Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Viertes Kapitel. §. 28. dieser griff er um so unbedenklicher, je mehr ihm bei sei-ner dunkeln Vorstellung von den Verhältnissen jener Zeit die vielen Schwierigkeiten verborgen waren, welche in die- ser Combination liegen. Steht es so mit seiner Notiz: so wird man K. Ch. L. Schmidt Recht geben müssen, wenn er sagt, durch die Versuche, die Angabe des Lukas von der apographe mit der Chronologie in Einklang zu bringen, wer- de dem Referenten viel zu viel Ehre angethan; er habe die Maria nach Bethlehem hinübersetzen wollen, und da habe sich die liebe Zeit nach seinem Willen fügen müs- sen 28). Um so auffallender ist es, dass selbst noch die neueste Kritik des Matthäus-Evangeliums die historische Richtigkeit der in Frage stehenden Notiz des Lukas so ent- schieden voraussetzt, dass sie es dem Matthäus zum Vor- wurf macht, von den besondern Umständen nichts zu wis- sen, durch welche die Eltern Jesu von Nazaret nach Beth- lehem geführt worden seien 29). Gewiss hat in diesem Punk- te Matthäus durch sein Schweigen sich weniger verredet, als Lukas durch seine, gelehrt scheinende, chronologische Notiz. Also weder einen festen Anhaltspunkt für die Chro- nologie der Geburt Jesu bekommen wir hier, noch auch einen Aufschluss über die Veranlassung, welche seine Ge- burt gerade in Bethlehem herbeiführte. Lässt sich, -- kön- nen wir hier schon sagen, -- kein anderer Grund beibrin- gen, warum Jesus in Bethlehem soll geboren worden sein, als der von Lukas angegebene: so haben wir gar keine Bürgschaft, dass Bethlehem sein Geburtsort sei 30). 28) In Schmidt's Bibliothek für Kritik und Exegese 3, 1, S. 124. 29) Sieffert, über den Ursprung des ersten kanonischen Evange- liums, S. 68 ff. 158 f. S. dagegen Kern, über den Ursprung des Evang. Matth., in der Tübinger Zeitschrift für Theolo- gie, 1834, 2tes Heft, S. 115. 30) Vgl. Kaiser, bibl. Theologie 1, S. 230.
Viertes Kapitel. §. 28. dieser griff er um so unbedenklicher, je mehr ihm bei sei-ner dunkeln Vorstellung von den Verhältnissen jener Zeit die vielen Schwierigkeiten verborgen waren, welche in die- ser Combination liegen. Steht es so mit seiner Notiz: so wird man K. Ch. L. Schmidt Recht geben müssen, wenn er sagt, durch die Versuche, die Angabe des Lukas von der ἀπογραφὴ mit der Chronologie in Einklang zu bringen, wer- de dem Referenten viel zu viel Ehre angethan; er habe die Maria nach Bethlehem hinübersetzen wollen, und da habe sich die liebe Zeit nach seinem Willen fügen müs- sen 28). Um so auffallender ist es, daſs selbst noch die neueste Kritik des Matthäus-Evangeliums die historische Richtigkeit der in Frage stehenden Notiz des Lukas so ent- schieden voraussetzt, daſs sie es dem Matthäus zum Vor- wurf macht, von den besondern Umständen nichts zu wis- sen, durch welche die Eltern Jesu von Nazaret nach Beth- lehem geführt worden seien 29). Gewiſs hat in diesem Punk- te Matthäus durch sein Schweigen sich weniger verredet, als Lukas durch seine, gelehrt scheinende, chronologische Notiz. Also weder einen festen Anhaltspunkt für die Chro- nologie der Geburt Jesu bekommen wir hier, noch auch einen Aufschluſs über die Veranlassung, welche seine Ge- burt gerade in Bethlehem herbeiführte. Läſst sich, — kön- nen wir hier schon sagen, — kein anderer Grund beibrin- gen, warum Jesus in Bethlehem soll geboren worden sein, als der von Lukas angegebene: so haben wir gar keine Bürgschaft, daſs Bethlehem sein Geburtsort sei 30). 28) In Schmidt's Bibliothek für Kritik und Exegese 3, 1, S. 124. 29) Sieffert, über den Ursprung des ersten kanonischen Evange- liums, S. 68 ff. 158 f. S. dagegen Kern, über den Ursprung des Evang. Matth., in der Tübinger Zeitschrift für Theolo- gie, 1834, 2tes Heft, S. 115. 30) Vgl. Kaiser, bibl. Theologie 1, S. 230.
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Viertes Kapitel. §. 28.
dieser griff er um so unbedenklicher, je mehr ihm bei sei-
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die vielen Schwierigkeiten verborgen waren, welche in die-
ser Combination liegen. Steht es so mit seiner Notiz: so
wird man K. Ch. L. Schmidt Recht geben müssen, wenn
er sagt, durch die Versuche, die Angabe des Lukas von der
ἀπογραφὴ mit der Chronologie in Einklang zu bringen, wer-
de dem Referenten viel zu viel Ehre angethan; er habe
die Maria nach Bethlehem hinübersetzen wollen, und da
habe sich die liebe Zeit nach seinem Willen fügen müs-
sen 28). Um so auffallender ist es, daſs selbst noch die
neueste Kritik des Matthäus-Evangeliums die historische
Richtigkeit der in Frage stehenden Notiz des Lukas so ent-
schieden voraussetzt, daſs sie es dem Matthäus zum Vor-
wurf macht, von den besondern Umständen nichts zu wis-
sen, durch welche die Eltern Jesu von Nazaret nach Beth-
lehem geführt worden seien 29). Gewiſs hat in diesem Punk-
te Matthäus durch sein Schweigen sich weniger verredet,
als Lukas durch seine, gelehrt scheinende, chronologische
Notiz. Also weder einen festen Anhaltspunkt für die Chro-
nologie der Geburt Jesu bekommen wir hier, noch auch
einen Aufschluſs über die Veranlassung, welche seine Ge-
burt gerade in Bethlehem herbeiführte. Läſst sich, — kön-
nen wir hier schon sagen, — kein anderer Grund beibrin-
gen, warum Jesus in Bethlehem soll geboren worden sein,
als der von Lukas angegebene: so haben wir gar keine
Bürgschaft, daſs Bethlehem sein Geburtsort sei 30).
28) In Schmidt's Bibliothek für Kritik und Exegese 3, 1, S. 124.
29) Sieffert, über den Ursprung des ersten kanonischen Evange-
liums, S. 68 ff. 158 f. S. dagegen Kern, über den Ursprung
des Evang. Matth., in der Tübinger Zeitschrift für Theolo-
gie, 1834, 2tes Heft, S. 115.
30) Vgl. Kaiser, bibl. Theologie 1, S. 230.
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