Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweites Kapitel. §. 18. lich verwickeln: so wird man wohl mit freier denkendenExegeten an der Möglichkeit einer Friedensstiftung zwi- schen beiden verzweifeln und ihren gegenseitigen Wider- spruch anerkennen müssen 1). Indem so zunächst wenig- stens nicht beide richtig sein können: so wäre, wenn ge- wählt werden sollte, eher die des Lukas als historisch an- zunehmen, da sie doch nicht dieselbe Willkühr im Zählen und Gleichmachen der Perioden, und auch darin weniger verherrlichendes Bestreben als die des Matthäus zeigt, dass sie, mit der davidischen Abkunft überhaupt zufrieden, das Geschlecht Jesu nicht wie jene gerade durch die könig- liche Linie herunterführt. In der That aber hat eigent- lich doch keine vor der andern etwas voraus, sondern, wenn die eine auf unhistorischem Wege entstehen konnte, so konnte es auch die andere, zumal es sehr unwahrschein- lich ist, dass nach den Zerrüttungen des Exils und der fol- genden Zeiten in der obscuren Familie des Joseph noch so weit hinaufreichende Genealogieen vorhanden gewesen 2). Erkennen wir somit beide als willkührliche Compositionen: so möchten wir nicht einmal mit Fritzsche das als histo- rische Grundlage festhalten, dass Jesus von David abge- stammt habe, und nur die Mittelglieder dieser Abstam- mung von Verschiedenen verschieden ergänzt worden seien 3). 1) So Eichhorn, Einleit. in das N. T. 1. Bd. S. 425. Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 232. de Wette bibl. Dogm. §. 279. Hase, Leben Jesu §. 30. Fritzsche, Comm. in Matth. p. 35. 2) s. Winer a. a. O. S. 660. 3) a. a. O. Nach der Beobachtung übrigens, welche er Pro-
legg. in Matthaeum p. XV. ausspricht: omne studium -- eo contulit scriptor (der Verf. des ersten Evangeliums) ut nihil Jesu ad Messiae exemplar fingi posset expressius, giebt Fritzsche die Tendenz der Genealogie bei Matthäus in der Überschrift des ersten Kapitels, Comm. p. 6., ganz richtig so an: Jesus, ut de futuro Messia canunt V. Ti oracula, est e gente Davidica per Josephum vitricum oriundus. Zweites Kapitel. §. 18. lich verwickeln: so wird man wohl mit freier denkendenExegeten an der Möglichkeit einer Friedensstiftung zwi- schen beiden verzweifeln und ihren gegenseitigen Wider- spruch anerkennen müssen 1). Indem so zunächst wenig- stens nicht beide richtig sein können: so wäre, wenn ge- wählt werden sollte, eher die des Lukas als historisch an- zunehmen, da sie doch nicht dieselbe Willkühr im Zählen und Gleichmachen der Perioden, und auch darin weniger verherrlichendes Bestreben als die des Matthäus zeigt, daſs sie, mit der davidischen Abkunft überhaupt zufrieden, das Geschlecht Jesu nicht wie jene gerade durch die könig- liche Linie herunterführt. In der That aber hat eigent- lich doch keine vor der andern etwas voraus, sondern, wenn die eine auf unhistorischem Wege entstehen konnte, so konnte es auch die andere, zumal es sehr unwahrschein- lich ist, daſs nach den Zerrüttungen des Exils und der fol- genden Zeiten in der obscuren Familie des Joseph noch so weit hinaufreichende Genealogieen vorhanden gewesen 2). Erkennen wir somit beide als willkührliche Compositionen: so möchten wir nicht einmal mit Fritzsche das als histo- rische Grundlage festhalten, daſs Jesus von David abge- stammt habe, und nur die Mittelglieder dieser Abstam- mung von Verschiedenen verschieden ergänzt worden seien 3). 1) So Eichhorn, Einleit. in das N. T. 1. Bd. S. 425. Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 232. de Wette bibl. Dogm. §. 279. Hase, Leben Jesu §. 30. Fritzsche, Comm. in Matth. p. 35. 2) s. Winer a. a. O. S. 660. 3) a. a. O. Nach der Beobachtung übrigens, welche er Pro-
legg. in Matthaeum p. XV. ausspricht: omne studium — eo contulit scriptor (der Verf. des ersten Evangeliums) ut nihil Jesu ad Messiae exemplar fingi posset expressius, giebt Fritzsche die Tendenz der Genealogie bei Matthäus in der Überschrift des ersten Kapitels, Comm. p. 6., ganz richtig so an: Jesus, ut de futuro Messia canunt V. Ti oracula, est e gente Davidica per Josephum vitricum oriundus. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0151" n="127"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Kapitel</hi>. §. 18.</fw><lb/> lich verwickeln: so wird man wohl mit freier denkenden<lb/> Exegeten an der Möglichkeit einer Friedensstiftung zwi-<lb/> schen beiden verzweifeln und ihren gegenseitigen Wider-<lb/> spruch anerkennen müssen <note place="foot" n="1)">So <hi rendition="#k">Eichhorn</hi>, Einleit. in das N. T. 1. Bd. S. 425. <hi rendition="#k">Kaiser</hi>,<lb/> bibl. Theol. 1, S. 232. <hi rendition="#k">de Wette</hi> bibl. Dogm. §. 279. <hi rendition="#k">Hase</hi>,<lb/> Leben Jesu §. 30. <hi rendition="#k">Fritzsche</hi>, Comm. in Matth. p. 35.</note>. Indem so zunächst wenig-<lb/> stens nicht beide richtig sein können: so wäre, wenn ge-<lb/> wählt werden sollte, eher die des Lukas als historisch an-<lb/> zunehmen, da sie doch nicht dieselbe Willkühr im Zählen<lb/> und Gleichmachen der Perioden, und auch darin weniger<lb/> verherrlichendes Bestreben als die des Matthäus zeigt, daſs<lb/> sie, mit der davidischen Abkunft überhaupt zufrieden, das<lb/> Geschlecht Jesu nicht wie jene gerade durch die könig-<lb/> liche Linie herunterführt. In der That aber hat eigent-<lb/> lich doch keine vor der andern etwas voraus, sondern,<lb/> wenn die eine auf unhistorischem Wege entstehen konnte,<lb/> so konnte es auch die andere, zumal es sehr unwahrschein-<lb/> lich ist, daſs nach den Zerrüttungen des Exils und der fol-<lb/> genden Zeiten in der obscuren Familie des Joseph noch so<lb/> weit hinaufreichende Genealogieen vorhanden gewesen <note place="foot" n="2)">s. <hi rendition="#k">Winer</hi> a. a. O. S. 660.</note>.<lb/> Erkennen wir somit beide als willkührliche Compositionen:<lb/> so möchten wir nicht einmal mit <hi rendition="#k">Fritzsche</hi> das als histo-<lb/> rische Grundlage festhalten, daſs Jesus von David abge-<lb/> stammt habe, und nur die Mittelglieder dieser Abstam-<lb/> mung von Verschiedenen verschieden ergänzt worden seien <note place="foot" n="3)">a. a. O. Nach der Beobachtung übrigens, welche er Pro-<lb/> legg. in Matthaeum p. XV. ausspricht: omne studium — eo<lb/> contulit scriptor (der Verf. des ersten Evangeliums) ut nihil<lb/> Jesu ad Messiae exemplar fingi posset expressius, giebt<lb/><hi rendition="#k">Fritzsche</hi> die Tendenz der Genealogie bei Matthäus in der<lb/> Überschrift des ersten Kapitels, Comm. p. 6., ganz richtig<lb/> so an: Jesus, ut de futuro Messia canunt V. Ti oracula, est<lb/> e gente Davidica per Josephum vitricum oriundus.</note>.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [127/0151]
Zweites Kapitel. §. 18.
lich verwickeln: so wird man wohl mit freier denkenden
Exegeten an der Möglichkeit einer Friedensstiftung zwi-
schen beiden verzweifeln und ihren gegenseitigen Wider-
spruch anerkennen müssen 1). Indem so zunächst wenig-
stens nicht beide richtig sein können: so wäre, wenn ge-
wählt werden sollte, eher die des Lukas als historisch an-
zunehmen, da sie doch nicht dieselbe Willkühr im Zählen
und Gleichmachen der Perioden, und auch darin weniger
verherrlichendes Bestreben als die des Matthäus zeigt, daſs
sie, mit der davidischen Abkunft überhaupt zufrieden, das
Geschlecht Jesu nicht wie jene gerade durch die könig-
liche Linie herunterführt. In der That aber hat eigent-
lich doch keine vor der andern etwas voraus, sondern,
wenn die eine auf unhistorischem Wege entstehen konnte,
so konnte es auch die andere, zumal es sehr unwahrschein-
lich ist, daſs nach den Zerrüttungen des Exils und der fol-
genden Zeiten in der obscuren Familie des Joseph noch so
weit hinaufreichende Genealogieen vorhanden gewesen 2).
Erkennen wir somit beide als willkührliche Compositionen:
so möchten wir nicht einmal mit Fritzsche das als histo-
rische Grundlage festhalten, daſs Jesus von David abge-
stammt habe, und nur die Mittelglieder dieser Abstam-
mung von Verschiedenen verschieden ergänzt worden seien 3).
1) So Eichhorn, Einleit. in das N. T. 1. Bd. S. 425. Kaiser,
bibl. Theol. 1, S. 232. de Wette bibl. Dogm. §. 279. Hase,
Leben Jesu §. 30. Fritzsche, Comm. in Matth. p. 35.
2) s. Winer a. a. O. S. 660.
3) a. a. O. Nach der Beobachtung übrigens, welche er Pro-
legg. in Matthaeum p. XV. ausspricht: omne studium — eo
contulit scriptor (der Verf. des ersten Evangeliums) ut nihil
Jesu ad Messiae exemplar fingi posset expressius, giebt
Fritzsche die Tendenz der Genealogie bei Matthäus in der
Überschrift des ersten Kapitels, Comm. p. 6., ganz richtig
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