Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Waldwinkel, Pole Poppenspäler. Novellen. Braunschweig, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

liebsten hätte nun freilich der alte Mann gesehen, wenn Lisei wie vor unserer Verheirathung die Frauenrollen in seinen Stücken gesprochen hätte; aber wir waren übereingekommen, seine dahin zielenden Anspielungen nicht zu verstehen; für die Frau eines Bürgers und Handwerksmeisters wollte sich das denn doch nicht ziemen.

Zum Glück - oder, wie man will, zum Unglück - war derzeit ein ganz reputirliches Frauenzimmer in der Stadt, die einst bei einer Schauspielertruppe als Souffleuse gedient hatte und daher in derlei Dingen nicht unbewandert war. Diese - Kröpel-Lieschen nannten sie die Leute von wegen ihrer Kreuzlahmheit - ging sofort auf unser Anerbieten ein, und bald entwickelte sich am Feierabend und an den Sonntagnachmittagen die lebhafteste Thätigkeit in Vater Joseph's Stübchen. Während vor dem einen Fenster der alte Heinrich an den Gerüststücken des Theaters zimmerte, stand vor dem anderen zwischen frisch angemalten Coulissen, die von der Zimmerdecke herunterhingen, der alte Puppenspieler und exercirte mit Kröpel-Lieschen eine Scene nach der anderen. Sie sei ein

liebsten hätte nun freilich der alte Mann gesehen, wenn Lisei wie vor unserer Verheirathung die Frauenrollen in seinen Stücken gesprochen hätte; aber wir waren übereingekommen, seine dahin zielenden Anspielungen nicht zu verstehen; für die Frau eines Bürgers und Handwerksmeisters wollte sich das denn doch nicht ziemen.

Zum Glück – oder, wie man will, zum Unglück – war derzeit ein ganz reputirliches Frauenzimmer in der Stadt, die einst bei einer Schauspielertruppe als Souffleuse gedient hatte und daher in derlei Dingen nicht unbewandert war. Diese – Kröpel-Lieschen nannten sie die Leute von wegen ihrer Kreuzlahmheit – ging sofort auf unser Anerbieten ein, und bald entwickelte sich am Feierabend und an den Sonntagnachmittagen die lebhafteste Thätigkeit in Vater Joseph’s Stübchen. Während vor dem einen Fenster der alte Heinrich an den Gerüststücken des Theaters zimmerte, stand vor dem anderen zwischen frisch angemalten Coulissen, die von der Zimmerdecke herunterhingen, der alte Puppenspieler und exercirte mit Kröpel-Lieschen eine Scene nach der anderen. Sie sei ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0210" n="206"/>
liebsten hätte nun freilich der alte Mann gesehen, wenn Lisei wie vor unserer Verheirathung die Frauenrollen in seinen Stücken gesprochen hätte; aber wir waren übereingekommen, seine dahin zielenden Anspielungen nicht zu verstehen; für die Frau eines Bürgers und Handwerksmeisters wollte sich das denn doch nicht ziemen.</p>
        <p>Zum Glück &#x2013; oder, wie man will, zum Unglück &#x2013; war derzeit ein ganz reputirliches Frauenzimmer in der Stadt, die einst bei einer Schauspielertruppe als Souffleuse gedient hatte und daher in derlei Dingen nicht unbewandert war. Diese &#x2013; Kröpel-Lieschen nannten sie die Leute von wegen ihrer Kreuzlahmheit &#x2013; ging sofort auf unser Anerbieten ein, und bald entwickelte sich am Feierabend und an den Sonntagnachmittagen die lebhafteste Thätigkeit in Vater Joseph&#x2019;s Stübchen. Während vor dem einen Fenster der alte Heinrich an den Gerüststücken des Theaters zimmerte, stand vor dem anderen zwischen frisch angemalten Coulissen, die von der Zimmerdecke herunterhingen, der alte Puppenspieler und exercirte mit Kröpel-Lieschen eine Scene nach der anderen. Sie sei ein
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0210] liebsten hätte nun freilich der alte Mann gesehen, wenn Lisei wie vor unserer Verheirathung die Frauenrollen in seinen Stücken gesprochen hätte; aber wir waren übereingekommen, seine dahin zielenden Anspielungen nicht zu verstehen; für die Frau eines Bürgers und Handwerksmeisters wollte sich das denn doch nicht ziemen. Zum Glück – oder, wie man will, zum Unglück – war derzeit ein ganz reputirliches Frauenzimmer in der Stadt, die einst bei einer Schauspielertruppe als Souffleuse gedient hatte und daher in derlei Dingen nicht unbewandert war. Diese – Kröpel-Lieschen nannten sie die Leute von wegen ihrer Kreuzlahmheit – ging sofort auf unser Anerbieten ein, und bald entwickelte sich am Feierabend und an den Sonntagnachmittagen die lebhafteste Thätigkeit in Vater Joseph’s Stübchen. Während vor dem einen Fenster der alte Heinrich an den Gerüststücken des Theaters zimmerte, stand vor dem anderen zwischen frisch angemalten Coulissen, die von der Zimmerdecke herunterhingen, der alte Puppenspieler und exercirte mit Kröpel-Lieschen eine Scene nach der anderen. Sie sei ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt von Wikisource (Waldwinkel, Pole Poppenspäler).

Quelle der Scans: Wikimedia Commons.

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_waldwinkel_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_waldwinkel_1875/210
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Waldwinkel, Pole Poppenspäler. Novellen. Braunschweig, 1875, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_waldwinkel_1875/210>, abgerufen am 27.11.2024.