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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erstes Kapitel. §. 43.
stern Ascese? und wirklich verbürgt ja nur das Hinaus-
sein über diese den Übertritt von der unfreien zu freier,
geistiger Religiosität 6). Was drittens das Verhältniss der
Wirksamkeit sowohl des Johannes als Jesu zu den Zeit-
genossen betrifft, so wird V. 16 ff. über die gleiche Unem-
pfänglichkeit für beide geklagt, wiewohl V. 12. bemerkt
war, dass der gewaltige Eifer einiger biasai nach Anlei-
tung des Johannes sich den Zugang zum Messiasreich er-
zwungen habe 7).

Zum Schlusse ist noch eine Übersicht des Stufengangs
zu geben, in welchem an die einfachen historischen Grund-
züge des Verhältnisses zwischen Johannes und Jesus all-
mählig immer mehr Traditionelles sich angesezt hat. Hi-
storisch scheint dieses zu sein, dass Jesus durch den Ruf
der Taufe des Johannes angezogen, sich derselben unter-
warf, und nachdem er einige Zeit vielleicht im Gefolge des
Täufers gewesen und durch ihn mit der Idee des nahen-
den Messiasreiches vertraut geworden war, nach der Ver-
haftung des Johannes dessen Wirksamkeit in modificirter
Weise fortsezte, doch, auch nachdem er über ihn hinaus-
geschritten, niemals aufhörte, ihm aufrichtige Hochachtung
zu zollen.

Das Erste nun, was sich in der christlichen Sage
hieran schloss, war diess, dass Johannes von Jesu noch
beifällige Notiz genommen haben sollte. Während seiner
öffentlichen Wirksamkeit hatte er, das wusste man, nur
unbestimmt auf einen nach ihm Kommenden hingewiesen;
nun sollte er aber auch noch persönlich Jesum, wenigstens

6) Dass Jesus, wie Manche annehmen, den Täufer auch desswe-
gen zurückstelle, weil dieser die neue Ordnung der Dinge
nicht ohne äussere Gewalt herbeizuführen gedacht habe, ist
ohne Spur in den Evangelien.
7) Eine abweichende Erklärung s. bei Schneckenburger, Bei-
träge, S. 48 ff.

Erstes Kapitel. §. 43.
stern Ascese? und wirklich verbürgt ja nur das Hinaus-
sein über diese den Übertritt von der unfreien zu freier,
geistiger Religiosität 6). Was drittens das Verhältniſs der
Wirksamkeit sowohl des Johannes als Jesu zu den Zeit-
genossen betrifft, so wird V. 16 ff. über die gleiche Unem-
pfänglichkeit für beide geklagt, wiewohl V. 12. bemerkt
war, daſs der gewaltige Eifer einiger βιαςαὶ nach Anlei-
tung des Johannes sich den Zugang zum Messiasreich er-
zwungen habe 7).

Zum Schlusse ist noch eine Übersicht des Stufengangs
zu geben, in welchem an die einfachen historischen Grund-
züge des Verhältnisses zwischen Johannes und Jesus all-
mählig immer mehr Traditionelles sich angesezt hat. Hi-
storisch scheint dieses zu sein, daſs Jesus durch den Ruf
der Taufe des Johannes angezogen, sich derselben unter-
warf, und nachdem er einige Zeit vielleicht im Gefolge des
Täufers gewesen und durch ihn mit der Idee des nahen-
den Messiasreiches vertraut geworden war, nach der Ver-
haftung des Johannes dessen Wirksamkeit in modificirter
Weise fortsezte, doch, auch nachdem er über ihn hinaus-
geschritten, niemals aufhörte, ihm aufrichtige Hochachtung
zu zollen.

Das Erste nun, was sich in der christlichen Sage
hieran schloſs, war dieſs, daſs Johannes von Jesu noch
beifällige Notiz genommen haben sollte. Während seiner
öffentlichen Wirksamkeit hatte er, das wuſste man, nur
unbestimmt auf einen nach ihm Kommenden hingewiesen;
nun sollte er aber auch noch persönlich Jesum, wenigstens

6) Dass Jesus, wie Manche annehmen, den Täufer auch desswe-
gen zurückstelle, weil dieser die neue Ordnung der Dinge
nicht ohne äussere Gewalt herbeizuführen gedacht habe, ist
ohne Spur in den Evangelien.
7) Eine abweichende Erklärung s. bei Schneckenburger, Bei-
träge, S. 48 ff.
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[361/0385] Erstes Kapitel. §. 43. stern Ascese? und wirklich verbürgt ja nur das Hinaus- sein über diese den Übertritt von der unfreien zu freier, geistiger Religiosität 6). Was drittens das Verhältniſs der Wirksamkeit sowohl des Johannes als Jesu zu den Zeit- genossen betrifft, so wird V. 16 ff. über die gleiche Unem- pfänglichkeit für beide geklagt, wiewohl V. 12. bemerkt war, daſs der gewaltige Eifer einiger βιαςαὶ nach Anlei- tung des Johannes sich den Zugang zum Messiasreich er- zwungen habe 7). Zum Schlusse ist noch eine Übersicht des Stufengangs zu geben, in welchem an die einfachen historischen Grund- züge des Verhältnisses zwischen Johannes und Jesus all- mählig immer mehr Traditionelles sich angesezt hat. Hi- storisch scheint dieses zu sein, daſs Jesus durch den Ruf der Taufe des Johannes angezogen, sich derselben unter- warf, und nachdem er einige Zeit vielleicht im Gefolge des Täufers gewesen und durch ihn mit der Idee des nahen- den Messiasreiches vertraut geworden war, nach der Ver- haftung des Johannes dessen Wirksamkeit in modificirter Weise fortsezte, doch, auch nachdem er über ihn hinaus- geschritten, niemals aufhörte, ihm aufrichtige Hochachtung zu zollen. Das Erste nun, was sich in der christlichen Sage hieran schloſs, war dieſs, daſs Johannes von Jesu noch beifällige Notiz genommen haben sollte. Während seiner öffentlichen Wirksamkeit hatte er, das wuſste man, nur unbestimmt auf einen nach ihm Kommenden hingewiesen; nun sollte er aber auch noch persönlich Jesum, wenigstens 6) Dass Jesus, wie Manche annehmen, den Täufer auch desswe- gen zurückstelle, weil dieser die neue Ordnung der Dinge nicht ohne äussere Gewalt herbeizuführen gedacht habe, ist ohne Spur in den Evangelien. 7) Eine abweichende Erklärung s. bei Schneckenburger, Bei- träge, S. 48 ff.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/385>, abgerufen am 24.11.2024.