Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. weist, so zu deuten, dass der Begriff eines versühnendenLeidens wegfiele, Jesus mit einem Lamme nur seiner Sanft- muth und Duldsamkeit wegen verglichen, das airein ten amartian tou kosmou entweder von einem geduldigen Ertra- gen der Bosheit der Welt, oder von einem Versuche, die Sünde der Welt bessernd hinwegzuräumen, verstanden, und in dem Ausspruch des Täufers der Sinn gefunden würde, wie rührend es sei, dass dieser sanfte und weiche Jesus sich einem so harten und schweren Geschäfte unter- zogen habe 11). Allein die besten Exegeten haben gezeigt, dass, wenn zwar airein für sich in der bezeichneten Weise gefasst werden könnte, doch das amnos, nicht blos mit dem Artikel, sondern überdiess noch mit dem Beisaz: tou theou nicht ein Lamm überhaupt, sondern ein bestimmtes heili- ges Lamm bezeichnen muss, wobei dann, wenn es der wahrscheinlichsten Erklärung zufolge auf das Lamm Jes. 53, 7. sich bezieht, auch das airein ten amartian nur aus demjenigen erklärt werden kann, was dort von dem mit ei- nem Lamm verglichenen Knecht Gottes gesagt ist, dass er tas amartias emon pherei, kai peri emon odunatai (V. 4, LXX.), wonach es also ein stellvertretendes Leiden bezeich- nen müsste 12). Dass nun der Täufer diese Prophetenstelle auf den Messias bezogen, diesen mithin als einen leiden- den sich gedacht habe, diess eben hat man neuerlich mehr als zweifelhaft gefunden 13). Denn der gangbaren Mei- nung wenigstens war eine solche Ansicht vom Messias so fremd, dass die Jünger Jesu während der ganzen Zeit ih- 11) Gabler, meletem. in loc. Joh. 1, 29, in s. Opusc. acad. S. 514 ff. Paulus, Leben Jesu, 2, a, die Übersetzung d. St., und Comm. zum Ev. Joh. z. d. St. 12) de Wette, de morte Christi expiatoria, in s. Opusc. theol. S. 77 ff. Lücke, Comm. zum Ev. Joh. 1, S. 347 ff. Winer, bibl. Realwörterb. 1, S. 693, Anm. 13) Gabler und Paulus a. d. a. OO. Auch de Wette a. a. O.
S. 75 ff. 80 ff. Zweiter Abschnitt. weist, so zu deuten, daſs der Begriff eines versühnendenLeidens wegfiele, Jesus mit einem Lamme nur seiner Sanft- muth und Duldsamkeit wegen verglichen, das αϊρειν τὴν ἁμαρτίαν τοῦ κόσμου entweder von einem geduldigen Ertra- gen der Bosheit der Welt, oder von einem Versuche, die Sünde der Welt bessernd hinwegzuräumen, verstanden, und in dem Ausspruch des Täufers der Sinn gefunden würde, wie rührend es sei, daſs dieser sanfte und weiche Jesus sich einem so harten und schweren Geschäfte unter- zogen habe 11). Allein die besten Exegeten haben gezeigt, daſs, wenn zwar αϊρειν für sich in der bezeichneten Weise gefaſst werden könnte, doch das ἀμνὸς, nicht blos mit dem Artikel, sondern überdieſs noch mit dem Beisaz: τοῦ ϑεοῦ nicht ein Lamm überhaupt, sondern ein bestimmtes heili- ges Lamm bezeichnen muſs, wobei dann, wenn es der wahrscheinlichsten Erklärung zufolge auf das Lamm Jes. 53, 7. sich bezieht, auch das αϊρειν τὴν ἁμαρτίαν nur aus demjenigen erklärt werden kann, was dort von dem mit ei- nem Lamm verglichenen Knecht Gottes gesagt ist, daſs er τὰς ἁμαρτίας ἡμῶν φέρει, καὶ περὶ ἡμῶν ὀδυνᾶται (V. 4, LXX.), wonach es also ein stellvertretendes Leiden bezeich- nen müſste 12). Daſs nun der Täufer diese Prophetenstelle auf den Messias bezogen, diesen mithin als einen leiden- den sich gedacht habe, dieſs eben hat man neuerlich mehr als zweifelhaft gefunden 13). Denn der gangbaren Mei- nung wenigstens war eine solche Ansicht vom Messias so fremd, daſs die Jünger Jesu während der ganzen Zeit ih- 11) Gabler, meletem. in loc. Joh. 1, 29, in s. Opusc. acad. S. 514 ff. Paulus, Leben Jesu, 2, a, die Übersetzung d. St., und Comm. zum Ev. Joh. z. d. St. 12) de Wette, de morte Christi expiatoria, in s. Opusc. theol. S. 77 ff. Lücke, Comm. zum Ev. Joh. 1, S. 347 ff. Winer, bibl. Realwörterb. 1, S. 693, Anm. 13) Gabler und Paulus a. d. a. OO. Auch de Wette a. a. O.
S. 75 ff. 80 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0362" n="338"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> weist, so zu deuten, daſs der Begriff eines versühnenden<lb/> Leidens wegfiele, Jesus mit einem Lamme nur seiner Sanft-<lb/> muth und Duldsamkeit wegen verglichen, das <foreign xml:lang="ell">αϊρειν τὴν<lb/> ἁμαρτίαν τοῦ κόσμου</foreign> entweder von einem geduldigen Ertra-<lb/> gen der Bosheit der Welt, oder von einem Versuche, die<lb/> Sünde der Welt bessernd hinwegzuräumen, verstanden,<lb/> und in dem Ausspruch des Täufers der Sinn gefunden<lb/> würde, wie rührend es sei, daſs dieser sanfte und weiche<lb/> Jesus sich einem so harten und schweren Geschäfte unter-<lb/> zogen habe <note place="foot" n="11)"><hi rendition="#k">Gabler</hi>, meletem. in loc. Joh. 1, 29, in s. Opusc. acad. S.<lb/> 514 ff. <hi rendition="#k">Paulus</hi>, Leben Jesu, 2, a, die Übersetzung d. St.,<lb/> und Comm. zum Ev. Joh. z. d. St.</note>. Allein die besten Exegeten haben gezeigt,<lb/> daſs, wenn zwar αϊρειν für sich in der bezeichneten Weise<lb/> gefaſst werden könnte, doch das <foreign xml:lang="ell">ἀμνὸς</foreign>, nicht blos mit dem<lb/> Artikel, sondern überdieſs noch mit dem Beisaz: <foreign xml:lang="ell">τοῦ ϑεοῦ</foreign><lb/> nicht ein Lamm überhaupt, sondern ein bestimmtes heili-<lb/> ges Lamm bezeichnen muſs, wobei dann, wenn es der<lb/> wahrscheinlichsten Erklärung zufolge auf das Lamm Jes.<lb/> 53, 7. sich bezieht, auch das <foreign xml:lang="ell">αϊρειν τὴν ἁμαρτίαν</foreign> nur aus<lb/> demjenigen erklärt werden kann, was dort von dem mit ei-<lb/> nem Lamm verglichenen Knecht Gottes gesagt ist, daſs er<lb/><foreign xml:lang="ell">τὰς ἁμαρτίας ἡμῶν φέρει, καὶ περὶ ἡμῶν ὀδυνᾶται</foreign> (V. 4,<lb/> LXX.), wonach es also ein stellvertretendes Leiden bezeich-<lb/> nen müſste <note place="foot" n="12)"><hi rendition="#k">de Wette</hi>, de morte Christi expiatoria, in s. Opusc. theol.<lb/> S. 77 ff. <hi rendition="#k">Lücke</hi>, Comm. zum Ev. Joh. 1, S. 347 ff. <hi rendition="#k">Winer</hi>,<lb/> bibl. Realwörterb. 1, S. 693, Anm.</note>. Daſs nun der Täufer diese Prophetenstelle<lb/> auf den Messias bezogen, diesen mithin als einen leiden-<lb/> den sich gedacht habe, dieſs eben hat man neuerlich mehr<lb/> als zweifelhaft gefunden <note place="foot" n="13)"><hi rendition="#k">Gabler</hi> und <hi rendition="#k">Paulus</hi> a. d. a. OO. Auch <hi rendition="#k">de Wette</hi> a. a. O.<lb/> S. 75 ff. 80 ff.</note>. Denn der gangbaren Mei-<lb/> nung wenigstens war eine solche Ansicht vom Messias so<lb/> fremd, daſs die Jünger Jesu während der ganzen Zeit ih-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [338/0362]
Zweiter Abschnitt.
weist, so zu deuten, daſs der Begriff eines versühnenden
Leidens wegfiele, Jesus mit einem Lamme nur seiner Sanft-
muth und Duldsamkeit wegen verglichen, das αϊρειν τὴν
ἁμαρτίαν τοῦ κόσμου entweder von einem geduldigen Ertra-
gen der Bosheit der Welt, oder von einem Versuche, die
Sünde der Welt bessernd hinwegzuräumen, verstanden,
und in dem Ausspruch des Täufers der Sinn gefunden
würde, wie rührend es sei, daſs dieser sanfte und weiche
Jesus sich einem so harten und schweren Geschäfte unter-
zogen habe 11). Allein die besten Exegeten haben gezeigt,
daſs, wenn zwar αϊρειν für sich in der bezeichneten Weise
gefaſst werden könnte, doch das ἀμνὸς, nicht blos mit dem
Artikel, sondern überdieſs noch mit dem Beisaz: τοῦ ϑεοῦ
nicht ein Lamm überhaupt, sondern ein bestimmtes heili-
ges Lamm bezeichnen muſs, wobei dann, wenn es der
wahrscheinlichsten Erklärung zufolge auf das Lamm Jes.
53, 7. sich bezieht, auch das αϊρειν τὴν ἁμαρτίαν nur aus
demjenigen erklärt werden kann, was dort von dem mit ei-
nem Lamm verglichenen Knecht Gottes gesagt ist, daſs er
τὰς ἁμαρτίας ἡμῶν φέρει, καὶ περὶ ἡμῶν ὀδυνᾶται (V. 4,
LXX.), wonach es also ein stellvertretendes Leiden bezeich-
nen müſste 12). Daſs nun der Täufer diese Prophetenstelle
auf den Messias bezogen, diesen mithin als einen leiden-
den sich gedacht habe, dieſs eben hat man neuerlich mehr
als zweifelhaft gefunden 13). Denn der gangbaren Mei-
nung wenigstens war eine solche Ansicht vom Messias so
fremd, daſs die Jünger Jesu während der ganzen Zeit ih-
11) Gabler, meletem. in loc. Joh. 1, 29, in s. Opusc. acad. S.
514 ff. Paulus, Leben Jesu, 2, a, die Übersetzung d. St.,
und Comm. zum Ev. Joh. z. d. St.
12) de Wette, de morte Christi expiatoria, in s. Opusc. theol.
S. 77 ff. Lücke, Comm. zum Ev. Joh. 1, S. 347 ff. Winer,
bibl. Realwörterb. 1, S. 693, Anm.
13) Gabler und Paulus a. d. a. OO. Auch de Wette a. a. O.
S. 75 ff. 80 ff.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |