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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erster Abschnitt.
her der Maria erschienen war. Jener nämlich (bei Mat-
thäus) spricht ganz so, wie wenn sein Erscheinen das er-
ste in dieser Sache wäre: er beruft sich nicht auf eine der
Maria früher zu Theil gewordene himmlische Botschaft;
er macht dem Joseph keinen Vorwurf, dass er dieser nicht
geglaubt habe; besonders aber, dass er den Namen des
zu erwartenden Kindes, mit ausführlicher Begründung die-
ser Benennung, dem Joseph an die Hand giebt (Matth. 1,
21.), wäre ganz überflüssig gewesen, hätte (nach Luc. 1,
31.) der Engel bereits der Maria diesen Namen angezeigt
gehabt. Doch noch unbegreiflicher wird bei dieser Stel-
lung der Sache das Benehmen der beiden Verlobten. Hatte
Maria eine Engelerscheinung, welche ihr eine bevorstehen-
de Schwangerschaft ohne Zuthun des Joseph ankündigte:
was hatte eine zartfühlende Braut Eiligeres zu thun, als die
erhaltene himmlische Botschaft dem Bräutigam mitzutheilen,
um einer beschämenden Entdeckung ihres Zustandes durch
Andere, und einem schlimmen Verdacht des Bräutigams zu-
vorzukommen? Aber gerade auf jene Entdeckung durch
Andre lässt es Maria ankommen, und führt dadurch diesen
Verdacht herbei; denn dass das eurethe en gasri ekh[ou]sa
(Matth. 1, 18.) eine Entdeckung ganz ohne Zuthun der
Maria bedeutet 4), ist klar, und ebenso, dass auch Joseph
nur auf diese Weise ihren Zustand in Erfahrung bringt,
da ja sein Benehmen als Folge jenes euriskesthai darge-
stellt wird. Das Räthsel eines solchen Benehmens von Sei-
ten der Maria hat schon das apokryphische Protevangelium
Jacobi
gefühlt, und auf die für den supranaturalistischen
Standpunkt vielleicht consequenteste Weise zu lösen ver-
sucht. Erinnerte sich Maria noch -- auf diesem Schlusse
beruht die sinnreiche Darstellung des Apokryphums -- an
den Inhalt der himmlischen Botschaft: so musste sie den-
selben auch dem Joseph mittheilen; da sie diess, nach

4) Dies erkennt auch Olshausen an, S. 148.

Erster Abschnitt.
her der Maria erschienen war. Jener nämlich (bei Mat-
thäus) spricht ganz so, wie wenn sein Erscheinen das er-
ste in dieser Sache wäre: er beruft sich nicht auf eine der
Maria früher zu Theil gewordene himmlische Botschaft;
er macht dem Joseph keinen Vorwurf, daſs er dieser nicht
geglaubt habe; besonders aber, daſs er den Namen des
zu erwartenden Kindes, mit ausführlicher Begründung die-
ser Benennung, dem Joseph an die Hand giebt (Matth. 1,
21.), wäre ganz überflüssig gewesen, hätte (nach Luc. 1,
31.) der Engel bereits der Maria diesen Namen angezeigt
gehabt. Doch noch unbegreiflicher wird bei dieser Stel-
lung der Sache das Benehmen der beiden Verlobten. Hatte
Maria eine Engelerscheinung, welche ihr eine bevorstehen-
de Schwangerschaft ohne Zuthun des Joseph ankündigte:
was hatte eine zartfühlende Braut Eiligeres zu thun, als die
erhaltene himmlische Botschaft dem Bräutigam mitzutheilen,
um einer beschämenden Entdeckung ihres Zustandes durch
Andere, und einem schlimmen Verdacht des Bräutigams zu-
vorzukommen? Aber gerade auf jene Entdeckung durch
Andre läſst es Maria ankommen, und führt dadurch diesen
Verdacht herbei; denn daſs das εὑρἐϑη ἐν γαςρὶ ἔχ[ου]σα
(Matth. 1, 18.) eine Entdeckung ganz ohne Zuthun der
Maria bedeutet 4), ist klar, und ebenso, daſs auch Joseph
nur auf diese Weise ihren Zustand in Erfahrung bringt,
da ja sein Benehmen als Folge jenes εὑρίσκεσϑαι darge-
stellt wird. Das Räthsel eines solchen Benehmens von Sei-
ten der Maria hat schon das apokryphische Protevangelium
Jacobi
gefühlt, und auf die für den supranaturalistischen
Standpunkt vielleicht consequenteste Weise zu lösen ver-
sucht. Erinnerte sich Maria noch — auf diesem Schlusse
beruht die sinnreiche Darstellung des Apokryphums — an
den Inhalt der himmlischen Botschaft: so muſste sie den-
selben auch dem Joseph mittheilen; da sie dieſs, nach

4) Dies erkennt auch Olshausen an, S. 148.
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[136/0160] Erster Abschnitt. her der Maria erschienen war. Jener nämlich (bei Mat- thäus) spricht ganz so, wie wenn sein Erscheinen das er- ste in dieser Sache wäre: er beruft sich nicht auf eine der Maria früher zu Theil gewordene himmlische Botschaft; er macht dem Joseph keinen Vorwurf, daſs er dieser nicht geglaubt habe; besonders aber, daſs er den Namen des zu erwartenden Kindes, mit ausführlicher Begründung die- ser Benennung, dem Joseph an die Hand giebt (Matth. 1, 21.), wäre ganz überflüssig gewesen, hätte (nach Luc. 1, 31.) der Engel bereits der Maria diesen Namen angezeigt gehabt. Doch noch unbegreiflicher wird bei dieser Stel- lung der Sache das Benehmen der beiden Verlobten. Hatte Maria eine Engelerscheinung, welche ihr eine bevorstehen- de Schwangerschaft ohne Zuthun des Joseph ankündigte: was hatte eine zartfühlende Braut Eiligeres zu thun, als die erhaltene himmlische Botschaft dem Bräutigam mitzutheilen, um einer beschämenden Entdeckung ihres Zustandes durch Andere, und einem schlimmen Verdacht des Bräutigams zu- vorzukommen? Aber gerade auf jene Entdeckung durch Andre läſst es Maria ankommen, und führt dadurch diesen Verdacht herbei; denn daſs das εὑρἐϑη ἐν γαςρὶ ἔχουσα (Matth. 1, 18.) eine Entdeckung ganz ohne Zuthun der Maria bedeutet 4), ist klar, und ebenso, daſs auch Joseph nur auf diese Weise ihren Zustand in Erfahrung bringt, da ja sein Benehmen als Folge jenes εὑρίσκεσϑαι darge- stellt wird. Das Räthsel eines solchen Benehmens von Sei- ten der Maria hat schon das apokryphische Protevangelium Jacobi gefühlt, und auf die für den supranaturalistischen Standpunkt vielleicht consequenteste Weise zu lösen ver- sucht. Erinnerte sich Maria noch — auf diesem Schlusse beruht die sinnreiche Darstellung des Apokryphums — an den Inhalt der himmlischen Botschaft: so muſste sie den- selben auch dem Joseph mittheilen; da sie dieſs, nach 4) Dies erkennt auch Olshausen an, S. 148.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/160>, abgerufen am 22.11.2024.