res Umgangs mit ihm sich in dieselbe nicht finden konnten, und nach seinem wirklich erfolgten Tode völlig an ihm, als Messias, irre wurden (Luc. 24, 20 ff.). Wie sollte nun der Täufer, welcher der durch die evangelischen Nachrich- ten über sein unfreies Ascetenleben bestätigten Erklärung Jesu (Matth. 11, 11.) zufolge tief unter den Bürgern des Himmelreiches stand, zu welchen doch auch damals schon die Jünger gehörten, -- wie sollte dieser entfernter Stehen- de lange vor dem Leiden Jesu zu einer Einsicht in dessen Nothwendigkeit für den Messias gekommen sein, zu wel- cher den zunächst Stehenden nur der Erfolg verholfen hat? oder wie sollte, wenn Johannes wirklich diese Einsicht hatte und gegen seine Jünger aussprach, dieselbe nicht durch diejenigen, welche aus seiner Schule in die Gesellschaft Jesu übergiengen, auch in der letzteren Eingang gefunden, und überhaupt durch das Ansehen, welches der Täufer genoss, auch im grösseren Publikum den Anstoss, welchen man am Tode Jesu nahm, gemildert haben 14)? Zudem, se- hen wir die ausserjohanneischen Nachrichten vom Täufer alle durch: nirgends finden wir, dass er mit dergleichen Speculationen über das Schicksal des Messias sich abgege- ben hätte, sondern, um von Josephus nichts zu sagen, sprach er den Synoptikern zufolge zwar von einem nach ihm kommenden Messias, als dessen Geschäft er jedoch le- diglich die Geistestaufe und Sichtung des Volkes heraus- hob. Doch die Möglichkeit bleibt immer offen, dass auch schon vor dem Tode Jesu ein tiefer blickender Geist, wie der Täufer, aus A. T.lichen Stellen und Vorbildern einen leidenden Messias herausgelesen, ohne dass doch seine Schüler und Zeitgenossen seine dunkeln Andeutungen hier- über verstanden hätten.
Diess also möge noch nichts entscheiden, und wir wen- den uns daher zu den Äusserungen über die vorweltliche
14)de Wette, a. a. O. S. 76.
22*
Erstes Kapitel. §. 42.
res Umgangs mit ihm sich in dieselbe nicht finden konnten, und nach seinem wirklich erfolgten Tode völlig an ihm, als Messias, irre wurden (Luc. 24, 20 ff.). Wie sollte nun der Täufer, welcher der durch die evangelischen Nachrich- ten über sein unfreies Ascetenleben bestätigten Erklärung Jesu (Matth. 11, 11.) zufolge tief unter den Bürgern des Himmelreiches stand, zu welchen doch auch damals schon die Jünger gehörten, — wie sollte dieser entfernter Stehen- de lange vor dem Leiden Jesu zu einer Einsicht in dessen Nothwendigkeit für den Messias gekommen sein, zu wel- cher den zunächst Stehenden nur der Erfolg verholfen hat? oder wie sollte, wenn Johannes wirklich diese Einsicht hatte und gegen seine Jünger aussprach, dieselbe nicht durch diejenigen, welche aus seiner Schule in die Gesellschaft Jesu übergiengen, auch in der letzteren Eingang gefunden, und überhaupt durch das Ansehen, welches der Täufer genoſs, auch im grösseren Publikum den Anstoſs, welchen man am Tode Jesu nahm, gemildert haben 14)? Zudem, se- hen wir die ausserjohanneischen Nachrichten vom Täufer alle durch: nirgends finden wir, daſs er mit dergleichen Speculationen über das Schicksal des Messias sich abgege- ben hätte, sondern, um von Josephus nichts zu sagen, sprach er den Synoptikern zufolge zwar von einem nach ihm kommenden Messias, als dessen Geschäft er jedoch le- diglich die Geistestaufe und Sichtung des Volkes heraus- hob. Doch die Möglichkeit bleibt immer offen, daſs auch schon vor dem Tode Jesu ein tiefer blickender Geist, wie der Täufer, aus A. T.lichen Stellen und Vorbildern einen leidenden Messias herausgelesen, ohne daſs doch seine Schüler und Zeitgenossen seine dunkeln Andeutungen hier- über verstanden hätten.
Dieſs also möge noch nichts entscheiden, und wir wen- den uns daher zu den Äusserungen über die vorweltliche
14)de Wette, a. a. O. S. 76.
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Erstes Kapitel. §. 42.
res Umgangs mit ihm sich in dieselbe nicht finden konnten,
und nach seinem wirklich erfolgten Tode völlig an ihm,
als Messias, irre wurden (Luc. 24, 20 ff.). Wie sollte nun
der Täufer, welcher der durch die evangelischen Nachrich-
ten über sein unfreies Ascetenleben bestätigten Erklärung
Jesu (Matth. 11, 11.) zufolge tief unter den Bürgern des
Himmelreiches stand, zu welchen doch auch damals schon
die Jünger gehörten, — wie sollte dieser entfernter Stehen-
de lange vor dem Leiden Jesu zu einer Einsicht in dessen
Nothwendigkeit für den Messias gekommen sein, zu wel-
cher den zunächst Stehenden nur der Erfolg verholfen hat?
oder wie sollte, wenn Johannes wirklich diese Einsicht
hatte und gegen seine Jünger aussprach, dieselbe nicht durch
diejenigen, welche aus seiner Schule in die Gesellschaft
Jesu übergiengen, auch in der letzteren Eingang gefunden,
und überhaupt durch das Ansehen, welches der Täufer
genoſs, auch im grösseren Publikum den Anstoſs, welchen
man am Tode Jesu nahm, gemildert haben 14)? Zudem, se-
hen wir die ausserjohanneischen Nachrichten vom Täufer
alle durch: nirgends finden wir, daſs er mit dergleichen
Speculationen über das Schicksal des Messias sich abgege-
ben hätte, sondern, um von Josephus nichts zu sagen,
sprach er den Synoptikern zufolge zwar von einem nach
ihm kommenden Messias, als dessen Geschäft er jedoch le-
diglich die Geistestaufe und Sichtung des Volkes heraus-
hob. Doch die Möglichkeit bleibt immer offen, daſs auch
schon vor dem Tode Jesu ein tiefer blickender Geist, wie
der Täufer, aus A. T.lichen Stellen und Vorbildern einen
leidenden Messias herausgelesen, ohne daſs doch seine
Schüler und Zeitgenossen seine dunkeln Andeutungen hier-
über verstanden hätten.
Dieſs also möge noch nichts entscheiden, und wir wen-
den uns daher zu den Äusserungen über die vorweltliche
14) de Wette, a. a. O. S. 76.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/363>, abgerufen am 17.07.2024.
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