Wenn somit die Darstellung Jesu im Tempel weder früher noch auch später stattgefunden haben kann, als der Besuch der Magier und die Flucht nach Aegypten, und ebenso wenig diese letztere Begebenheit früher oder spä- ter als jene erste: so ist es also unmöglich, dass die eine sowohl als die andere sollte vorgefallen sein, sondern höch- stens kann die eine oder die andere sich ereignet haben 5). Hätten wir sonach zu wählen, so dürften wir uns, so weit wir jetzt in der Untersuchung sind, in keinem Fall für die Erzählung des Matthäus und gegen die des Lukas entschei- den, sondern, da wir jene als mythisch erkannt haben, so bliebe uns nur übrig, mit neuern Kritikern 6) an der Er- zählung des Lukas festzuhalten und die des Matthäus preiss- zugeben. Indess, ob nicht auch jene von gleicher Quali- tät mit dieser sei, mithin statt des Entweder, Oder, viel- mehr weder die eine noch die andre als historisch festge- halten werden dürfe, wird die nächstfolgende Untersuchung lehren.
§. 34. Die Darstellung Jesu im Tempel.
Die Erzählung von der Darstellung Jesu im Tempel (Luc. 2, 22--38.) scheint auf den ersten Anblick ein ganz
hältnisses der beiden Begebenheiten findet sich auch zwischen zwei verschiedenen Texten des Apokryphums: historia de na- tivitate Mariae et de inf. serv., s. bei Thilo, S. 385, not.
5) Diese Unverträglichkeit der beiden Erzählungen ist schon frühe einigen Gegnern des Christenthums (Epiphanius, hae- res. 51, 8. nennt neben Celsus und Porphyr noch einen Phi- losabbatius) zum Bewusstsein gekommen. Nur überspannten sie den Bogen dadurch, dass sie den Matthäus so deuteten, als sollten noch in der Geburtsnacht Jesu die Magier ange- kommen sein.
6)Schleiermacher, über den Lukas, S. 47. Schneckenburger a. a. O.
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Viertes Kapitel. §. 34.
Wenn somit die Darstellung Jesu im Tempel weder früher noch auch später stattgefunden haben kann, als der Besuch der Magier und die Flucht nach Aegypten, und ebenso wenig diese letztere Begebenheit früher oder spä- ter als jene erste: so ist es also unmöglich, daſs die eine sowohl als die andere sollte vorgefallen sein, sondern höch- stens kann die eine oder die andere sich ereignet haben 5). Hätten wir sonach zu wählen, so dürften wir uns, so weit wir jetzt in der Untersuchung sind, in keinem Fall für die Erzählung des Matthäus und gegen die des Lukas entschei- den, sondern, da wir jene als mythisch erkannt haben, so bliebe uns nur übrig, mit neuern Kritikern 6) an der Er- zählung des Lukas festzuhalten und die des Matthäus preiſs- zugeben. Indeſs, ob nicht auch jene von gleicher Quali- tät mit dieser sei, mithin statt des Entweder, Oder, viel- mehr weder die eine noch die andre als historisch festge- halten werden dürfe, wird die nächstfolgende Untersuchung lehren.
§. 34. Die Darstellung Jesu im Tempel.
Die Erzählung von der Darstellung Jesu im Tempel (Luc. 2, 22—38.) scheint auf den ersten Anblick ein ganz
hältnisses der beiden Begebenheiten findet sich auch zwischen zwei verschiedenen Texten des Apokryphums: historia de na- tivitate Mariae et de inf. serv., s. bei Thilo, S. 385, not.
5) Diese Unverträglichkeit der beiden Erzählungen ist schon frühe einigen Gegnern des Christenthums (Epiphanius, hae- res. 51, 8. nennt neben Celsus und Porphyr noch einen Phi- losabbatius) zum Bewusstsein gekommen. Nur überspannten sie den Bogen dadurch, dass sie den Matthäus so deuteten, als sollten noch in der Geburtsnacht Jesu die Magier ange- kommen sein.
6)Schleiermacher, über den Lukas, S. 47. Schneckenburger a. a. O.
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Viertes Kapitel. §. 34.
Wenn somit die Darstellung Jesu im Tempel weder
früher noch auch später stattgefunden haben kann, als der
Besuch der Magier und die Flucht nach Aegypten, und
ebenso wenig diese letztere Begebenheit früher oder spä-
ter als jene erste: so ist es also unmöglich, daſs die eine
sowohl als die andere sollte vorgefallen sein, sondern höch-
stens kann die eine oder die andere sich ereignet haben 5).
Hätten wir sonach zu wählen, so dürften wir uns, so weit
wir jetzt in der Untersuchung sind, in keinem Fall für die
Erzählung des Matthäus und gegen die des Lukas entschei-
den, sondern, da wir jene als mythisch erkannt haben, so
bliebe uns nur übrig, mit neuern Kritikern 6) an der Er-
zählung des Lukas festzuhalten und die des Matthäus preiſs-
zugeben. Indeſs, ob nicht auch jene von gleicher Quali-
tät mit dieser sei, mithin statt des Entweder, Oder, viel-
mehr weder die eine noch die andre als historisch festge-
halten werden dürfe, wird die nächstfolgende Untersuchung
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Die Darstellung Jesu im Tempel.
Die Erzählung von der Darstellung Jesu im Tempel
(Luc. 2, 22—38.) scheint auf den ersten Anblick ein ganz
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5) Diese Unverträglichkeit der beiden Erzählungen ist schon
frühe einigen Gegnern des Christenthums (Epiphanius, hae-
res. 51, 8. nennt neben Celsus und Porphyr noch einen Phi-
losabbatius) zum Bewusstsein gekommen. Nur überspannten
sie den Bogen dadurch, dass sie den Matthäus so deuteten,
als sollten noch in der Geburtsnacht Jesu die Magier ange-
kommen sein.
6) Schleiermacher, über den Lukas, S. 47. Schneckenburger
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4) hältnisses der beiden Begebenheiten findet sich auch zwischen
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/283>, abgerufen am 19.11.2024.
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