Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Erster Abschnitt.
tisch, sondern auch physiologisch den Gedanken an ein ehe-
liches Verhältniss zwischen Maria und Joseph zu entfer-
nen, machte man den Letzteren zum abgelebten Greisen,
welchem Maria mehr nur zur Aufsicht und Beschützung
übergeben worden sei 8), und sah demnach die im N. T.
vorkommenden adelphous Iesou für Kinder Josephs aus ei-
ner früheren Ehe an 9). Bald aber sollte Maria nicht al-
lein von Joseph niemals berührt, sondern auch durch die
Geburt Jesu ihrer Jungfrauschaft nicht verlustig geworden
sein 10). Ja selbst die unverletzte Jungfräulichkeit der Ma-
ria genügte in die Länge nicht, auch von Joseph wurde
beständige Virginität verlangt; man war nicht zufrieden,
dass er mit Maria keinen ehelichen Umgang gehabt, er
sollte überhaupt niemals in ehelichen Verhältnissen gestan-
den haben. Daher wurde, was selbst Epiphanius zugiebt,
von Hieronymus als gottlose apokryphische Träumerei ver-
worfen, dass nämlich Joseph von einer früheren Gattin Söh-
ne gehabt habe, und es wurden von jetzt an die adelphoi
Iesou zu blossen Vettern desselben degradirt 11).

Auch neuere orthodoxe Theologen halten mit den Kir-
chenvätern daran fest, dass niemals ein ehelicher Umgang
zwischen Joseph und Maria eingetreten sei, und glauben
demgemäss auch die evangelischen Ausdrücke, welche für
das Gegentheil zu sprechen scheinen, erklären zu können.
Wenn in Beziehung auf prototokos Olshausen behauptet,
dass es ebensowohl den einzigen Sohn, als den ersten ne-
ben andern bedeuten könne 12): so wird ihm hierin auch

8) S. die Stellen oben §. 19.
9) S. Orig. in Matth. Tom. 10, 17; Epiphan. haeres. 78, 7; Hi-
storia Josephi c. 2; Protev. Jac. 9. 18.
10) Chrysostomus hom. 142, bei Suicer s. v. Maria, -- be-
sonders widerlich ausgeführt im Protev. Jac. c. 19 und 20.
11) Hieron. ad Matth. 12, und advers. Helvid. bei Suicer 1, S. 85.
12) a. a. O. S. 61.

Erster Abschnitt.
tisch, sondern auch physiologisch den Gedanken an ein ehe-
liches Verhältniſs zwischen Maria und Joseph zu entfer-
nen, machte man den Letzteren zum abgelebten Greisen,
welchem Maria mehr nur zur Aufsicht und Beschützung
übergeben worden sei 8), und sah demnach die im N. T.
vorkommenden ἀδελφοὺς Ἰησοῦ für Kinder Josephs aus ei-
ner früheren Ehe an 9). Bald aber sollte Maria nicht al-
lein von Joseph niemals berührt, sondern auch durch die
Geburt Jesu ihrer Jungfrauschaft nicht verlustig geworden
sein 10). Ja selbst die unverletzte Jungfräulichkeit der Ma-
ria genügte in die Länge nicht, auch von Joseph wurde
beständige Virginität verlangt; man war nicht zufrieden,
daſs er mit Maria keinen ehelichen Umgang gehabt, er
sollte überhaupt niemals in ehelichen Verhältnissen gestan-
den haben. Daher wurde, was selbst Epiphanius zugiebt,
von Hieronymus als gottlose apokryphische Träumerei ver-
worfen, daſs nämlich Joseph von einer früheren Gattin Söh-
ne gehabt habe, und es wurden von jetzt an die ἀδελφοὶ
Ἰησοῦ zu bloſsen Vettern desselben degradirt 11).

Auch neuere orthodoxe Theologen halten mit den Kir-
chenvätern daran fest, daſs niemals ein ehelicher Umgang
zwischen Joseph und Maria eingetreten sei, und glauben
demgemäſs auch die evangelischen Ausdrücke, welche für
das Gegentheil zu sprechen scheinen, erklären zu können.
Wenn in Beziehung auf πρωτότοκος Olshausen behauptet,
daſs es ebensowohl den einzigen Sohn, als den ersten ne-
ben andern bedeuten könne 12): so wird ihm hierin auch

8) S. die Stellen oben §. 19.
9) S. Orig. in Matth. Tom. 10, 17; Epiphan. haeres. 78, 7; Hi-
storia Josephi c. 2; Protev. Jac. 9. 18.
10) Chrysostomus hom. 142, bei Suicer s. v. Μαρία, — be-
sonders widerlich ausgeführt im Protev. Jac. c. 19 und 20.
11) Hieron. ad Matth. 12, und advers. Helvid. bei Suicer 1, S. 85.
12) a. a. O. S. 61.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0206" n="182"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erster Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
tisch, sondern auch physiologisch den Gedanken an ein ehe-<lb/>
liches Verhältni&#x017F;s zwischen Maria und Joseph zu entfer-<lb/>
nen, machte man den Letzteren zum abgelebten Greisen,<lb/>
welchem Maria mehr nur zur Aufsicht und Beschützung<lb/>
übergeben worden sei <note place="foot" n="8)">S. die Stellen oben §. 19.</note>, und sah demnach die im N. T.<lb/>
vorkommenden <foreign xml:lang="ell">&#x1F00;&#x03B4;&#x03B5;&#x03BB;&#x03C6;&#x03BF;&#x1F7A;&#x03C2; &#x1F38;&#x03B7;&#x03C3;&#x03BF;&#x1FE6;</foreign> für Kinder Josephs aus ei-<lb/>
ner früheren Ehe an <note place="foot" n="9)">S. Orig. in Matth. Tom. 10, 17; Epiphan. haeres. 78, 7; Hi-<lb/>
storia Josephi c. 2; Protev. Jac. 9. 18.</note>. Bald aber sollte Maria nicht al-<lb/>
lein von Joseph niemals berührt, sondern auch durch die<lb/>
Geburt Jesu ihrer Jungfrauschaft nicht verlustig geworden<lb/>
sein <note place="foot" n="10)">Chrysostomus hom. 142, bei <hi rendition="#k">Suicer</hi> s. v. &#x039C;&#x03B1;&#x03C1;&#x03AF;&#x03B1;, &#x2014; be-<lb/>
sonders widerlich ausgeführt im Protev. Jac. c. 19 und 20.</note>. Ja selbst die unverletzte Jungfräulichkeit der Ma-<lb/>
ria genügte in die Länge nicht, auch von Joseph wurde<lb/>
beständige Virginität verlangt; man war nicht zufrieden,<lb/>
da&#x017F;s er mit Maria keinen ehelichen Umgang gehabt, er<lb/>
sollte überhaupt niemals in ehelichen Verhältnissen gestan-<lb/>
den haben. Daher wurde, was selbst Epiphanius zugiebt,<lb/>
von Hieronymus als gottlose apokryphische Träumerei ver-<lb/>
worfen, da&#x017F;s nämlich Joseph von einer früheren Gattin Söh-<lb/>
ne gehabt habe, und es wurden von jetzt an die <foreign xml:lang="ell">&#x1F00;&#x03B4;&#x03B5;&#x03BB;&#x03C6;&#x03BF;&#x1F76;<lb/>
&#x1F38;&#x03B7;&#x03C3;&#x03BF;&#x1FE6;</foreign> zu blo&#x017F;sen Vettern desselben degradirt <note place="foot" n="11)">Hieron. ad Matth. 12, und advers. Helvid. bei <hi rendition="#k">Suicer</hi> 1, S. 85.</note>.</p><lb/>
            <p>Auch neuere orthodoxe Theologen halten mit den Kir-<lb/>
chenvätern daran fest, da&#x017F;s niemals ein ehelicher Umgang<lb/>
zwischen Joseph und Maria eingetreten sei, und glauben<lb/>
demgemä&#x017F;s auch die evangelischen Ausdrücke, welche für<lb/>
das Gegentheil zu sprechen scheinen, erklären zu können.<lb/>
Wenn in Beziehung auf &#x03C0;&#x03C1;&#x03C9;&#x03C4;&#x03CC;&#x03C4;&#x03BF;&#x03BA;&#x03BF;&#x03C2; <hi rendition="#k">Olshausen</hi> behauptet,<lb/>
da&#x017F;s es ebensowohl den einzigen Sohn, als den ersten ne-<lb/>
ben andern bedeuten könne <note place="foot" n="12)">a. a. O. S. 61.</note>: so wird ihm hierin auch<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0206] Erster Abschnitt. tisch, sondern auch physiologisch den Gedanken an ein ehe- liches Verhältniſs zwischen Maria und Joseph zu entfer- nen, machte man den Letzteren zum abgelebten Greisen, welchem Maria mehr nur zur Aufsicht und Beschützung übergeben worden sei 8), und sah demnach die im N. T. vorkommenden ἀδελφοὺς Ἰησοῦ für Kinder Josephs aus ei- ner früheren Ehe an 9). Bald aber sollte Maria nicht al- lein von Joseph niemals berührt, sondern auch durch die Geburt Jesu ihrer Jungfrauschaft nicht verlustig geworden sein 10). Ja selbst die unverletzte Jungfräulichkeit der Ma- ria genügte in die Länge nicht, auch von Joseph wurde beständige Virginität verlangt; man war nicht zufrieden, daſs er mit Maria keinen ehelichen Umgang gehabt, er sollte überhaupt niemals in ehelichen Verhältnissen gestan- den haben. Daher wurde, was selbst Epiphanius zugiebt, von Hieronymus als gottlose apokryphische Träumerei ver- worfen, daſs nämlich Joseph von einer früheren Gattin Söh- ne gehabt habe, und es wurden von jetzt an die ἀδελφοὶ Ἰησοῦ zu bloſsen Vettern desselben degradirt 11). Auch neuere orthodoxe Theologen halten mit den Kir- chenvätern daran fest, daſs niemals ein ehelicher Umgang zwischen Joseph und Maria eingetreten sei, und glauben demgemäſs auch die evangelischen Ausdrücke, welche für das Gegentheil zu sprechen scheinen, erklären zu können. Wenn in Beziehung auf πρωτότοκος Olshausen behauptet, daſs es ebensowohl den einzigen Sohn, als den ersten ne- ben andern bedeuten könne 12): so wird ihm hierin auch 8) S. die Stellen oben §. 19. 9) S. Orig. in Matth. Tom. 10, 17; Epiphan. haeres. 78, 7; Hi- storia Josephi c. 2; Protev. Jac. 9. 18. 10) Chrysostomus hom. 142, bei Suicer s. v. Μαρία, — be- sonders widerlich ausgeführt im Protev. Jac. c. 19 und 20. 11) Hieron. ad Matth. 12, und advers. Helvid. bei Suicer 1, S. 85. 12) a. a. O. S. 61.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/206
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/206>, abgerufen am 24.11.2024.