Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Kapitel. §. 23.
uns näher als alle bisher aufgeführten Stellen, nämlich in
den beiden Genealogieen, die wir nur so eben erst
betrachtet haben. Schon der Manichäer Faustus machte
geltend, wer, wie unsre zwei Genealogisten, Jesum durch
Joseph von David abstammen lasse, der könne ohne Wi-
derspruch nicht voraussetzen, dass Joseph gar nicht Jesu
Vater gewesen sei 1), und Augustinus wusste ihm nichts
Triftiges zu erwiedern, wenn er bemerkte, dass wegen des
Vorrangs des männlichen Geschlechts die Genealogie Jesu
durch Joseph habe geführt werden müssen, welcher, wenn
auch nicht durch leibliche, doch durch geistige Verbindung
Maria's Gatte (und Jesu Vater) gewesen sei 2). Auch in
neuerer Zeit haben daher manche Theologen die Behaup-
tung aufgestellt, aus der Beschaffenheit unserer Geschlechts-
register bei Matthäus und Lukas erhelle, dass die Verfas-
ser derselben Jesum als wirklichen Sohn Josephs sich ge-
dacht haben 3). Sie sollen nämlich beweisen, dass Jesus
durch Joseph von Davids Geschlecht abstamme; was be-
weisen sie aber, wenn Joseph Jesu Vater gar nicht war?
Die als Tendenz der ganzen Genealogie (bei Matthäus 1, 1.)
vorausgeschickte Behauptung, dass Jesus uios Dauid ge-
wesen, wird durch die darauf folgende Leugnung seiner
Erzeugung durch den Davididen Joseph geradezu wieder
aufgehoben. Unmöglich kann man es desswegen wahr-
scheinlich finden, dass die Genealogie und die Geburtsge-
schichte von demselben Verfasser herrühre 4), sondern man
wird mit den zuvor angeführten Theologen annehmen müs-
sen, dass die Genealogieen anderswoher genommen seien.

1) Augustinus contra Faustum Manichaeum L. 23. 3. 4.
2) a. a. O. No. 8.
3) Skiagraphie des Dogma u. s. f. in Schmidt's Bibl. a. a. O.
S. 403 f. K. Ch. L. Schmidt, ebend. 3, 1, S. 132 f. Schleier-
macher
, Glaubenslehre 2, §. 97. S. 71.
4) Wie diess z. B. Eichhorn, Einl. in das N. T. 1, S. 425. aus-
drücklich für wahrscheinlich erklärt.

Drittes Kapitel. §. 23.
uns näher als alle bisher aufgeführten Stellen, nämlich in
den beiden Genealogieen, die wir nur so eben erst
betrachtet haben. Schon der Manichäer Faustus machte
geltend, wer, wie unsre zwei Genealogisten, Jesum durch
Joseph von David abstammen lasse, der könne ohne Wi-
derspruch nicht voraussetzen, daſs Joseph gar nicht Jesu
Vater gewesen sei 1), und Augustinus wuſste ihm nichts
Triftiges zu erwiedern, wenn er bemerkte, daſs wegen des
Vorrangs des männlichen Geschlechts die Genealogie Jesu
durch Joseph habe geführt werden müssen, welcher, wenn
auch nicht durch leibliche, doch durch geistige Verbindung
Maria's Gatte (und Jesu Vater) gewesen sei 2). Auch in
neuerer Zeit haben daher manche Theologen die Behaup-
tung aufgestellt, aus der Beschaffenheit unserer Geschlechts-
register bei Matthäus und Lukas erhelle, daſs die Verfas-
ser derselben Jesum als wirklichen Sohn Josephs sich ge-
dacht haben 3). Sie sollen nämlich beweisen, daſs Jesus
durch Joseph von Davids Geschlecht abstamme; was be-
weisen sie aber, wenn Joseph Jesu Vater gar nicht war?
Die als Tendenz der ganzen Genealogie (bei Matthäus 1, 1.)
vorausgeschickte Behauptung, daſs Jesus ὑιὸς Δαυὶδ ge-
wesen, wird durch die darauf folgende Leugnung seiner
Erzeugung durch den Davididen Joseph geradezu wieder
aufgehoben. Unmöglich kann man es deſswegen wahr-
scheinlich finden, daſs die Genealogie und die Geburtsge-
schichte von demselben Verfasser herrühre 4), sondern man
wird mit den zuvor angeführten Theologen annehmen müs-
sen, daſs die Genealogieen anderswoher genommen seien.

1) Augustinus contra Faustum Manichaeum L. 23. 3. 4.
2) a. a. O. No. 8.
3) Skiagraphie des Dogma u. s. f. in Schmidt's Bibl. a. a. O.
S. 403 f. K. Ch. L. Schmidt, ebend. 3, 1, S. 132 f. Schleier-
macher
, Glaubenslehre 2, §. 97. S. 71.
4) Wie diess z. B. Eichhorn, Einl. in das N. T. 1, S. 425. aus-
drücklich für wahrscheinlich erklärt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0181" n="157"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Kapitel</hi>. §. 23.</fw><lb/>
uns näher als alle bisher aufgeführten Stellen, nämlich in<lb/>
den beiden Genealogieen, die wir nur so eben erst<lb/>
betrachtet haben. Schon der Manichäer Faustus machte<lb/>
geltend, wer, wie unsre zwei Genealogisten, Jesum durch<lb/>
Joseph von David abstammen lasse, der könne ohne Wi-<lb/>
derspruch nicht voraussetzen, da&#x017F;s Joseph gar nicht Jesu<lb/>
Vater gewesen sei <note place="foot" n="1)">Augustinus contra Faustum Manichaeum L. 23. 3. 4.</note>, und Augustinus wu&#x017F;ste ihm nichts<lb/>
Triftiges zu erwiedern, wenn er bemerkte, da&#x017F;s wegen des<lb/>
Vorrangs des männlichen Geschlechts die Genealogie Jesu<lb/>
durch Joseph habe geführt werden müssen, welcher, wenn<lb/>
auch nicht durch leibliche, doch durch geistige Verbindung<lb/>
Maria's Gatte (und Jesu Vater) gewesen sei <note place="foot" n="2)">a. a. O. No. 8.</note>. Auch in<lb/>
neuerer Zeit haben daher manche Theologen die Behaup-<lb/>
tung aufgestellt, aus der Beschaffenheit unserer Geschlechts-<lb/>
register bei Matthäus und Lukas erhelle, da&#x017F;s die Verfas-<lb/>
ser derselben Jesum als wirklichen Sohn Josephs sich ge-<lb/>
dacht haben <note place="foot" n="3)">Skiagraphie des Dogma u. s. f. in <hi rendition="#k">Schmidt</hi>'s Bibl. a. a. O.<lb/>
S. 403 f. K. Ch. L. <hi rendition="#k">Schmidt</hi>, ebend. 3, 1, S. 132 f. <hi rendition="#k">Schleier-<lb/>
macher</hi>, Glaubenslehre 2, §. 97. S. 71.</note>. Sie sollen nämlich beweisen, da&#x017F;s Jesus<lb/>
durch Joseph von Davids Geschlecht abstamme; was be-<lb/>
weisen sie aber, wenn Joseph Jesu Vater gar nicht war?<lb/>
Die als Tendenz der ganzen Genealogie (bei Matthäus 1, 1.)<lb/>
vorausgeschickte Behauptung, da&#x017F;s Jesus <foreign xml:lang="ell">&#x1F51;&#x03B9;&#x1F78;&#x03C2; &#x0394;&#x03B1;&#x03C5;&#x1F76;&#x03B4;</foreign> ge-<lb/>
wesen, wird durch die darauf folgende Leugnung seiner<lb/>
Erzeugung durch den Davididen Joseph geradezu wieder<lb/>
aufgehoben. Unmöglich kann man es de&#x017F;swegen wahr-<lb/>
scheinlich finden, da&#x017F;s die Genealogie und die Geburtsge-<lb/>
schichte von demselben Verfasser herrühre <note place="foot" n="4)">Wie diess z. B. <hi rendition="#k">Eichhorn</hi>, Einl. in das N. T. 1, S. 425. aus-<lb/>
drücklich für wahrscheinlich erklärt.</note>, sondern man<lb/>
wird mit den zuvor angeführten Theologen annehmen müs-<lb/>
sen, da&#x017F;s die Genealogieen anderswoher genommen seien.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0181] Drittes Kapitel. §. 23. uns näher als alle bisher aufgeführten Stellen, nämlich in den beiden Genealogieen, die wir nur so eben erst betrachtet haben. Schon der Manichäer Faustus machte geltend, wer, wie unsre zwei Genealogisten, Jesum durch Joseph von David abstammen lasse, der könne ohne Wi- derspruch nicht voraussetzen, daſs Joseph gar nicht Jesu Vater gewesen sei 1), und Augustinus wuſste ihm nichts Triftiges zu erwiedern, wenn er bemerkte, daſs wegen des Vorrangs des männlichen Geschlechts die Genealogie Jesu durch Joseph habe geführt werden müssen, welcher, wenn auch nicht durch leibliche, doch durch geistige Verbindung Maria's Gatte (und Jesu Vater) gewesen sei 2). Auch in neuerer Zeit haben daher manche Theologen die Behaup- tung aufgestellt, aus der Beschaffenheit unserer Geschlechts- register bei Matthäus und Lukas erhelle, daſs die Verfas- ser derselben Jesum als wirklichen Sohn Josephs sich ge- dacht haben 3). Sie sollen nämlich beweisen, daſs Jesus durch Joseph von Davids Geschlecht abstamme; was be- weisen sie aber, wenn Joseph Jesu Vater gar nicht war? Die als Tendenz der ganzen Genealogie (bei Matthäus 1, 1.) vorausgeschickte Behauptung, daſs Jesus ὑιὸς Δαυὶδ ge- wesen, wird durch die darauf folgende Leugnung seiner Erzeugung durch den Davididen Joseph geradezu wieder aufgehoben. Unmöglich kann man es deſswegen wahr- scheinlich finden, daſs die Genealogie und die Geburtsge- schichte von demselben Verfasser herrühre 4), sondern man wird mit den zuvor angeführten Theologen annehmen müs- sen, daſs die Genealogieen anderswoher genommen seien. 1) Augustinus contra Faustum Manichaeum L. 23. 3. 4. 2) a. a. O. No. 8. 3) Skiagraphie des Dogma u. s. f. in Schmidt's Bibl. a. a. O. S. 403 f. K. Ch. L. Schmidt, ebend. 3, 1, S. 132 f. Schleier- macher, Glaubenslehre 2, §. 97. S. 71. 4) Wie diess z. B. Eichhorn, Einl. in das N. T. 1, S. 425. aus- drücklich für wahrscheinlich erklärt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/181
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/181>, abgerufen am 23.11.2024.