme nahmen sie Veränderungen vor, von wel-
chen unten zu sprechen sein wird. Wem denn eigentlich
die Erscheinung gegolten habe, darüber kann man bei Ver-
gleichung der verschiedenen Berichte zweifelhaft bleiben.
Nach Johannes, wo der Täufer sie seinen Anhängern er-
zählt, scheinen diese nicht Augenzeugen gewesen zu sein,
sondern, indem er davon spricht, wie ihm von demjeni-
gen, der ihn zu taufen gesandt habe, das Herabkommen
und Bleiben des Geistes über Einem als Kennzeichen des
Messias verheiſsen worden sei, sieht es aus, als wäre die
Erscheinung vorzugsweise nur für den Täufer bestimmt ge-
wesen. Bei Matthäus und Markus erregt das ἀνεῴχϑησαν
αὐτῷ (τῷ Ἰησοῦ) und εἶδε (ὁ Ἰ.) den Schein, als hätte zu-
nächst Jesus die Erscheinung gehabt; da indeſs bei Mat-
thäus die Himmelsstimme in der dritten Person von Jesu
redet: so wird ausser ihm jedenfalls noch Ein weiteres In-
dividuum, das die Stimme mitanhörte, vorausgesezt, wel-
ches dann, den Johannes verglichen, der Täufer sein müſste.
Aber Lukas scheint dem Vorfall ein noch viel gröſseres
Publikum zu geben, indem er ἐν τῷ βαπτισϑῆναι ἄπαντα
τὸν λαὸν auch Jesum die Taufe empfangen und hierauf,
wie man kaum anders glauben kann, vor allem Volk die
beschriebene Scene sich ereignen läſst 2).
1) Justin. Mart. dial. c. Tryph. 88: κατελϑόντος τοῦ Ἰησοῦ
ἐπὶ τὸ ὔδωρ, καὶ πῦρ ἀνήφϑη ἐν τῷ Ἰορδάνῃ κ. τ. λ.
Epiphan. haeres. 30, 13 (nach der Himmelsstimme): καὶ εὐ-
ϑὺς περιέλαμψε τὸν τόπον φῶς μέγα.
2) Über diese Differenzen vergl. Usteri, über den Täufer Jo-
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