zu erwartende Geburt durch himmlische Boten verkündigt werde; Johannes war ein grosser Mann und Prophet: also machte die Sage auch ihn zu einem Spätgeborenen, und liess seine Geburt durch einen Engel verkündigt werden.
Weil auf diese Weise die Deutung der vorliegenden Erzählung als eines halben (sogenannten historischen) My- thus von allen Schwierigkeiten einer halben Massregel ge- drückt ist: so hat sich schon Gabler lieber der Annahme eines reinen (sogenannten philosophischen, besser: dog- matischen) Mythus zugewendet 4), und Horst hielt, wie die ganzen zwei ersten Kapitel des Lukas, so auch diesen Theil derselben für eine sinnreiche Dichtung, in welche mit der Geburtsgeschichte des Messias auch die seines Vor- läufers aufgenommen, und die Vorhersagen über dessen Charakter und Wirksamkeit nach dem Erfolge gebildet seien; wobei gerade auch die redselige Umständlichkeit der Erzählung den Dichter verrathe 5). Ebenso hat Schleier- macher wenigstens das erste Kapitel des Lukas für ein kleines poetisches Kunstwerk erklärt, in der Art mehrerer jüdischer Dichtungen, die wir noch unter den Apokryphen finden. Er will zwar nicht das Ganze für durchaus er- sonnen erklären, sondern es mögen Thatsachen und weit-
noscatur. Prima enim gentis vestrae Sara mater nonne usque ad octogesimum annum infecunda fuit? et tamen in ultima senectutis aetate genuit Isaac, cui repromissa erat benedictio omnium gentium. Rachel quoque, tantum Domino grata tantumque a sancto Jacob amata, diu sterilis fuit, et tamen Joseph genuit, non solum dominum Aegypti, sed plurimarum gentium fame periturarum liberatorem. Quis in ducibus vel fortior Sampsone, vel sanctior Samuele? et tamen hi ambo steriles matres habuere. -- ergo -- crede -- dilatos diu conceptus et steriles partus mirabiliores esse solere.
4) neuestes theol. Journal 7, 1, S. 402 f.
5) In Henhe's Museum, 1, 4, S. 702 ff.
Erster Abschnitt.
zu erwartende Geburt durch himmlische Boten verkündigt werde; Johannes war ein groſser Mann und Prophet: also machte die Sage auch ihn zu einem Spätgeborenen, und lieſs seine Geburt durch einen Engel verkündigt werden.
Weil auf diese Weise die Deutung der vorliegenden Erzählung als eines halben (sogenannten historischen) My- thus von allen Schwierigkeiten einer halben Maſsregel ge- drückt ist: so hat sich schon Gabler lieber der Annahme eines reinen (sogenannten philosophischen, besser: dog- matischen) Mythus zugewendet 4), und Horst hielt, wie die ganzen zwei ersten Kapitel des Lukas, so auch diesen Theil derselben für eine sinnreiche Dichtung, in welche mit der Geburtsgeschichte des Messias auch die seines Vor- läufers aufgenommen, und die Vorhersagen über dessen Charakter und Wirksamkeit nach dem Erfolge gebildet seien; wobei gerade auch die redselige Umständlichkeit der Erzählung den Dichter verrathe 5). Ebenso hat Schleier- macher wenigstens das erste Kapitel des Lukas für ein kleines poëtisches Kunstwerk erklärt, in der Art mehrerer jüdischer Dichtungen, die wir noch unter den Apokryphen finden. Er will zwar nicht das Ganze für durchaus er- sonnen erklären, sondern es mögen Thatsachen und weit-
noscatur. Prima enim gentis vestrae Sara mater nonne usque ad octogesimum annum infecunda fuit? et tamen in ultima senectutis aetate genuit Isaac, cui repromissa erat benedictio omnium gentium. Rachel quoque, tantum Domino grata tantumque a sancto Jacob amata, diu sterilis fuit, et tamen Joseph genuit, non solum dominum Aegypti, sed plurimarum gentium fame periturarum liberatorem. Quis in ducibus vel fortior Sampsone, vel sanctior Samuele? et tamen hi ambo steriles matres habuere. — ergo — crede — dilatos diu conceptus et steriles partus mirabiliores esse solere.
4) neuestes theol. Journal 7, 1, S. 402 f.
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Erster Abschnitt.
zu erwartende Geburt durch himmlische Boten verkündigt
werde; Johannes war ein groſser Mann und Prophet: also
machte die Sage auch ihn zu einem Spätgeborenen, und
lieſs seine Geburt durch einen Engel verkündigt werden.
Weil auf diese Weise die Deutung der vorliegenden
Erzählung als eines halben (sogenannten historischen) My-
thus von allen Schwierigkeiten einer halben Maſsregel ge-
drückt ist: so hat sich schon Gabler lieber der Annahme
eines reinen (sogenannten philosophischen, besser: dog-
matischen) Mythus zugewendet 4), und Horst hielt, wie
die ganzen zwei ersten Kapitel des Lukas, so auch diesen
Theil derselben für eine sinnreiche Dichtung, in welche
mit der Geburtsgeschichte des Messias auch die seines Vor-
läufers aufgenommen, und die Vorhersagen über dessen
Charakter und Wirksamkeit nach dem Erfolge gebildet
seien; wobei gerade auch die redselige Umständlichkeit der
Erzählung den Dichter verrathe 5). Ebenso hat Schleier-
macher wenigstens das erste Kapitel des Lukas für ein
kleines poëtisches Kunstwerk erklärt, in der Art mehrerer
jüdischer Dichtungen, die wir noch unter den Apokryphen
finden. Er will zwar nicht das Ganze für durchaus er-
sonnen erklären, sondern es mögen Thatsachen und weit-
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4) neuestes theol. Journal 7, 1, S. 402 f.
5) In Henhe's Museum, 1, 4, S. 702 ff.
3) noscatur. Prima enim gentis vestrae Sara mater nonne
usque ad octogesimum annum infecunda fuit? et tamen in
ultima senectutis aetate genuit Isaac, cui repromissa erat
benedictio omnium gentium. Rachel quoque, tantum Domino
grata tantumque a sancto Jacob amata, diu sterilis fuit,
et tamen Joseph genuit, non solum dominum Aegypti, sed
plurimarum gentium fame periturarum liberatorem. Quis
in ducibus vel fortior Sampsone, vel sanctior Samuele? et
tamen hi ambo steriles matres habuere. — ergo — crede —
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/124>, abgerufen am 23.11.2024.
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