Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Erstes Kapitel. §. 43. haftige Zeugniss, welches dieser damals abgelegt habe.Hatte Johannes nur vor dem gemeinen Volke jene Aussprü- che über sein Verhältniss zu Jesu gethan, so war eine solche Berufung nicht möglich, sondern, sollte Jesus seinen Fein- den gegenüber auf das Zeugniss des Johannes sich berufen können, so musste dieses vor den Feinden abgelegt worden sein; sollte die Aussage des Täufers gleichsam diplomati- sche Gültigkeit haben, so musste sie auf die officielle An- frage einer obrigkeitlichen Deputation erfolgt sein. Dieser Umwandlung scheint die oben erwähnte Erzählung aus der synoptischen Tradition zu Hülfe gekommen zu sein, wel- cher zufolge die Hohenpriester und Schriftgelehrten Jesum fragen, mit welcher Befugniss er dergleichen (wie die Ver- treibung der Käufer und Verkäufer) thue? Hier beruft sich Jesus auch auf Johannes, indem er ihr Urtheil über dessen Befugniss zu erfahren begehrt, freilich nur in der negativen Absicht, um ihnen für weiteres Inquiriren nach seiner Befugniss den Mund zu stopfen (Matth. 21, 23. ff. parall.); wie leicht aber konnte dieser Berufung die posi- tive Wendung gegeben, und statt des Arguments: wisset ihr nicht, was Johannes für eine Vollmacht hatte, so brauchet ihr auch nicht zu wissen, woher die meinige sich schreibt, -- das andre gesezt werden: da ihr wisset, was Johannes über mich ausgesagt hat, so müsset ihr auch wis- sen, welche Vollmacht und Würde mir zukommt; wobei dann, was ursprünglich eine Anfrage an Jesum war, sich in eine Botschaft an den Täufer verwandelte 5). Was Jesus seinerseits über den Johannes urtheilte, 5) Ob auch der Vorgang mit den bei Johannes sich beklagen-
den Jüngern (Joh. 3, 25 ff.) eine Umbildung der entspre- chenden Scene Matth. 9, 14 f. sei, wie Bretschneider, Pro- bab. S. 66 ff. nachzuweisen sucht, bleibe dahingestellt. Erstes Kapitel. §. 43. haftige Zeugniſs, welches dieser damals abgelegt habe.Hatte Johannes nur vor dem gemeinen Volke jene Aussprü- che über sein Verhältniſs zu Jesu gethan, so war eine solche Berufung nicht möglich, sondern, sollte Jesus seinen Fein- den gegenüber auf das Zeugniſs des Johannes sich berufen können, so muſste dieses vor den Feinden abgelegt worden sein; sollte die Aussage des Täufers gleichsam diplomati- sche Gültigkeit haben, so muſste sie auf die officielle An- frage einer obrigkeitlichen Deputation erfolgt sein. Dieser Umwandlung scheint die oben erwähnte Erzählung aus der synoptischen Tradition zu Hülfe gekommen zu sein, wel- cher zufolge die Hohenpriester und Schriftgelehrten Jesum fragen, mit welcher Befugniſs er dergleichen (wie die Ver- treibung der Käufer und Verkäufer) thue? Hier beruft sich Jesus auch auf Johannes, indem er ihr Urtheil über dessen Befugniſs zu erfahren begehrt, freilich nur in der negativen Absicht, um ihnen für weiteres Inquiriren nach seiner Befugniſs den Mund zu stopfen (Matth. 21, 23. ff. parall.); wie leicht aber konnte dieser Berufung die posi- tive Wendung gegeben, und statt des Arguments: wisset ihr nicht, was Johannes für eine Vollmacht hatte, so brauchet ihr auch nicht zu wissen, woher die meinige sich schreibt, — das andre gesezt werden: da ihr wisset, was Johannes über mich ausgesagt hat, so müsset ihr auch wis- sen, welche Vollmacht und Würde mir zukommt; wobei dann, was ursprünglich eine Anfrage an Jesum war, sich in eine Botschaft an den Täufer verwandelte 5). Was Jesus seinerseits über den Johannes urtheilte, 5) Ob auch der Vorgang mit den bei Johannes sich beklagen-
den Jüngern (Joh. 3, 25 ff.) eine Umbildung der entspre- chenden Scene Matth. 9, 14 f. sei, wie Bretschneider, Pro- bab. S. 66 ff. nachzuweisen sucht, bleibe dahingestellt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0383" n="359"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erstes Kapitel</hi>. §. 43.</fw><lb/> haftige Zeugniſs, welches dieser damals abgelegt habe.<lb/> Hatte Johannes nur vor dem gemeinen Volke jene Aussprü-<lb/> che über sein Verhältniſs zu Jesu gethan, so war eine solche<lb/> Berufung nicht möglich, sondern, sollte Jesus seinen Fein-<lb/> den gegenüber auf das Zeugniſs des Johannes sich berufen<lb/> können, so muſste dieses vor den Feinden abgelegt worden<lb/> sein; sollte die Aussage des Täufers gleichsam diplomati-<lb/> sche Gültigkeit haben, so muſste sie auf die officielle An-<lb/> frage einer obrigkeitlichen Deputation erfolgt sein. Dieser<lb/> Umwandlung scheint die oben erwähnte Erzählung aus der<lb/> synoptischen Tradition zu Hülfe gekommen zu sein, wel-<lb/> cher zufolge die Hohenpriester und Schriftgelehrten Jesum<lb/> fragen, mit welcher Befugniſs er dergleichen (wie die Ver-<lb/> treibung der Käufer und Verkäufer) thue? Hier beruft<lb/> sich Jesus auch auf Johannes, indem er ihr Urtheil über<lb/> dessen Befugniſs zu erfahren begehrt, freilich nur in der<lb/> negativen Absicht, um ihnen für weiteres Inquiriren nach<lb/> seiner Befugniſs den Mund zu stopfen (Matth. 21, 23. ff.<lb/> parall.); wie leicht aber konnte dieser Berufung die posi-<lb/> tive Wendung gegeben, und statt des Arguments: wisset<lb/> ihr nicht, was Johannes für eine Vollmacht hatte, so<lb/> brauchet ihr auch nicht zu wissen, woher die meinige sich<lb/> schreibt, — das andre gesezt werden: da ihr wisset, was<lb/> Johannes über mich ausgesagt hat, so müsset ihr auch wis-<lb/> sen, welche Vollmacht und Würde mir zukommt; wobei<lb/> dann, was ursprünglich eine Anfrage an Jesum war, sich<lb/> in eine Botschaft an den Täufer verwandelte <note place="foot" n="5)">Ob auch der Vorgang mit den bei Johannes sich beklagen-<lb/> den Jüngern (Joh. 3, 25 ff.) eine Umbildung der entspre-<lb/> chenden Scene Matth. 9, 14 f. sei, wie <hi rendition="#k">Bretschneider</hi>, Pro-<lb/> bab. S. 66 ff. nachzuweisen sucht, bleibe dahingestellt.</note>.</p><lb/> <p>Was Jesus seinerseits über den Johannes urtheilte,<lb/> findet sich bei den Synoptikern an zwei Orte vertheilt, in-<lb/> dem hier Jesus theils nach dem Abgang der Boten des Jo-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [359/0383]
Erstes Kapitel. §. 43.
haftige Zeugniſs, welches dieser damals abgelegt habe.
Hatte Johannes nur vor dem gemeinen Volke jene Aussprü-
che über sein Verhältniſs zu Jesu gethan, so war eine solche
Berufung nicht möglich, sondern, sollte Jesus seinen Fein-
den gegenüber auf das Zeugniſs des Johannes sich berufen
können, so muſste dieses vor den Feinden abgelegt worden
sein; sollte die Aussage des Täufers gleichsam diplomati-
sche Gültigkeit haben, so muſste sie auf die officielle An-
frage einer obrigkeitlichen Deputation erfolgt sein. Dieser
Umwandlung scheint die oben erwähnte Erzählung aus der
synoptischen Tradition zu Hülfe gekommen zu sein, wel-
cher zufolge die Hohenpriester und Schriftgelehrten Jesum
fragen, mit welcher Befugniſs er dergleichen (wie die Ver-
treibung der Käufer und Verkäufer) thue? Hier beruft
sich Jesus auch auf Johannes, indem er ihr Urtheil über
dessen Befugniſs zu erfahren begehrt, freilich nur in der
negativen Absicht, um ihnen für weiteres Inquiriren nach
seiner Befugniſs den Mund zu stopfen (Matth. 21, 23. ff.
parall.); wie leicht aber konnte dieser Berufung die posi-
tive Wendung gegeben, und statt des Arguments: wisset
ihr nicht, was Johannes für eine Vollmacht hatte, so
brauchet ihr auch nicht zu wissen, woher die meinige sich
schreibt, — das andre gesezt werden: da ihr wisset, was
Johannes über mich ausgesagt hat, so müsset ihr auch wis-
sen, welche Vollmacht und Würde mir zukommt; wobei
dann, was ursprünglich eine Anfrage an Jesum war, sich
in eine Botschaft an den Täufer verwandelte 5).
Was Jesus seinerseits über den Johannes urtheilte,
findet sich bei den Synoptikern an zwei Orte vertheilt, in-
dem hier Jesus theils nach dem Abgang der Boten des Jo-
5) Ob auch der Vorgang mit den bei Johannes sich beklagen-
den Jüngern (Joh. 3, 25 ff.) eine Umbildung der entspre-
chenden Scene Matth. 9, 14 f. sei, wie Bretschneider, Pro-
bab. S. 66 ff. nachzuweisen sucht, bleibe dahingestellt.
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Zitationshilfe: | Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/383>, abgerufen am 19.07.2024. |