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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Viertes Kapitel. §. 32.
ist in der Erzählung des Matthäus vollständig motivirt:
bei der zulezt ausgeführten Erklärungsweise aber bleibt
es ein wunderlicher Zufall. Das Blutbad zu Bethlehem
hat in der evangelischen Geschichte seine bestimmte Ver-
anlassung: hier aber begreift man nicht, wie Herodes da-
zu gekommen sein soll, es zu veranstalten, und ebenso steht
die Reise Jesu nach Ägypten, so dringend begründet bei
Matthäus, bei dieser Ansicht ganz unerklärlich da. Man
kann zwar sagen: diese Begebenheiten werden in der Wirk-
lichkeit ihre hinreichenden Veranlassungen gehabt haben,
nur dass Matthäus diesen natürlichen Zusammenhang ver-
schwiegen und einen andern wunderhaften an die Stelle ge-
sezt hat. Allein der Schriftsteller oder die Sage, wenn
sie Begebenheiten mit ganz falschen Motiven und Neben-
umständen zu umgeben im Stande sind: so vermögen sie
auch die Begebenheiten selbst zu erdichten, und diess wird
um so wahrscheinlicher, je klarer sich nachweisen lässt,
wie die Sage, auch ohne dass irgend etwas dergleichen
wirklich vorgefallen war, ein Interesse haben konnte, es
als so vorgefallen darzustellen. Diess lässt sich aber kaum
bei einem evangelischen Abschnitt einleuchtender machen,
als eben bei dem unsrigen.

§. 32.
Die Erzählung von den Magiern und was damit zusammenhängt,
rein mythisch.

In naiver Weise haben mehrere Kirchenväter auf
den wahren Schlüssel der Erzählung von den Magiern und
ihrem Sterne hingewiesen, indem sie, um zu erklären, wo-
her jene heidnischen Astrologen von einem Stern des Mes-
sias haben wissen können, die Vermuthung aufstellten, sie
mögen wohl aus den Weissagungen des heidnischen Pro-
pheten Bileam, dessen Orakel von dem aus Jakob aufge-
henden Sterne auch bei Moses sich finde, geschöpft ha-

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Viertes Kapitel. §. 32.
ist in der Erzählung des Matthäus vollständig motivirt:
bei der zulezt ausgeführten Erklärungsweise aber bleibt
es ein wunderlicher Zufall. Das Blutbad zu Bethlehem
hat in der evangelischen Geschichte seine bestimmte Ver-
anlassung: hier aber begreift man nicht, wie Herodes da-
zu gekommen sein soll, es zu veranstalten, und ebenso steht
die Reise Jesu nach Ägypten, so dringend begründet bei
Matthäus, bei dieser Ansicht ganz unerklärlich da. Man
kann zwar sagen: diese Begebenheiten werden in der Wirk-
lichkeit ihre hinreichenden Veranlassungen gehabt haben,
nur daſs Matthäus diesen natürlichen Zusammenhang ver-
schwiegen und einen andern wunderhaften an die Stelle ge-
sezt hat. Allein der Schriftsteller oder die Sage, wenn
sie Begebenheiten mit ganz falschen Motiven und Neben-
umständen zu umgeben im Stande sind: so vermögen sie
auch die Begebenheiten selbst zu erdichten, und dieſs wird
um so wahrscheinlicher, je klarer sich nachweisen läſst,
wie die Sage, auch ohne daſs irgend etwas dergleichen
wirklich vorgefallen war, ein Interesse haben konnte, es
als so vorgefallen darzustellen. Dieſs läſst sich aber kaum
bei einem evangelischen Abschnitt einleuchtender machen,
als eben bei dem unsrigen.

§. 32.
Die Erzählung von den Magiern und was damit zusammenhängt,
rein mythisch.

In naiver Weise haben mehrere Kirchenväter auf
den wahren Schlüssel der Erzählung von den Magiern und
ihrem Sterne hingewiesen, indem sie, um zu erklären, wo-
her jene heidnischen Astrologen von einem Stern des Mes-
sias haben wissen können, die Vermuthung aufstellten, sie
mögen wohl aus den Weissagungen des heidnischen Pro-
pheten Bileam, dessen Orakel von dem aus Jakob aufge-
henden Sterne auch bei Moses sich finde, geschöpft ha-

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[243/0267] Viertes Kapitel. §. 32. ist in der Erzählung des Matthäus vollständig motivirt: bei der zulezt ausgeführten Erklärungsweise aber bleibt es ein wunderlicher Zufall. Das Blutbad zu Bethlehem hat in der evangelischen Geschichte seine bestimmte Ver- anlassung: hier aber begreift man nicht, wie Herodes da- zu gekommen sein soll, es zu veranstalten, und ebenso steht die Reise Jesu nach Ägypten, so dringend begründet bei Matthäus, bei dieser Ansicht ganz unerklärlich da. Man kann zwar sagen: diese Begebenheiten werden in der Wirk- lichkeit ihre hinreichenden Veranlassungen gehabt haben, nur daſs Matthäus diesen natürlichen Zusammenhang ver- schwiegen und einen andern wunderhaften an die Stelle ge- sezt hat. Allein der Schriftsteller oder die Sage, wenn sie Begebenheiten mit ganz falschen Motiven und Neben- umständen zu umgeben im Stande sind: so vermögen sie auch die Begebenheiten selbst zu erdichten, und dieſs wird um so wahrscheinlicher, je klarer sich nachweisen läſst, wie die Sage, auch ohne daſs irgend etwas dergleichen wirklich vorgefallen war, ein Interesse haben konnte, es als so vorgefallen darzustellen. Dieſs läſst sich aber kaum bei einem evangelischen Abschnitt einleuchtender machen, als eben bei dem unsrigen. §. 32. Die Erzählung von den Magiern und was damit zusammenhängt, rein mythisch. In naiver Weise haben mehrere Kirchenväter auf den wahren Schlüssel der Erzählung von den Magiern und ihrem Sterne hingewiesen, indem sie, um zu erklären, wo- her jene heidnischen Astrologen von einem Stern des Mes- sias haben wissen können, die Vermuthung aufstellten, sie mögen wohl aus den Weissagungen des heidnischen Pro- pheten Bileam, dessen Orakel von dem aus Jakob aufge- henden Sterne auch bei Moses sich finde, geschöpft ha- 16*

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/267>, abgerufen am 19.11.2024.