längst zur Ruhe gestelltes Spinnrad und ein sehr sauberes Gardinenbett, vor dem ein ungefüger, mit dem weißen Fell des weiland Angorakaters überzogener Schemel stand. Aber auch was Lebiges hatte sie noch um sich gehabt und mit hieher ge- bracht: das war die Möve Claus, die sich schon jahrelang zu ihr gehalten hatte und von ihr gefüttert worden war; freilich, wenn es Winter wurde, flog sie mit den anderen Möven südwärts und kam erst wieder, wenn am Strand der Wermuth duftete.
Die Scheuer lag etwas tiefer an der Werfte; die Alte konnte von ihrem Fenster aus nicht über den Deich auf die See hinausblicken. "Du hast mich hier als wie gefangen, Deichgraf!" murrte sie eines Tages, als Hauke zu ihr eintrat, und wies mit ihrem verkrümmten Finger nach den Fennen hinaus, die sich dort unten breiteten. "Wo ist denn Jeverssand? Da über den rothen oder über den schwarzen Ochsen hinaus?"
"Was will Sie denn mit Jeverssand?" frug Hauke.
-- "Ach was, Jeverssand!" brummte die Alte. "Aber ich will doch sehen, wo mein Jung mir derzeit ist zu Gott gegangen!"
längſt zur Ruhe geſtelltes Spinnrad und ein ſehr ſauberes Gardinenbett, vor dem ein ungefüger, mit dem weißen Fell des weiland Angorakaters überzogener Schemel ſtand. Aber auch was Lebiges hatte ſie noch um ſich gehabt und mit hieher ge- bracht: das war die Möve Claus, die ſich ſchon jahrelang zu ihr gehalten hatte und von ihr gefüttert worden war; freilich, wenn es Winter wurde, flog ſie mit den anderen Möven ſüdwärts und kam erſt wieder, wenn am Strand der Wermuth duftete.
Die Scheuer lag etwas tiefer an der Werfte; die Alte konnte von ihrem Fenſter aus nicht über den Deich auf die See hinausblicken. „Du haſt mich hier als wie gefangen, Deichgraf!” murrte ſie eines Tages, als Hauke zu ihr eintrat, und wies mit ihrem verkrümmten Finger nach den Fennen hinaus, die ſich dort unten breiteten. „Wo iſt denn Jeversſand? Da über den rothen oder über den ſchwarzen Ochſen hinaus?”
„Was will Sie denn mit Jeversſand?” frug Hauke.
— „Ach was, Jeversſand!” brummte die Alte. „Aber ich will doch ſehen, wo mein Jung mir derzeit iſt zu Gott gegangen!”
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längſt zur Ruhe geſtelltes Spinnrad und ein ſehr
ſauberes Gardinenbett, vor dem ein ungefüger,
mit dem weißen Fell des weiland Angorakaters
überzogener Schemel ſtand. Aber auch was Lebiges
hatte ſie noch um ſich gehabt und mit hieher ge-
bracht: das war die Möve Claus, die ſich ſchon
jahrelang zu ihr gehalten hatte und von ihr gefüttert
worden war; freilich, wenn es Winter wurde, flog
ſie mit den anderen Möven ſüdwärts und kam erſt
wieder, wenn am Strand der Wermuth duftete.
Die Scheuer lag etwas tiefer an der Werfte;
die Alte konnte von ihrem Fenſter aus nicht über
den Deich auf die See hinausblicken. „Du haſt
mich hier als wie gefangen, Deichgraf!” murrte
ſie eines Tages, als Hauke zu ihr eintrat, und
wies mit ihrem verkrümmten Finger nach den
Fennen hinaus, die ſich dort unten breiteten.
„Wo iſt denn Jeversſand? Da über den rothen
oder über den ſchwarzen Ochſen hinaus?”
„Was will Sie denn mit Jeversſand?” frug
Hauke.
— „Ach was, Jeversſand!” brummte die Alte.
„Aber ich will doch ſehen, wo mein Jung mir
derzeit iſt zu Gott gegangen!”
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin), April/Mai 1888. Erste Buchausgabe Berlin: Paetel 1888, diese wurde für das DTA zur Digitalisierung herangezogen.
Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/182>, abgerufen am 24.02.2025.
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