Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Einleitung. §. 3. sten die jüdische Bildung, durch Berührung namentlichmit der griechischen, über sich selbst hinausgegangen war, in Alexandrien. Nach mehreren Vorgängern war es be- sonders Philo, welcher die Ansicht von einem gemeinen und einem tieferen Sinne der heiligen Schriften ausbildete, von welchen er den ersteren zwar keineswegs überhaupt verworfen wissen wollte, sondern grossentheils beide ne- beneinander hergehen liess: in vielen Fällen jedoch den buchstäblichen Sinn und die geschichtliche Auffassung völ- lig bei Seite setzte, und das Erzählte nur als bildliche Darstellung von Ideen gelten liess, namentlich so oft in der heiligen Geschichte sich Züge fanden, welche Gottes un- würdig zu sein, auf Materialismus und Anthropomorphis- mus in Bezug auf das göttliche Wesen zu führen schie- nen 2). Dass sich neben dieser Erklärungsweise des A. T., welche, um die Reinheit des absoluten Inhalts zu retten, nicht selten die Form des historischen Geschehenseins auf- gab, nicht auch die entgegengesetzte (euemeristische) aus- bildete, die Geschichte zwar stehen zu lassen, aber sie zu einer gemein-menschlichen zu entgöttern, erklärt sich aus dem supranaturalistischen Standpunkt, welchen die Juden immer festgehalten haben. Erst von den Christen ist auch diese Art der Auslegung über die Bücher des A. T. ver- hängt worden 3). 2) s. Gfrörer, Philo und die alexandrinische Theosophie 1. Thl. S. 84 ff. 95 ff. Über die mosaische Erzählung z. B. von der Erschaffung des Weibes aus der Ribbe des Mannes sagt er geradezu: to Reton epi tetou muthodis esi. Legis alleg. 1. ed. Mang. 1, 70. bei Gfrörer a. a. O. S. 98. 3) Eine ähnliche allegorische Auslegungsweise auch bei andern
Völkern, bei Persern, Türken, weist Döpke nach S. 126 f.; vgl. auch Kant, Relig. innerhalb der Grenzen d. bl. V. Drit- tes Stück No. VI. Einleitung. §. 3. sten die jüdische Bildung, durch Berührung namentlichmit der griechischen, über sich selbst hinausgegangen war, in Alexandrien. Nach mehreren Vorgängern war es be- sonders Philo, welcher die Ansicht von einem gemeinen und einem tieferen Sinne der heiligen Schriften ausbildete, von welchen er den ersteren zwar keineswegs überhaupt verworfen wissen wollte, sondern groſsentheils beide ne- beneinander hergehen lieſs: in vielen Fällen jedoch den buchstäblichen Sinn und die geschichtliche Auffassung völ- lig bei Seite setzte, und das Erzählte nur als bildliche Darstellung von Ideen gelten lieſs, namentlich so oft in der heiligen Geschichte sich Züge fanden, welche Gottes un- würdig zu sein, auf Materialismus und Anthropomorphis- mus in Bezug auf das göttliche Wesen zu führen schie- nen 2). Daſs sich neben dieser Erklärungsweise des A. T., welche, um die Reinheit des absoluten Inhalts zu retten, nicht selten die Form des historischen Geschehenseins auf- gab, nicht auch die entgegengesetzte (euemeristische) aus- bildete, die Geschichte zwar stehen zu lassen, aber sie zu einer gemein-menschlichen zu entgöttern, erklärt sich aus dem supranaturalistischen Standpunkt, welchen die Juden immer festgehalten haben. Erst von den Christen ist auch diese Art der Auslegung über die Bücher des A. T. ver- hängt worden 3). 2) s. Gfrörer, Philo und die alexandrinische Theosophie 1. Thl. S. 84 ff. 95 ff. Über die mosaische Erzählung z. B. von der Erschaffung des Weibes aus der Ribbe des Mannes sagt er geradezu: τὸ ῥητὸν ἐπὶ τέτου μυϑῶδις ἐςι. Legis alleg. 1. ed. Mang. 1, 70. bei Gfrörer a. a. O. S. 98. 3) Eine ähnliche allegorische Auslegungsweise auch bei andern
Völkern, bei Persern, Türken, weist Döpke nach S. 126 f.; vgl. auch Kant, Relig. innerhalb der Grenzen d. bl. V. Drit- tes Stück No. VI. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0029" n="5"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>. §. 3.</fw><lb/> sten die jüdische Bildung, durch Berührung namentlich<lb/> mit der griechischen, über sich selbst hinausgegangen war,<lb/> in Alexandrien. Nach mehreren Vorgängern war es be-<lb/> sonders <hi rendition="#k">Philo</hi>, welcher die Ansicht von einem gemeinen<lb/> und einem tieferen Sinne der heiligen Schriften ausbildete,<lb/> von welchen er den ersteren zwar keineswegs überhaupt<lb/> verworfen wissen wollte, sondern groſsentheils beide ne-<lb/> beneinander hergehen lieſs: in vielen Fällen jedoch den<lb/> buchstäblichen Sinn und die geschichtliche Auffassung völ-<lb/> lig bei Seite setzte, und das Erzählte nur als bildliche<lb/> Darstellung von Ideen gelten lieſs, namentlich so oft in der<lb/> heiligen Geschichte sich Züge fanden, welche Gottes un-<lb/> würdig zu sein, auf Materialismus und Anthropomorphis-<lb/> mus in Bezug auf das göttliche Wesen zu führen schie-<lb/> nen <note place="foot" n="2)">s. <hi rendition="#k">Gfrörer</hi>, Philo und die alexandrinische Theosophie 1. Thl.<lb/> S. 84 ff. 95 ff. Über die mosaische Erzählung z. B. von der<lb/> Erschaffung des Weibes aus der Ribbe des Mannes sagt er<lb/> geradezu: <foreign xml:lang="ell">τὸ ῥητὸν ἐπὶ τέτου μυϑῶδις ἐςι</foreign>. Legis alleg. 1.<lb/> ed. Mang. 1, 70. bei <hi rendition="#k">Gfrörer</hi> a. a. O. S. 98.</note>. Daſs sich neben dieser Erklärungsweise des A. T.,<lb/> welche, um die Reinheit des absoluten Inhalts zu retten,<lb/> nicht selten die Form des historischen Geschehenseins auf-<lb/> gab, nicht auch die entgegengesetzte (euemeristische) aus-<lb/> bildete, die Geschichte zwar stehen zu lassen, aber sie zu<lb/> einer gemein-menschlichen zu entgöttern, erklärt sich aus<lb/> dem supranaturalistischen Standpunkt, welchen die Juden<lb/> immer festgehalten haben. Erst von den Christen ist auch<lb/> diese Art der Auslegung über die Bücher des A. T. ver-<lb/> hängt worden <note place="foot" n="3)">Eine ähnliche allegorische Auslegungsweise auch bei andern<lb/> Völkern, bei Persern, Türken, weist <hi rendition="#k">Döpke</hi> nach S. 126 f.;<lb/> vgl. auch <hi rendition="#k">Kant</hi>, Relig. innerhalb der <choice><sic>Grenzeu</sic><corr>Grenzen</corr></choice> d. bl. V. Drit-<lb/> tes Stück No. VI.</note>.</p> </div><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [5/0029]
Einleitung. §. 3.
sten die jüdische Bildung, durch Berührung namentlich
mit der griechischen, über sich selbst hinausgegangen war,
in Alexandrien. Nach mehreren Vorgängern war es be-
sonders Philo, welcher die Ansicht von einem gemeinen
und einem tieferen Sinne der heiligen Schriften ausbildete,
von welchen er den ersteren zwar keineswegs überhaupt
verworfen wissen wollte, sondern groſsentheils beide ne-
beneinander hergehen lieſs: in vielen Fällen jedoch den
buchstäblichen Sinn und die geschichtliche Auffassung völ-
lig bei Seite setzte, und das Erzählte nur als bildliche
Darstellung von Ideen gelten lieſs, namentlich so oft in der
heiligen Geschichte sich Züge fanden, welche Gottes un-
würdig zu sein, auf Materialismus und Anthropomorphis-
mus in Bezug auf das göttliche Wesen zu führen schie-
nen 2). Daſs sich neben dieser Erklärungsweise des A. T.,
welche, um die Reinheit des absoluten Inhalts zu retten,
nicht selten die Form des historischen Geschehenseins auf-
gab, nicht auch die entgegengesetzte (euemeristische) aus-
bildete, die Geschichte zwar stehen zu lassen, aber sie zu
einer gemein-menschlichen zu entgöttern, erklärt sich aus
dem supranaturalistischen Standpunkt, welchen die Juden
immer festgehalten haben. Erst von den Christen ist auch
diese Art der Auslegung über die Bücher des A. T. ver-
hängt worden 3).
2) s. Gfrörer, Philo und die alexandrinische Theosophie 1. Thl.
S. 84 ff. 95 ff. Über die mosaische Erzählung z. B. von der
Erschaffung des Weibes aus der Ribbe des Mannes sagt er
geradezu: τὸ ῥητὸν ἐπὶ τέτου μυϑῶδις ἐςι. Legis alleg. 1.
ed. Mang. 1, 70. bei Gfrörer a. a. O. S. 98.
3) Eine ähnliche allegorische Auslegungsweise auch bei andern
Völkern, bei Persern, Türken, weist Döpke nach S. 126 f.;
vgl. auch Kant, Relig. innerhalb der Grenzen d. bl. V. Drit-
tes Stück No. VI.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |