himmlische Warnung dazwischen getreten sei 6). Jenen von Olshausen unbestimmt gelassenen Grund, der den El- tern Jesu eine Niederlassung in Bethlehem wünschenswerth machte, geben andere Ausleger, wie Heydenreich7), da- hin an, es habe ihnen am schicklichsten scheinen müssen, dass der ihnen geschenkte Davidssohn in der Davidsstadt erzogen werde. Welche Geschäftigkeit, in den Text hin- einzutragen, was nicht darin liegt, weil man von dem, was darin liegt, einem Widerspruch, nichts wissen will; welches einhellige Zusammenwirken der Rationalisten und Orthodoxen, wo es gilt, den gemeinschaftlichen Feind, die mythische Auffassung, zu bekämpfen, welche freilich den Vorurtheilen von diesen wie den Kunststücken von je- nen auf Einmal den Garaus macht. Alle jene Bemühun- gen aber können die Thatsache nicht wegräumen, welche von den tüchtigsten Kritikern anerkannt ist 8), dass die bei- den Evangelisten Verschiedenes, ja Entgegengeseztes voraus- setzen, dass also im besten Falle nur Einer von ihnen Recht haben kann; es fragt sich nur welcher?
Hier nun hängt die Art, wie Matthäus seine Darstel- lung, der Aufenthalt der Eltern Jesu in Nazaret sei erst Folge eines späteren Zuges gewesen, begründet hat, mit den unhistorischen Daten des bethlehemitischen Kinder- mords und der Flucht nach Ägypten so zusammen, dass ohne diese jede Veranlassung einer späteren Verlegung des Wohnsitzes hinwegfällt, und wir werden daher in diesem Stücke auf die Seite des Lukas treten, welcher die Eltern Jesu nach wie vor dessen Geburt an demselben Orte woh- nen lässt. Dafür hängt dann aber bei Lukas die Angabe, Jesus sei an einem andern Orte geboren als wo seine El-
6) Bibl. Comm. 1, S. 148, Anm.
7) Über die Unzulässigkeit der mythischen Auffassung u. s. f. 1, S. 101.
8)Schleiermacher, über den Lukas, S. 45. Sieffert, über den Ursprung des ersten kanonischen Evangeliums. S. 68 f.
Erster Abschnitt.
himmlische Warnung dazwischen getreten sei 6). Jenen von Olshausen unbestimmt gelassenen Grund, der den El- tern Jesu eine Niederlassung in Bethlehem wünschenswerth machte, geben andere Ausleger, wie Heydenreich7), da- hin an, es habe ihnen am schicklichsten scheinen müssen, daſs der ihnen geschenkte Davidssohn in der Davidsstadt erzogen werde. Welche Geschäftigkeit, in den Text hin- einzutragen, was nicht darin liegt, weil man von dem, was darin liegt, einem Widerspruch, nichts wissen will; welches einhellige Zusammenwirken der Rationalisten und Orthodoxen, wo es gilt, den gemeinschaftlichen Feind, die mythische Auffassung, zu bekämpfen, welche freilich den Vorurtheilen von diesen wie den Kunststücken von je- nen auf Einmal den Garaus macht. Alle jene Bemühun- gen aber können die Thatsache nicht wegräumen, welche von den tüchtigsten Kritikern anerkannt ist 8), daſs die bei- den Evangelisten Verschiedenes, ja Entgegengeseztes voraus- setzen, daſs also im besten Falle nur Einer von ihnen Recht haben kann; es fragt sich nur welcher?
Hier nun hängt die Art, wie Matthäus seine Darstel- lung, der Aufenthalt der Eltern Jesu in Nazaret sei erst Folge eines späteren Zuges gewesen, begründet hat, mit den unhistorischen Daten des bethlehemitischen Kinder- mords und der Flucht nach Ägypten so zusammen, daſs ohne diese jede Veranlassung einer späteren Verlegung des Wohnsitzes hinwegfällt, und wir werden daher in diesem Stücke auf die Seite des Lukas treten, welcher die Eltern Jesu nach wie vor dessen Geburt an demselben Orte woh- nen läſst. Dafür hängt dann aber bei Lukas die Angabe, Jesus sei an einem andern Orte geboren als wo seine El-
6) Bibl. Comm. 1, S. 148, Anm.
7) Über die Unzulässigkeit der mythischen Auffassung u. s. f. 1, S. 101.
8)Schleiermacher, über den Lukas, S. 45. Sieffert, über den Ursprung des ersten kanonischen Evangeliums. S. 68 f.
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Erster Abschnitt.
himmlische Warnung dazwischen getreten sei 6). Jenen
von Olshausen unbestimmt gelassenen Grund, der den El-
tern Jesu eine Niederlassung in Bethlehem wünschenswerth
machte, geben andere Ausleger, wie Heydenreich 7), da-
hin an, es habe ihnen am schicklichsten scheinen müssen,
daſs der ihnen geschenkte Davidssohn in der Davidsstadt
erzogen werde. Welche Geschäftigkeit, in den Text hin-
einzutragen, was nicht darin liegt, weil man von dem,
was darin liegt, einem Widerspruch, nichts wissen will;
welches einhellige Zusammenwirken der Rationalisten und
Orthodoxen, wo es gilt, den gemeinschaftlichen Feind,
die mythische Auffassung, zu bekämpfen, welche freilich
den Vorurtheilen von diesen wie den Kunststücken von je-
nen auf Einmal den Garaus macht. Alle jene Bemühun-
gen aber können die Thatsache nicht wegräumen, welche
von den tüchtigsten Kritikern anerkannt ist 8), daſs die bei-
den Evangelisten Verschiedenes, ja Entgegengeseztes voraus-
setzen, daſs also im besten Falle nur Einer von ihnen
Recht haben kann; es fragt sich nur welcher?
Hier nun hängt die Art, wie Matthäus seine Darstel-
lung, der Aufenthalt der Eltern Jesu in Nazaret sei erst
Folge eines späteren Zuges gewesen, begründet hat, mit
den unhistorischen Daten des bethlehemitischen Kinder-
mords und der Flucht nach Ägypten so zusammen, daſs
ohne diese jede Veranlassung einer späteren Verlegung des
Wohnsitzes hinwegfällt, und wir werden daher in diesem
Stücke auf die Seite des Lukas treten, welcher die Eltern
Jesu nach wie vor dessen Geburt an demselben Orte woh-
nen läſst. Dafür hängt dann aber bei Lukas die Angabe,
Jesus sei an einem andern Orte geboren als wo seine El-
6) Bibl. Comm. 1, S. 148, Anm.
7) Über die Unzulässigkeit der mythischen Auffassung u. s. f.
1, S. 101.
8) Schleiermacher, über den Lukas, S. 45. Sieffert, über den
Ursprung des ersten kanonischen Evangeliums. S. 68 f.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/296>, abgerufen am 16.07.2024.
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