bicum, wo ihnen, als sie zur Höhle gekommen, Freuden- feuer anzündeten, das himmlische Heer erscheint 10).
Nehmen wir nun die von Lukas erzählten Umstände der Geburt Jesu in supranaturalem Sinne, so ergeben sich mehrere Schwierigkeiten. Zuerst lässt sich billig fragen, welchem Zweck die Engelerscheinung dienen sollte? 11) Die nächste Antwort ist: die Geburt Jesu bekannt zu machen. Aber sie wird ja durch dieselbe so wenig bekannt, dass in das so nahe gelegene Jerusalem erst später die Magier die erste Kunde von dem neugeborenen Judenkönig brin- gen, und überhaupt in der weiteren Geschichte keine Spur eines solchen Vorfalls bei der Geburt Jesu sich findet. Kann demnach der Zweck jener ausserordentlichen Er- scheinung nicht ihr Bekanntwerden in weiteren Kreisen gewesen sein, weil sonst Gott seinen Zweck verfehlt ha- ben würde: so müsste man mit Schleiermacher annehmen, sie habe nur in der unmittelbaren Wirkung auf die Hir- ten selber ihr Ziel gehabt 12). Dabei müsste man dann aber mit Schleiermacher und Olshausen13) voraussetzen, diese Hirten seien, wie jener Simeon, von messianischen Erwartungen besonders erfüllt gewesen, und diesen ihren frommen Glauben habe Gott durch jene Erscheinung be- lohnen und befestigen wollen. Aber weder von einer sol- chen Beschaffenheit der Hirten berichtet die Erzählung ir- gend etwas, noch wird eine bleibende Wirkung auf die- selben bemerklich gemacht; überhaupt erscheint der gan- zen Darstellung zufolge nichts die Hirten Betreffendes als Zweck der Erscheinung, sondern lediglich die Verherrli- chung und Bekanntmachung der Geburt Jesu als des Mes- sias. Da aber das Letztere, wie schon bemerkt, nicht er-
10) Cap. 4, bei Thilo, S. 69.
11) S. Gabler im neuest. theol. Journal 7, 4, S. 410.
12) Über den Lukas, S. 33.
13) a. a. O. S. 132.
Erster Abschnitt.
bicum, wo ihnen, als sie zur Höhle gekommen, Freuden- feuer anzündeten, das himmlische Heer erscheint 10).
Nehmen wir nun die von Lukas erzählten Umstände der Geburt Jesu in supranaturalem Sinne, so ergeben sich mehrere Schwierigkeiten. Zuerst läſst sich billig fragen, welchem Zweck die Engelerscheinung dienen sollte? 11) Die nächste Antwort ist: die Geburt Jesu bekannt zu machen. Aber sie wird ja durch dieselbe so wenig bekannt, daſs in das so nahe gelegene Jerusalem erst später die Magier die erste Kunde von dem neugeborenen Judenkönig brin- gen, und überhaupt in der weiteren Geschichte keine Spur eines solchen Vorfalls bei der Geburt Jesu sich findet. Kann demnach der Zweck jener ausserordentlichen Er- scheinung nicht ihr Bekanntwerden in weiteren Kreisen gewesen sein, weil sonst Gott seinen Zweck verfehlt ha- ben würde: so müſste man mit Schleiermacher annehmen, sie habe nur in der unmittelbaren Wirkung auf die Hir- ten selber ihr Ziel gehabt 12). Dabei müſste man dann aber mit Schleiermacher und Olshausen13) voraussetzen, diese Hirten seien, wie jener Simeon, von messianischen Erwartungen besonders erfüllt gewesen, und diesen ihren frommen Glauben habe Gott durch jene Erscheinung be- lohnen und befestigen wollen. Aber weder von einer sol- chen Beschaffenheit der Hirten berichtet die Erzählung ir- gend etwas, noch wird eine bleibende Wirkung auf die- selben bemerklich gemacht; überhaupt erscheint der gan- zen Darstellung zufolge nichts die Hirten Betreffendes als Zweck der Erscheinung, sondern lediglich die Verherrli- chung und Bekanntmachung der Geburt Jesu als des Mes- sias. Da aber das Letztere, wie schon bemerkt, nicht er-
10) Cap. 4, bei Thilo, S. 69.
11) S. Gabler im neuest. theol. Journal 7, 4, S. 410.
12) Über den Lukas, S. 33.
13) a. a. O. S. 132.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0234"n="210"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erster Abschnitt</hi>.</fw><lb/><hirendition="#i">bicum</hi>, wo ihnen, als sie zur Höhle gekommen, Freuden-<lb/>
feuer anzündeten, das himmlische Heer erscheint <noteplace="foot"n="10)">Cap. 4, bei <hirendition="#k">Thilo</hi>, S. 69.</note>.</p><lb/><p>Nehmen wir nun die von Lukas erzählten Umstände<lb/>
der Geburt Jesu in supranaturalem Sinne, so ergeben sich<lb/>
mehrere Schwierigkeiten. Zuerst läſst sich billig fragen,<lb/>
welchem Zweck die Engelerscheinung dienen sollte? <noteplace="foot"n="11)">S. <hirendition="#k">Gabler</hi> im neuest. theol. Journal 7, 4, S. 410.</note> Die<lb/>
nächste Antwort ist: die Geburt Jesu bekannt zu machen.<lb/>
Aber sie wird ja durch dieselbe so wenig bekannt, daſs<lb/>
in das so nahe gelegene Jerusalem erst später die Magier<lb/>
die erste Kunde von dem neugeborenen Judenkönig brin-<lb/>
gen, und überhaupt in der weiteren Geschichte keine Spur<lb/>
eines solchen Vorfalls bei der Geburt Jesu sich findet.<lb/>
Kann demnach der Zweck jener ausserordentlichen Er-<lb/>
scheinung nicht ihr Bekanntwerden in weiteren Kreisen<lb/>
gewesen sein, weil sonst Gott seinen Zweck verfehlt ha-<lb/>
ben würde: so müſste man mit <hirendition="#k">Schleiermacher</hi> annehmen,<lb/>
sie habe nur in der unmittelbaren Wirkung auf die Hir-<lb/>
ten selber ihr Ziel gehabt <noteplace="foot"n="12)">Über den Lukas, S. 33.</note>. Dabei müſste man dann<lb/>
aber mit <hirendition="#k">Schleiermacher</hi> und <hirendition="#k">Olshausen</hi><noteplace="foot"n="13)">a. a. O. S. 132.</note> voraussetzen,<lb/>
diese Hirten seien, wie jener Simeon, von messianischen<lb/>
Erwartungen besonders erfüllt gewesen, und diesen ihren<lb/>
frommen Glauben habe Gott durch jene Erscheinung be-<lb/>
lohnen und befestigen wollen. Aber weder von einer sol-<lb/>
chen Beschaffenheit der Hirten berichtet die Erzählung ir-<lb/>
gend etwas, noch wird eine bleibende Wirkung auf die-<lb/>
selben bemerklich gemacht; überhaupt erscheint der gan-<lb/>
zen Darstellung zufolge nichts die Hirten Betreffendes als<lb/>
Zweck der Erscheinung, sondern lediglich die Verherrli-<lb/>
chung und Bekanntmachung der Geburt Jesu als des Mes-<lb/>
sias. Da aber das Letztere, wie schon bemerkt, nicht er-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[210/0234]
Erster Abschnitt.
bicum, wo ihnen, als sie zur Höhle gekommen, Freuden-
feuer anzündeten, das himmlische Heer erscheint 10).
Nehmen wir nun die von Lukas erzählten Umstände
der Geburt Jesu in supranaturalem Sinne, so ergeben sich
mehrere Schwierigkeiten. Zuerst läſst sich billig fragen,
welchem Zweck die Engelerscheinung dienen sollte? 11) Die
nächste Antwort ist: die Geburt Jesu bekannt zu machen.
Aber sie wird ja durch dieselbe so wenig bekannt, daſs
in das so nahe gelegene Jerusalem erst später die Magier
die erste Kunde von dem neugeborenen Judenkönig brin-
gen, und überhaupt in der weiteren Geschichte keine Spur
eines solchen Vorfalls bei der Geburt Jesu sich findet.
Kann demnach der Zweck jener ausserordentlichen Er-
scheinung nicht ihr Bekanntwerden in weiteren Kreisen
gewesen sein, weil sonst Gott seinen Zweck verfehlt ha-
ben würde: so müſste man mit Schleiermacher annehmen,
sie habe nur in der unmittelbaren Wirkung auf die Hir-
ten selber ihr Ziel gehabt 12). Dabei müſste man dann
aber mit Schleiermacher und Olshausen 13) voraussetzen,
diese Hirten seien, wie jener Simeon, von messianischen
Erwartungen besonders erfüllt gewesen, und diesen ihren
frommen Glauben habe Gott durch jene Erscheinung be-
lohnen und befestigen wollen. Aber weder von einer sol-
chen Beschaffenheit der Hirten berichtet die Erzählung ir-
gend etwas, noch wird eine bleibende Wirkung auf die-
selben bemerklich gemacht; überhaupt erscheint der gan-
zen Darstellung zufolge nichts die Hirten Betreffendes als
Zweck der Erscheinung, sondern lediglich die Verherrli-
chung und Bekanntmachung der Geburt Jesu als des Mes-
sias. Da aber das Letztere, wie schon bemerkt, nicht er-
10) Cap. 4, bei Thilo, S. 69.
11) S. Gabler im neuest. theol. Journal 7, 4, S. 410.
12) Über den Lukas, S. 33.
13) a. a. O. S. 132.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/234>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.