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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erster Abschnitt.
aber die apokryphischen Evangelien schon in seine erste
Kindheit und Jugend. Mit dem fünften Jahre Jesu eröff-
net das Evangelium Thomae seine Erzählungen von des-
sen Wunderthaten 8), und das arabische Evangelium in-
fantiae
füllt schon die ägyptische Reise mit einer Masse
von Mirakeln, welche die Mutter Jesu mittelst der Win-
deln oder des Waschwassers ihres Kindes verrichtet 9). Die
Wunder, welche nach diesen Apokryphen das Kind und
der Knabe Jesus thut, sind theils den N. T.lichen analog,
Heilungen und Todtenerweckungen; theils, ganz abwei-
chend von dem in den kanonischen Evangelien herrschenden
Typus, höchst widrige Strafwunder, vermöge deren Jeder,
der dem Knaben Jesus in irgend etwas entgegen ist, er-
lahmen oder gar sterben muss 10); oder völlig abenteuer-
liche Stücke, wie die Belebung aus Koth geformter Sper-
linge 11).

Das entgegengesezte Interesse der natürlichen Ansicht
von Jesu, seine Erscheinung dem Causalitätsgesetze gemäss
aus verwandten früheren und gleichzeitigen zu erklären,
und daher seine Abhängigkeit und Receptivität hervorzu-
heben, hat sich gleichfalls schon frühe, bei jüdischen und
heidnischen Gegnern des Christenthums hervorgethan. Frei-
lich, indem in den ersten Jahrhunderten der christlichen
Zeit der ganze geistige Boden bei Heiden wie bei Juden
noch ein supranaturalistischer war: so konnte damals der
Vorwurf, dass Jesus seine Einsichten und wunderähnli-
chen Geschicklichkeiten nicht sich selbst oder Gott, son-
dern einer Mittheilung von aussen verdanke, noch nicht
die Gestalt annehmen, er habe auf dem gewöhnlichen Wege
des Unterrichts natürliche Kunstfertigkeiten und Einsichten

8) cap. 2, S. 278 Thilo.
9) cap. 10 ff.
10) z. B. Evang. Thomae, c. 3--5. Evang. infant. arab. c. 46 f.
11) Evang. Thomae, c. 2. Evang. inf. arab. c. 36.

Erster Abschnitt.
aber die apokryphischen Evangelien schon in seine erste
Kindheit und Jugend. Mit dem fünften Jahre Jesu eröff-
net das Evangelium Thomae seine Erzählungen von des-
sen Wunderthaten 8), und das arabische Evangelium in-
fantiae
füllt schon die ägyptische Reise mit einer Masse
von Mirakeln, welche die Mutter Jesu mittelst der Win-
deln oder des Waschwassers ihres Kindes verrichtet 9). Die
Wunder, welche nach diesen Apokryphen das Kind und
der Knabe Jesus thut, sind theils den N. T.lichen analog,
Heilungen und Todtenerweckungen; theils, ganz abwei-
chend von dem in den kanonischen Evangelien herrschenden
Typus, höchst widrige Strafwunder, vermöge deren Jeder,
der dem Knaben Jesus in irgend etwas entgegen ist, er-
lahmen oder gar sterben muſs 10); oder völlig abenteuer-
liche Stücke, wie die Belebung aus Koth geformter Sper-
linge 11).

Das entgegengesezte Interesse der natürlichen Ansicht
von Jesu, seine Erscheinung dem Causalitätsgesetze gemäſs
aus verwandten früheren und gleichzeitigen zu erklären,
und daher seine Abhängigkeit und Receptivität hervorzu-
heben, hat sich gleichfalls schon frühe, bei jüdischen und
heidnischen Gegnern des Christenthums hervorgethan. Frei-
lich, indem in den ersten Jahrhunderten der christlichen
Zeit der ganze geistige Boden bei Heiden wie bei Juden
noch ein supranaturalistischer war: so konnte damals der
Vorwurf, daſs Jesus seine Einsichten und wunderähnli-
chen Geschicklichkeiten nicht sich selbst oder Gott, son-
dern einer Mittheilung von aussen verdanke, noch nicht
die Gestalt annehmen, er habe auf dem gewöhnlichen Wege
des Unterrichts natürliche Kunstfertigkeiten und Einsichten

8) cap. 2, S. 278 Thilo.
9) cap. 10 ff.
10) z. B. Evang. Thomae, c. 3—5. Evang. infant. arab. c. 46 f.
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[302/0326] Erster Abschnitt. aber die apokryphischen Evangelien schon in seine erste Kindheit und Jugend. Mit dem fünften Jahre Jesu eröff- net das Evangelium Thomae seine Erzählungen von des- sen Wunderthaten 8), und das arabische Evangelium in- fantiae füllt schon die ägyptische Reise mit einer Masse von Mirakeln, welche die Mutter Jesu mittelst der Win- deln oder des Waschwassers ihres Kindes verrichtet 9). Die Wunder, welche nach diesen Apokryphen das Kind und der Knabe Jesus thut, sind theils den N. T.lichen analog, Heilungen und Todtenerweckungen; theils, ganz abwei- chend von dem in den kanonischen Evangelien herrschenden Typus, höchst widrige Strafwunder, vermöge deren Jeder, der dem Knaben Jesus in irgend etwas entgegen ist, er- lahmen oder gar sterben muſs 10); oder völlig abenteuer- liche Stücke, wie die Belebung aus Koth geformter Sper- linge 11). Das entgegengesezte Interesse der natürlichen Ansicht von Jesu, seine Erscheinung dem Causalitätsgesetze gemäſs aus verwandten früheren und gleichzeitigen zu erklären, und daher seine Abhängigkeit und Receptivität hervorzu- heben, hat sich gleichfalls schon frühe, bei jüdischen und heidnischen Gegnern des Christenthums hervorgethan. Frei- lich, indem in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeit der ganze geistige Boden bei Heiden wie bei Juden noch ein supranaturalistischer war: so konnte damals der Vorwurf, daſs Jesus seine Einsichten und wunderähnli- chen Geschicklichkeiten nicht sich selbst oder Gott, son- dern einer Mittheilung von aussen verdanke, noch nicht die Gestalt annehmen, er habe auf dem gewöhnlichen Wege des Unterrichts natürliche Kunstfertigkeiten und Einsichten 8) cap. 2, S. 278 Thilo. 9) cap. 10 ff. 10) z. B. Evang. Thomae, c. 3—5. Evang. infant. arab. c. 46 f. 11) Evang. Thomae, c. 2. Evang. inf. arab. c. 36.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/326>, abgerufen am 24.11.2024.