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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
hier gar wohl möglich, beide Erzählungen zu vereinigen.
Diess hat man so versucht, dass man vermuthete, die Furcht
vor Aufruhr sei der eigentliche Kabinetsgrund zur Verhaf-
tung des Täufers gewesen, das unehrerbietige Urtheil über
die Herrscher aber als ostensibler Grund vorgeschoben wor-
den 5). Allein ich zweifle sehr, ob Herodes den von Jo-
hannes gerügten skandalösen Punkt absichtlich wird her-
vorgekehrt haben, sondern, wenn man hier zwischen ge-
heimer und ostensibler Ursache unterscheiden will, so möchte
eher der Tadel jener Heurath die geheime gewesen, und die
Sache so zu denken sein, dass die Furcht vor Aufruhr ab-
sichtlich, um den Mord zu entschuldigen, ausgestreut wor-
den sei 6). Übrigens braucht man jene Unterscheidung
nicht, da ja Antipas befürchtet haben kann, eben auch
durch den starken Tadel jener gesezwidrigen Heurath und
seiner Lebensweise überhaupt möchte Johannes das Volk
gegen ihn in Aufruhr bringen.

Aber auch zwischen den evangelischen Erzählungen
selbst findet sich eine Differenz, nicht nur darin, dass Mar-
kus in anschaulichster Ausführlichkeit die Scene bei dem
Festmahl erzählt, Lukas dagegen sich mit einer kurzen
Angabe begnügt (3, 18--20. 9, 9.), während Matthäus in
der Mitte steht: sondern es wird auch das Verhältniss des
Herodes zum Täufer von Markus wesentlich anders als von
Matthäus dargestellt. Während nämlich nach dem letzte-
ren Herodes den Täufer zu tödten wünschte, aber nicht
dazu kommen konnte, weil er das Volk scheuen musste,
das ihn für einen Propheten hielt (V. 5.): so ist es nach
Markus nur Herodias, welche ihm nach dem Leben trach-
tet, aber ihren Zweck nicht erreichen kann, weil ihr Ge-

5) Fritzsche, Comm. in Matth. z. d. St. Winer, bibl. Realwör-
terb. 1, S. 694.
6) so Paulus, exeg. Handb. 1, a, S. 361; Schleiermacher, über
den Lukas, S. 109.

Zweiter Abschnitt.
hier gar wohl möglich, beide Erzählungen zu vereinigen.
Dieſs hat man so versucht, daſs man vermuthete, die Furcht
vor Aufruhr sei der eigentliche Kabinetsgrund zur Verhaf-
tung des Täufers gewesen, das unehrerbietige Urtheil über
die Herrscher aber als ostensibler Grund vorgeschoben wor-
den 5). Allein ich zweifle sehr, ob Herodes den von Jo-
hannes gerügten skandalösen Punkt absichtlich wird her-
vorgekehrt haben, sondern, wenn man hier zwischen ge-
heimer und ostensibler Ursache unterscheiden will, so möchte
eher der Tadel jener Heurath die geheime gewesen, und die
Sache so zu denken sein, daſs die Furcht vor Aufruhr ab-
sichtlich, um den Mord zu entschuldigen, ausgestreut wor-
den sei 6). Übrigens braucht man jene Unterscheidung
nicht, da ja Antipas befürchtet haben kann, eben auch
durch den starken Tadel jener gesezwidrigen Heurath und
seiner Lebensweise überhaupt möchte Johannes das Volk
gegen ihn in Aufruhr bringen.

Aber auch zwischen den evangelischen Erzählungen
selbst findet sich eine Differenz, nicht nur darin, daſs Mar-
kus in anschaulichster Ausführlichkeit die Scene bei dem
Festmahl erzählt, Lukas dagegen sich mit einer kurzen
Angabe begnügt (3, 18—20. 9, 9.), während Matthäus in
der Mitte steht: sondern es wird auch das Verhältniſs des
Herodes zum Täufer von Markus wesentlich anders als von
Matthäus dargestellt. Während nämlich nach dem letzte-
ren Herodes den Täufer zu tödten wünschte, aber nicht
dazu kommen konnte, weil er das Volk scheuen muſste,
das ihn für einen Propheten hielt (V. 5.): so ist es nach
Markus nur Herodias, welche ihm nach dem Leben trach-
tet, aber ihren Zweck nicht erreichen kann, weil ihr Ge-

5) Fritzsche, Comm. in Matth. z. d. St. Winer, bibl. Realwör-
terb. 1, S. 694.
6) so Paulus, exeg. Handb. 1, a, S. 361; Schleiermacher, über
den Lukas, S. 109.
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[366/0390] Zweiter Abschnitt. hier gar wohl möglich, beide Erzählungen zu vereinigen. Dieſs hat man so versucht, daſs man vermuthete, die Furcht vor Aufruhr sei der eigentliche Kabinetsgrund zur Verhaf- tung des Täufers gewesen, das unehrerbietige Urtheil über die Herrscher aber als ostensibler Grund vorgeschoben wor- den 5). Allein ich zweifle sehr, ob Herodes den von Jo- hannes gerügten skandalösen Punkt absichtlich wird her- vorgekehrt haben, sondern, wenn man hier zwischen ge- heimer und ostensibler Ursache unterscheiden will, so möchte eher der Tadel jener Heurath die geheime gewesen, und die Sache so zu denken sein, daſs die Furcht vor Aufruhr ab- sichtlich, um den Mord zu entschuldigen, ausgestreut wor- den sei 6). Übrigens braucht man jene Unterscheidung nicht, da ja Antipas befürchtet haben kann, eben auch durch den starken Tadel jener gesezwidrigen Heurath und seiner Lebensweise überhaupt möchte Johannes das Volk gegen ihn in Aufruhr bringen. Aber auch zwischen den evangelischen Erzählungen selbst findet sich eine Differenz, nicht nur darin, daſs Mar- kus in anschaulichster Ausführlichkeit die Scene bei dem Festmahl erzählt, Lukas dagegen sich mit einer kurzen Angabe begnügt (3, 18—20. 9, 9.), während Matthäus in der Mitte steht: sondern es wird auch das Verhältniſs des Herodes zum Täufer von Markus wesentlich anders als von Matthäus dargestellt. Während nämlich nach dem letzte- ren Herodes den Täufer zu tödten wünschte, aber nicht dazu kommen konnte, weil er das Volk scheuen muſste, das ihn für einen Propheten hielt (V. 5.): so ist es nach Markus nur Herodias, welche ihm nach dem Leben trach- tet, aber ihren Zweck nicht erreichen kann, weil ihr Ge- 5) Fritzsche, Comm. in Matth. z. d. St. Winer, bibl. Realwör- terb. 1, S. 694. 6) so Paulus, exeg. Handb. 1, a, S. 361; Schleiermacher, über den Lukas, S. 109.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/390>, abgerufen am 24.11.2024.