Treffender kann man über diese ganze, in der Läste- rung der Juden culminirende Ansicht nicht urtheilen, als schon Origenes gethan hat, indem er sagt: wenn sie der Geschichte von Jesu übernatürlicher Erzeugung etwas An- dres hätten unterschieben wollen, so hätten sie diess we- nigstens auf wahrscheinlichere Weise thun sollen; sie hät- ten nicht, gleichsam wider Willen, zugeben dürfen, dass Maria von Joseph unberührt gewesen sei, sondern schon diesen Zug hätten sie leugnen, und Jesum aus einer ge- wöhnlichen menschlichen Ehe jener beiden entstehen lassen müssen; wogegen nun das Gezwungene und Abenteuerliche ihrer Hypothese jedem Kenner die Lüge verrathe 13). Was heisst diess anders, als: wenn einmal an einigen Zügen ei- ner wunderhaften Erzählung gezweifelt wird, so ist es in- consequent, andre unbezweifelt stehen zu lassen, vielmehr muss dann ein solcher Bericht in allen seinen Theilen von einem andern als historischen Standpunkt aus betrachtet werden. Diese letztere Ansicht in Bezug auf die vorlie- gende Erzählung lag, wenigstens indirekt, in Origenes. Denn wenn er das einemal mit der übernatürlichen Em- pfängniss Jesu die Erzählung von Plato's Erzeugung durch Apollo als gleichartig zusammenstellt (aber hier freilich der Meinung ist, nur Böswillige können dergleichen bezwei- feln) 14); das andremal aber von der Erzählung über Pla- to sagt, sie gehöre zu den Mythen, durch welche man die ausgezeichnete Weisheit und Kraft grosser Männer habe erklären wollen (aber hier die Erzählung von Jesu Erzeu- gung aus dem Spiele lässt) 15): so hatte er ja die beiden
aber immer der Name Pantheras oder Pandira hindurchgeht. S. Origenes c. Cels. 1, 28. 32. Schöttgen, Horae 2, 693 ff. aus Tract. Sanhedrin u. A.; Eisenmenger, entdecktes Juden- thum, 1, S. 105 ff. aus der Schmähschrift: Toledoth Jeschu.
13) c. Cels. 1, 32.
14) c. Cels. 6, 8.
15) Ebend. 1, 37.
Erster Abschnitt.
Treffender kann man über diese ganze, in der Läste- rung der Juden culminirende Ansicht nicht urtheilen, als schon Origenes gethan hat, indem er sagt: wenn sie der Geschichte von Jesu übernatürlicher Erzeugung etwas An- dres hätten unterschieben wollen, so hätten sie dieſs we- nigstens auf wahrscheinlichere Weise thun sollen; sie hät- ten nicht, gleichsam wider Willen, zugeben dürfen, daſs Maria von Joseph unberührt gewesen sei, sondern schon diesen Zug hätten sie leugnen, und Jesum aus einer ge- wöhnlichen menschlichen Ehe jener beiden entstehen lassen müssen; wogegen nun das Gezwungene und Abenteuerliche ihrer Hypothese jedem Kenner die Lüge verrathe 13). Was heiſst dieſs anders, als: wenn einmal an einigen Zügen ei- ner wunderhaften Erzählung gezweifelt wird, so ist es in- consequent, andre unbezweifelt stehen zu lassen, vielmehr muſs dann ein solcher Bericht in allen seinen Theilen von einem andern als historischen Standpunkt aus betrachtet werden. Diese letztere Ansicht in Bezug auf die vorlie- gende Erzählung lag, wenigstens indirekt, in Origenes. Denn wenn er das einemal mit der übernatürlichen Em- pfängniſs Jesu die Erzählung von Plato's Erzeugung durch Apollo als gleichartig zusammenstellt (aber hier freilich der Meinung ist, nur Böswillige können dergleichen bezwei- feln) 14); das andremal aber von der Erzählung über Pla- to sagt, sie gehöre zu den Mythen, durch welche man die ausgezeichnete Weisheit und Kraft groſser Männer habe erklären wollen (aber hier die Erzählung von Jesu Erzeu- gung aus dem Spiele läſst) 15): so hatte er ja die beiden
aber immer der Name Pantheras oder Pandira hindurchgeht. S. Origenes c. Cels. 1, 28. 32. Schöttgen, Horae 2, 693 ff. aus Tract. Sanhedrin u. A.; Eisenmenger, entdecktes Juden- thum, 1, S. 105 ff. aus der Schmähschrift: Toledoth Jeschu.
13) c. Cels. 1, 32.
14) c. Cels. 6, 8.
15) Ebend. 1, 37.
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Erster Abschnitt.
Treffender kann man über diese ganze, in der Läste-
rung der Juden culminirende Ansicht nicht urtheilen, als
schon Origenes gethan hat, indem er sagt: wenn sie der
Geschichte von Jesu übernatürlicher Erzeugung etwas An-
dres hätten unterschieben wollen, so hätten sie dieſs we-
nigstens auf wahrscheinlichere Weise thun sollen; sie hät-
ten nicht, gleichsam wider Willen, zugeben dürfen, daſs
Maria von Joseph unberührt gewesen sei, sondern schon
diesen Zug hätten sie leugnen, und Jesum aus einer ge-
wöhnlichen menschlichen Ehe jener beiden entstehen lassen
müssen; wogegen nun das Gezwungene und Abenteuerliche
ihrer Hypothese jedem Kenner die Lüge verrathe 13). Was
heiſst dieſs anders, als: wenn einmal an einigen Zügen ei-
ner wunderhaften Erzählung gezweifelt wird, so ist es in-
consequent, andre unbezweifelt stehen zu lassen, vielmehr
muſs dann ein solcher Bericht in allen seinen Theilen von
einem andern als historischen Standpunkt aus betrachtet
werden. Diese letztere Ansicht in Bezug auf die vorlie-
gende Erzählung lag, wenigstens indirekt, in Origenes.
Denn wenn er das einemal mit der übernatürlichen Em-
pfängniſs Jesu die Erzählung von Plato's Erzeugung durch
Apollo als gleichartig zusammenstellt (aber hier freilich der
Meinung ist, nur Böswillige können dergleichen bezwei-
feln) 14); das andremal aber von der Erzählung über Pla-
to sagt, sie gehöre zu den Mythen, durch welche man die
ausgezeichnete Weisheit und Kraft groſser Männer habe
erklären wollen (aber hier die Erzählung von Jesu Erzeu-
gung aus dem Spiele läſst) 15): so hatte er ja die beiden
12)
13) c. Cels. 1, 32.
14) c. Cels. 6, 8.
15) Ebend. 1, 37.
12) aber immer der Name Pantheras oder Pandira hindurchgeht.
S. Origenes c. Cels. 1, 28. 32. Schöttgen, Horae 2, 693 ff.
aus Tract. Sanhedrin u. A.; Eisenmenger, entdecktes Juden-
thum, 1, S. 105 ff. aus der Schmähschrift: Toledoth Jeschu.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/196>, abgerufen am 24.11.2024.
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