kam mit Gekreisch und ausgespreitzten Flügeln die Möve aus irgend einem Winkel hervorgeschossen und machte sich darüber her. Erst erschrak das Kind und schrie auf vor dem großen, stürmenden Vogel; bald aber war es wie ein eingelerntes Spiel, und wenn sie nur ihr Köpfchen durch den Thürspalt steckte, schoß schon der Vogel auf sie zu und setzte sich ihr auf Kopf oder Schulter, bis die Alte ihr zu Hülfe kam und die Fütterung beginnen konnte. Trien' Jans, die es sonst nicht hatte leiden können, daß einer auch nur die Hand nach ihrem "Claus" ausstreckte, sah jetzt geduldig zu, wie das Kind allmälig ihr den Vogel völlig abgewann. Er ließ sich willig von ihr haschen; sie trug ihn umher und wickelte ihn in ihre Schürze, und wenn dann auf der Werfte etwa das gelbe Hündlein um sie herum und eifersüchtig gegen den Vogel aufsprang, dann rief sie wohl: "Nicht Du, nicht Du, Perle!" und hob mit ihren Aermchen die Möve so hoch, daß diese, sich selbst befreiend, schreiend über die Werfte hinflog, und statt ihrer nun der Hund durch Schmeicheln und Springen den Platz auf ihren Armen zu erobern suchte.
Fielen zufällig Hauke's oder Elke's Augen auf
kam mit Gekreiſch und ausgeſpreitzten Flügeln die Möve aus irgend einem Winkel hervorgeſchoſſen und machte ſich darüber her. Erſt erſchrak das Kind und ſchrie auf vor dem großen, ſtürmenden Vogel; bald aber war es wie ein eingelerntes Spiel, und wenn ſie nur ihr Köpfchen durch den Thürſpalt ſteckte, ſchoß ſchon der Vogel auf ſie zu und ſetzte ſich ihr auf Kopf oder Schulter, bis die Alte ihr zu Hülfe kam und die Fütterung beginnen konnte. Trien' Jans, die es ſonſt nicht hatte leiden können, daß einer auch nur die Hand nach ihrem „Claus” ausſtreckte, ſah jetzt geduldig zu, wie das Kind allmälig ihr den Vogel völlig abgewann. Er ließ ſich willig von ihr haſchen; ſie trug ihn umher und wickelte ihn in ihre Schürze, und wenn dann auf der Werfte etwa das gelbe Hündlein um ſie herum und eiferſüchtig gegen den Vogel aufſprang, dann rief ſie wohl: „Nicht Du, nicht Du, Perle!” und hob mit ihren Aermchen die Möve ſo hoch, daß dieſe, ſich ſelbſt befreiend, ſchreiend über die Werfte hinflog, und ſtatt ihrer nun der Hund durch Schmeicheln und Springen den Platz auf ihren Armen zu erobern ſuchte.
Fielen zufällig Hauke's oder Elke's Augen auf
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kam mit Gekreiſch und ausgeſpreitzten Flügeln die
Möve aus irgend einem Winkel hervorgeſchoſſen
und machte ſich darüber her. Erſt erſchrak das
Kind und ſchrie auf vor dem großen, ſtürmenden
Vogel; bald aber war es wie ein eingelerntes
Spiel, und wenn ſie nur ihr Köpfchen durch den
Thürſpalt ſteckte, ſchoß ſchon der Vogel auf ſie
zu und ſetzte ſich ihr auf Kopf oder Schulter, bis
die Alte ihr zu Hülfe kam und die Fütterung
beginnen konnte. Trien' Jans, die es ſonſt nicht
hatte leiden können, daß einer auch nur die Hand
nach ihrem „Claus” ausſtreckte, ſah jetzt geduldig
zu, wie das Kind allmälig ihr den Vogel völlig
abgewann. Er ließ ſich willig von ihr haſchen;
ſie trug ihn umher und wickelte ihn in ihre Schürze,
und wenn dann auf der Werfte etwa das gelbe
Hündlein um ſie herum und eiferſüchtig gegen
den Vogel aufſprang, dann rief ſie wohl: „Nicht
Du, nicht Du, Perle!” und hob mit ihren Aermchen
die Möve ſo hoch, daß dieſe, ſich ſelbſt befreiend,
ſchreiend über die Werfte hinflog, und ſtatt ihrer
nun der Hund durch Schmeicheln und Springen
den Platz auf ihren Armen zu erobern ſuchte.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin), April/Mai 1888. Erste Buchausgabe Berlin: Paetel 1888, diese wurde für das DTA zur Digitalisierung herangezogen.
Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/185>, abgerufen am 25.02.2025.
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