und wenn auch er selber bisweilen sie diese Erhabenheit fühlen liess, soweit es unbeschadet des kindlichen Gehor- sams geschehen konnte, der ja auch in unsrer Erzählung (V. 51.) ausdrücklich vorbehalten wird.
§. 38. Über die äussere Existenz Jesu bis zu seinem öffentlichen Auftritt.
In welchen äusseren Verhältnissen Jesus von der zu- lezt besprochenen Scene an bis zu der Zeit seines öffent- lichen Auftritts gelebt habe, darüber findet sich in unsern kanonischen Evangelien kaum eine Andeutung. Zuerst von seinem Aufenthaltsorte erfahren wir ausdrücklich nur diess, dass er sowohl am Anfang, als am Ende dieser dunkeln Periode in Nazaret gewesen sei. Nämlich nach Luc. 2, 51. kehrte der zwölfjährige Jesus mit seinen Eltern dahin zu- rück, und nach Matth. 3, 13. Marc. 1, 9. kam der dreis- sigjährige von da zur Taufe des Johannes. Es scheinen also unsere Evangelisten vorauszusetzen, Jesus habe auch in der Zwischenzeit in Galiläa und näher in Nazaret sich aufgehalten. Dass uns diese unbestimmte Andeutung nicht bindet, versteht sich; doch ohne positive Spuren können wir auch nicht das Gegentheil hehaupten.
Die Art der Beschäftigung Jesu in seinen Knaben- und Jünglingsjahren scheint sich, einer Andeutung unsrer Evangelien zufolge, nach dem Gewerbe seines Vaters be- stimmt zu haben, welchen sie als tekton bezeichnen (Matth. 13, 55.) Dieser von dem Gewerbe des Joseph gebrauchte Ausdruck wird gewöhnlich in der Bedeutung von faber lignarius gefasst 1), nur Einzelne haben aus mystischen Gründen einen faber ferrarius, aurarius, oder einen cae- mentarius darin gefunden 2). Die Holzarbeiten, welche
1) Daher die Überschrift eines arabischen Apokryphums (nach der lat. Übersetzung bei Thilo, 1, S. 3.): historia Josephi, fabri lignarii.
2) s. Thilo Cod. Apocr. N. T. 1, S. 368 f. not.
Erster Abschnitt.
und wenn auch er selber bisweilen sie diese Erhabenheit fühlen lieſs, soweit es unbeschadet des kindlichen Gehor- sams geschehen konnte, der ja auch in unsrer Erzählung (V. 51.) ausdrücklich vorbehalten wird.
§. 38. Über die äussere Existenz Jesu bis zu seinem öffentlichen Auftritt.
In welchen äusseren Verhältnissen Jesus von der zu- lezt besprochenen Scene an bis zu der Zeit seines öffent- lichen Auftritts gelebt habe, darüber findet sich in unsern kanonischen Evangelien kaum eine Andeutung. Zuerst von seinem Aufenthaltsorte erfahren wir ausdrücklich nur dieſs, daſs er sowohl am Anfang, als am Ende dieser dunkeln Periode in Nazaret gewesen sei. Nämlich nach Luc. 2, 51. kehrte der zwölfjährige Jesus mit seinen Eltern dahin zu- rück, und nach Matth. 3, 13. Marc. 1, 9. kam der dreis- sigjährige von da zur Taufe des Johannes. Es scheinen also unsere Evangelisten vorauszusetzen, Jesus habe auch in der Zwischenzeit in Galiläa und näher in Nazaret sich aufgehalten. Daſs uns diese unbestimmte Andeutung nicht bindet, versteht sich; doch ohne positive Spuren können wir auch nicht das Gegentheil hehaupten.
Die Art der Beschäftigung Jesu in seinen Knaben- und Jünglingsjahren scheint sich, einer Andeutung unsrer Evangelien zufolge, nach dem Gewerbe seines Vaters be- stimmt zu haben, welchen sie als τέκτων bezeichnen (Matth. 13, 55.) Dieser von dem Gewerbe des Joseph gebrauchte Ausdruck wird gewöhnlich in der Bedeutung von faber lignarius gefaſst 1), nur Einzelne haben aus mystischen Gründen einen faber ferrarius, aurarius, oder einen cae- mentarius darin gefunden 2). Die Holzarbeiten, welche
1) Daher die Überschrift eines arabischen Apokryphums (nach der lat. Übersetzung bei Thilo, 1, S. 3.): historia Josephi, fabri lignarii.
2) s. Thilo Cod. Apocr. N. T. 1, S. 368 f. not.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0318"n="294"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erster Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
und wenn auch er selber bisweilen sie diese Erhabenheit<lb/>
fühlen lieſs, soweit es unbeschadet des kindlichen Gehor-<lb/>
sams geschehen konnte, der ja auch in unsrer Erzählung<lb/>
(V. 51.) ausdrücklich vorbehalten wird.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 38.<lb/>
Über die äussere Existenz Jesu bis zu seinem öffentlichen Auftritt.</head><lb/><p>In welchen äusseren Verhältnissen Jesus von der zu-<lb/>
lezt besprochenen Scene an bis zu der Zeit seines öffent-<lb/>
lichen Auftritts gelebt habe, darüber findet sich in unsern<lb/>
kanonischen Evangelien kaum eine Andeutung. Zuerst von<lb/>
seinem Aufenthaltsorte erfahren wir ausdrücklich nur dieſs,<lb/>
daſs er sowohl am Anfang, als am Ende dieser dunkeln<lb/>
Periode in Nazaret gewesen sei. Nämlich nach Luc. 2, 51.<lb/>
kehrte der zwölfjährige Jesus mit seinen Eltern dahin zu-<lb/>
rück, und nach Matth. 3, 13. Marc. 1, 9. kam der dreis-<lb/>
sigjährige von da zur Taufe des Johannes. Es scheinen<lb/>
also unsere Evangelisten vorauszusetzen, Jesus habe auch<lb/>
in der Zwischenzeit in Galiläa und näher in Nazaret sich<lb/>
aufgehalten. Daſs uns diese unbestimmte Andeutung nicht<lb/>
bindet, versteht sich; doch ohne positive Spuren können<lb/>
wir auch nicht das Gegentheil hehaupten.</p><lb/><p>Die Art der Beschäftigung Jesu in seinen Knaben-<lb/>
und Jünglingsjahren scheint sich, einer Andeutung unsrer<lb/>
Evangelien zufolge, nach dem Gewerbe seines Vaters be-<lb/>
stimmt zu haben, welchen sie als <foreignxml:lang="ell">τέκτων</foreign> bezeichnen (Matth.<lb/>
13, 55.) Dieser von dem Gewerbe des Joseph gebrauchte<lb/>
Ausdruck wird gewöhnlich in der Bedeutung von <hirendition="#i">faber<lb/>
lignarius</hi> gefaſst <noteplace="foot"n="1)">Daher die Überschrift eines arabischen Apokryphums (nach<lb/>
der lat. Übersetzung bei <hirendition="#k">Thilo</hi>, 1, S. 3.): historia Josephi,<lb/>
fabri lignarii.</note>, nur Einzelne haben aus mystischen<lb/>
Gründen einen <hirendition="#i">faber ferrarius, aurarius</hi>, oder einen <hirendition="#i">cae-<lb/>
mentarius</hi> darin gefunden <noteplace="foot"n="2)">s. <hirendition="#k">Thilo</hi> Cod. Apocr. N. T. 1, S. 368 f. not.</note>. Die Holzarbeiten, welche<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[294/0318]
Erster Abschnitt.
und wenn auch er selber bisweilen sie diese Erhabenheit
fühlen lieſs, soweit es unbeschadet des kindlichen Gehor-
sams geschehen konnte, der ja auch in unsrer Erzählung
(V. 51.) ausdrücklich vorbehalten wird.
§. 38.
Über die äussere Existenz Jesu bis zu seinem öffentlichen Auftritt.
In welchen äusseren Verhältnissen Jesus von der zu-
lezt besprochenen Scene an bis zu der Zeit seines öffent-
lichen Auftritts gelebt habe, darüber findet sich in unsern
kanonischen Evangelien kaum eine Andeutung. Zuerst von
seinem Aufenthaltsorte erfahren wir ausdrücklich nur dieſs,
daſs er sowohl am Anfang, als am Ende dieser dunkeln
Periode in Nazaret gewesen sei. Nämlich nach Luc. 2, 51.
kehrte der zwölfjährige Jesus mit seinen Eltern dahin zu-
rück, und nach Matth. 3, 13. Marc. 1, 9. kam der dreis-
sigjährige von da zur Taufe des Johannes. Es scheinen
also unsere Evangelisten vorauszusetzen, Jesus habe auch
in der Zwischenzeit in Galiläa und näher in Nazaret sich
aufgehalten. Daſs uns diese unbestimmte Andeutung nicht
bindet, versteht sich; doch ohne positive Spuren können
wir auch nicht das Gegentheil hehaupten.
Die Art der Beschäftigung Jesu in seinen Knaben-
und Jünglingsjahren scheint sich, einer Andeutung unsrer
Evangelien zufolge, nach dem Gewerbe seines Vaters be-
stimmt zu haben, welchen sie als τέκτων bezeichnen (Matth.
13, 55.) Dieser von dem Gewerbe des Joseph gebrauchte
Ausdruck wird gewöhnlich in der Bedeutung von faber
lignarius gefaſst 1), nur Einzelne haben aus mystischen
Gründen einen faber ferrarius, aurarius, oder einen cae-
mentarius darin gefunden 2). Die Holzarbeiten, welche
1) Daher die Überschrift eines arabischen Apokryphums (nach
der lat. Übersetzung bei Thilo, 1, S. 3.): historia Josephi,
fabri lignarii.
2) s. Thilo Cod. Apocr. N. T. 1, S. 368 f. not.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/318>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.