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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erstes Kapitel. §. 41.
ben auf die Weise, wie uns Lukas die Familienverhältnis-
se zwischen beiden angiebt: so ist unmöglich, dass er nicht
auch frühe genug davon Kunde bekommen haben sollte,
wie feierlich Jesus schon vor und bei seiner Geburt als Mes-
sias angekündigt worden war; er hätte also später nicht
sagen können, er habe davon nichts gewusst, bis er ein himm-
lisches Zeichen bekommen habe, sondern er hätte sich so
ausdrücken müssen, er habe der Erzählung von den frühe-
ren Zeichen, deren eines ja an ihm selbst vorgegangen war,
nicht geglaubt. Kann man daher nicht umhin, anzuerken-
nen, dass durch den besprochenen Ausdruck im vierten
Evangelium dem Täufer nicht allein die frühere Kenntniss
von Jesu Messianität, sondern auch die persönliche Bekannt-
schaft mit ihm abgesprochen werde: so sucht man hiemit
doch das erste Kapitel des Lukas durch Berufung auf die
weite Entfernung der Wohnorte beider Familien zu verei-
nigen, welche dieselben verhindert habe, in weitere Be-
rührung zu kommen 16). Allein, war der Maria als Ver-
lobten der Weg von Nazaret in das jüdische Gebirge nicht
zu weit gewesen: wie sollte er es den beiden Söhnen, als
sie zu Jünglingen heranreiften, gewesen sein? Welche
sträfliche Gleichgültigkeit der beiden Familien gegen die
empfangenen höheren Mittheilungen wird hiebei vorausge-
setzt, und endlich welchen Zweck sollen die letzteren ge-
habt haben, wenn ihnen in Bezug auf das Verhältniss der
beiden Söhne gar nicht nachgelebt wurde?

Wollte man indess auch zugeben, dass das vierte Evan-
gelium nichts weiter, als die Bekanntschaft des Täufers
mit Jesu Messianität ausschliesse, das dritte aber nichts
weiter, als die Bekanntschaft desselben mit seiner Person
voraussetze: so ist damit der Widerspruch der Evangelien
doch nicht gelöst. Denn bei Matthäus spricht Johannes,
als er Jesum taufen soll, so, als ob er Jesum nicht blos

16) Lücke, Commentar zum Evang. Johannis 1, S. 362. (2te Aufl.)

Erstes Kapitel. §. 41.
ben auf die Weise, wie uns Lukas die Familienverhältnis-
se zwischen beiden angiebt: so ist unmöglich, daſs er nicht
auch frühe genug davon Kunde bekommen haben sollte,
wie feierlich Jesus schon vor und bei seiner Geburt als Mes-
sias angekündigt worden war; er hätte also später nicht
sagen können, er habe davon nichts gewuſst, bis er ein himm-
lisches Zeichen bekommen habe, sondern er hätte sich so
ausdrücken müssen, er habe der Erzählung von den frühe-
ren Zeichen, deren eines ja an ihm selbst vorgegangen war,
nicht geglaubt. Kann man daher nicht umhin, anzuerken-
nen, daſs durch den besprochenen Ausdruck im vierten
Evangelium dem Täufer nicht allein die frühere Kenntniſs
von Jesu Messianität, sondern auch die persönliche Bekannt-
schaft mit ihm abgesprochen werde: so sucht man hiemit
doch das erste Kapitel des Lukas durch Berufung auf die
weite Entfernung der Wohnorte beider Familien zu verei-
nigen, welche dieselben verhindert habe, in weitere Be-
rührung zu kommen 16). Allein, war der Maria als Ver-
lobten der Weg von Nazaret in das jüdische Gebirge nicht
zu weit gewesen: wie sollte er es den beiden Söhnen, als
sie zu Jünglingen heranreiften, gewesen sein? Welche
sträfliche Gleichgültigkeit der beiden Familien gegen die
empfangenen höheren Mittheilungen wird hiebei vorausge-
setzt, und endlich welchen Zweck sollen die letzteren ge-
habt haben, wenn ihnen in Bezug auf das Verhältniſs der
beiden Söhne gar nicht nachgelebt wurde?

Wollte man indeſs auch zugeben, daſs das vierte Evan-
gelium nichts weiter, als die Bekanntschaft des Täufers
mit Jesu Messianität ausschlieſse, das dritte aber nichts
weiter, als die Bekanntschaft desselben mit seiner Person
voraussetze: so ist damit der Widerspruch der Evangelien
doch nicht gelöst. Denn bei Matthäus spricht Johannes,
als er Jesum taufen soll, so, als ob er Jesum nicht blos

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[327/0351] Erstes Kapitel. §. 41. ben auf die Weise, wie uns Lukas die Familienverhältnis- se zwischen beiden angiebt: so ist unmöglich, daſs er nicht auch frühe genug davon Kunde bekommen haben sollte, wie feierlich Jesus schon vor und bei seiner Geburt als Mes- sias angekündigt worden war; er hätte also später nicht sagen können, er habe davon nichts gewuſst, bis er ein himm- lisches Zeichen bekommen habe, sondern er hätte sich so ausdrücken müssen, er habe der Erzählung von den frühe- ren Zeichen, deren eines ja an ihm selbst vorgegangen war, nicht geglaubt. Kann man daher nicht umhin, anzuerken- nen, daſs durch den besprochenen Ausdruck im vierten Evangelium dem Täufer nicht allein die frühere Kenntniſs von Jesu Messianität, sondern auch die persönliche Bekannt- schaft mit ihm abgesprochen werde: so sucht man hiemit doch das erste Kapitel des Lukas durch Berufung auf die weite Entfernung der Wohnorte beider Familien zu verei- nigen, welche dieselben verhindert habe, in weitere Be- rührung zu kommen 16). Allein, war der Maria als Ver- lobten der Weg von Nazaret in das jüdische Gebirge nicht zu weit gewesen: wie sollte er es den beiden Söhnen, als sie zu Jünglingen heranreiften, gewesen sein? Welche sträfliche Gleichgültigkeit der beiden Familien gegen die empfangenen höheren Mittheilungen wird hiebei vorausge- setzt, und endlich welchen Zweck sollen die letzteren ge- habt haben, wenn ihnen in Bezug auf das Verhältniſs der beiden Söhne gar nicht nachgelebt wurde? Wollte man indeſs auch zugeben, daſs das vierte Evan- gelium nichts weiter, als die Bekanntschaft des Täufers mit Jesu Messianität ausschlieſse, das dritte aber nichts weiter, als die Bekanntschaft desselben mit seiner Person voraussetze: so ist damit der Widerspruch der Evangelien doch nicht gelöst. Denn bei Matthäus spricht Johannes, als er Jesum taufen soll, so, als ob er Jesum nicht blos 16) Lücke, Commentar zum Evang. Johannis 1, S. 362. (2te Aufl.)

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/351>, abgerufen am 24.11.2024.