lich Simsons Geburt auf ähnliche Weise angekündigt wird. Doch nicht rein erdichtet sollte die Sache sein, sondern als historische Wahrheit möge zum Grunde liegen, dass Zacharias mit Elisabet lange in einer unfruchtbaren Ehe gelebt, dass ihm einmal im Tempel eine Stockung des Bluts seine alte Zunge gelähmt, bald darauf aber seine bejahrte Frau ihm einen Sohn geboren, und er in der Freude hier- über das Sprachvermögen wieder bekommen habe. Schon damals, noch mehr aber als Johannes ein merkwürdiger Mann wurde, machte die Geschichte Aufsehen, und es bil- dete sich die vorliegende Sage 1).
Man muss verwundert sein, unter anderem Titel hier beinahe wieder dieselbe Erklärung sich vorgeführt zu se- hen, welche bisher als natürliche beurtheilt worden ist, so dass die aufgenommene Voraussetzung möglicher Einmi- schung späterer Sagen in die Relation fast keinen Einfluss auf die Ansicht von der Sache selbst gehabt hat. Da die Erklärungsweise, auf deren Boden wir jetzt getreten sind, das Vertrauen zu den Berichten, als ächthistorischen, ein- mal aufgegeben hat: so müssen ihr alle Züge derselben an sich gleich problematisch sein, und ob sie einige doch als geschichtlich festhalten soll, kann sich nur darnach bestim- men, ob ein und der andere Zug theils für sich nicht so schwierig, theils nicht so im Geist, Interesse und Zusam- menhang der Sage ist, dass sein Ursprung aus dieser wahr- scheinlich würde. Als solche Züge werden hier festgehal- ten die lange Unfruchtbarkeit der Elisabet und das plöz- liche Verstummen des Zacharias, so dass nur die Erschei- nung und Vorhersagung des Engels preissgegeben wird. Da aber eben durch die Wegschaffung der Angelophanie die Stummheit des Zacharias in ihrem plözlichen Eintre- ten und Wiederaufhören ihre einzig genügende übernatür-
1) E. F. über die zwei ersten Kapitel u. s. w. in Henke's Ma- gazin 5, 1, S. 162 ff., und Bauer hebr. Mythol. 2, 220 f.
Erster Abschnitt.
lich Simsons Geburt auf ähnliche Weise angekündigt wird. Doch nicht rein erdichtet sollte die Sache sein, sondern als historische Wahrheit möge zum Grunde liegen, daſs Zacharias mit Elisabet lange in einer unfruchtbaren Ehe gelebt, daſs ihm einmal im Tempel eine Stockung des Bluts seine alte Zunge gelähmt, bald darauf aber seine bejahrte Frau ihm einen Sohn geboren, und er in der Freude hier- über das Sprachvermögen wieder bekommen habe. Schon damals, noch mehr aber als Johannes ein merkwürdiger Mann wurde, machte die Geschichte Aufsehen, und es bil- dete sich die vorliegende Sage 1).
Man muſs verwundert sein, unter anderem Titel hier beinahe wieder dieselbe Erklärung sich vorgeführt zu se- hen, welche bisher als natürliche beurtheilt worden ist, so daſs die aufgenommene Voraussetzung möglicher Einmi- schung späterer Sagen in die Relation fast keinen Einfluſs auf die Ansicht von der Sache selbst gehabt hat. Da die Erklärungsweise, auf deren Boden wir jetzt getreten sind, das Vertrauen zu den Berichten, als ächthistorischen, ein- mal aufgegeben hat: so müssen ihr alle Züge derselben an sich gleich problematisch sein, und ob sie einige doch als geschichtlich festhalten soll, kann sich nur darnach bestim- men, ob ein und der andere Zug theils für sich nicht so schwierig, theils nicht so im Geist, Interesse und Zusam- menhang der Sage ist, daſs sein Ursprung aus dieser wahr- scheinlich würde. Als solche Züge werden hier festgehal- ten die lange Unfruchtbarkeit der Elisabet und das plöz- liche Verstummen des Zacharias, so daſs nur die Erschei- nung und Vorhersagung des Engels preiſsgegeben wird. Da aber eben durch die Wegschaffung der Angelophanie die Stummheit des Zacharias in ihrem plözlichen Eintre- ten und Wiederaufhören ihre einzig genügende übernatür-
1) E. F. über die zwei ersten Kapitel u. s. w. in Henke's Ma- gazin 5, 1, S. 162 ff., und Bauer hebr. Mythol. 2, 220 f.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0122"n="98"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erster Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
lich Simsons Geburt auf ähnliche Weise angekündigt wird.<lb/>
Doch nicht rein erdichtet sollte die Sache sein, sondern<lb/>
als historische Wahrheit möge zum Grunde liegen, daſs<lb/>
Zacharias mit Elisabet lange in einer unfruchtbaren Ehe<lb/>
gelebt, daſs ihm einmal im Tempel eine Stockung des Bluts<lb/>
seine alte Zunge gelähmt, bald darauf aber seine bejahrte<lb/>
Frau ihm einen Sohn geboren, und er in der Freude hier-<lb/>
über das Sprachvermögen wieder bekommen habe. Schon<lb/>
damals, noch mehr aber als Johannes ein merkwürdiger<lb/>
Mann wurde, machte die Geschichte Aufsehen, und es bil-<lb/>
dete sich die vorliegende Sage <noteplace="foot"n="1)">E. F. über die zwei ersten Kapitel u. s. w. in <hirendition="#k">Henke</hi>'s Ma-<lb/>
gazin 5, 1, S. 162 ff., und <hirendition="#k">Bauer</hi> hebr. Mythol. 2, 220 f.</note>.</p><lb/><p>Man muſs verwundert sein, unter anderem Titel hier<lb/>
beinahe wieder dieselbe Erklärung sich vorgeführt zu se-<lb/>
hen, welche bisher als natürliche beurtheilt worden ist, so<lb/>
daſs die aufgenommene Voraussetzung möglicher Einmi-<lb/>
schung späterer Sagen in die Relation fast keinen Einfluſs<lb/>
auf die Ansicht von der Sache selbst gehabt hat. Da die<lb/>
Erklärungsweise, auf deren Boden wir jetzt getreten sind,<lb/>
das Vertrauen zu den Berichten, als ächthistorischen, ein-<lb/>
mal aufgegeben hat: so müssen ihr alle Züge derselben an<lb/>
sich gleich problematisch sein, und ob sie einige doch als<lb/>
geschichtlich festhalten soll, kann sich nur darnach bestim-<lb/>
men, ob ein und der andere Zug theils für sich nicht so<lb/>
schwierig, theils nicht so im Geist, Interesse und Zusam-<lb/>
menhang der Sage ist, daſs sein Ursprung aus dieser wahr-<lb/>
scheinlich würde. Als solche Züge werden hier festgehal-<lb/>
ten die lange Unfruchtbarkeit der Elisabet und das plöz-<lb/>
liche Verstummen des Zacharias, so daſs nur die Erschei-<lb/>
nung und Vorhersagung des Engels preiſsgegeben wird.<lb/>
Da aber eben durch die Wegschaffung der Angelophanie<lb/>
die Stummheit des Zacharias in ihrem plözlichen Eintre-<lb/>
ten und Wiederaufhören ihre einzig genügende übernatür-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[98/0122]
Erster Abschnitt.
lich Simsons Geburt auf ähnliche Weise angekündigt wird.
Doch nicht rein erdichtet sollte die Sache sein, sondern
als historische Wahrheit möge zum Grunde liegen, daſs
Zacharias mit Elisabet lange in einer unfruchtbaren Ehe
gelebt, daſs ihm einmal im Tempel eine Stockung des Bluts
seine alte Zunge gelähmt, bald darauf aber seine bejahrte
Frau ihm einen Sohn geboren, und er in der Freude hier-
über das Sprachvermögen wieder bekommen habe. Schon
damals, noch mehr aber als Johannes ein merkwürdiger
Mann wurde, machte die Geschichte Aufsehen, und es bil-
dete sich die vorliegende Sage 1).
Man muſs verwundert sein, unter anderem Titel hier
beinahe wieder dieselbe Erklärung sich vorgeführt zu se-
hen, welche bisher als natürliche beurtheilt worden ist, so
daſs die aufgenommene Voraussetzung möglicher Einmi-
schung späterer Sagen in die Relation fast keinen Einfluſs
auf die Ansicht von der Sache selbst gehabt hat. Da die
Erklärungsweise, auf deren Boden wir jetzt getreten sind,
das Vertrauen zu den Berichten, als ächthistorischen, ein-
mal aufgegeben hat: so müssen ihr alle Züge derselben an
sich gleich problematisch sein, und ob sie einige doch als
geschichtlich festhalten soll, kann sich nur darnach bestim-
men, ob ein und der andere Zug theils für sich nicht so
schwierig, theils nicht so im Geist, Interesse und Zusam-
menhang der Sage ist, daſs sein Ursprung aus dieser wahr-
scheinlich würde. Als solche Züge werden hier festgehal-
ten die lange Unfruchtbarkeit der Elisabet und das plöz-
liche Verstummen des Zacharias, so daſs nur die Erschei-
nung und Vorhersagung des Engels preiſsgegeben wird.
Da aber eben durch die Wegschaffung der Angelophanie
die Stummheit des Zacharias in ihrem plözlichen Eintre-
ten und Wiederaufhören ihre einzig genügende übernatür-
1) E. F. über die zwei ersten Kapitel u. s. w. in Henke's Ma-
gazin 5, 1, S. 162 ff., und Bauer hebr. Mythol. 2, 220 f.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/122>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.