Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.mit ausdauernder Sorgfalt die Reizung dieses entsetzlichen Keimes zu verhindern weiß, kann bei dem Einzelnen das Unheil vielleicht niederhalten; aber darin wird nur zu arg gesündigt. Die hübsche Anna in Ihrem Hause, das arme Mädchen, das jetzt mit einem Kinde liegt, sie hatte ja wohl nicht den Fehler ihres unglücklichen Vaters, wie das bei Frauen denn auch seltener ist; aber doch - was meinen Sie, das ihr fehlte vor nun dreiviertel Jahr, in jener Nacht, da Sie mich aus dem besten Schlaf aufklopfte? - Ich will es Ihnen sagen, Capitän, - das schöne Mädchen war in jener Nacht sinnlos betrunken! - Wer weiß, ob nicht ihr Unglück ..." Aber ich hörte schon nicht mehr, was der Doctor sprach: denn in mir redete es mit hundert Stimmen durcheinander; aber eine darunter war die stärkste. "Deine Schuld, deine Schuld!" rief sie stets dazwischen. Und das war Rick Geyer's Stimme, die ich gleich erkannte; und bald sah ich ihn vor mir in seiner schönen Jugendflottheit, die Bänder an seinem blanken Hute flatterten im Winde; bald aber mit dem gedunsenen Gesicht und den schweren Augen, die mich zornig ansahen. Dann wieder sah ich die Anna, das zehnjährige begehrliche Ding, wie sie voll Abscheu den heißen Trunk von sich sprudelte, zu dem mit ausdauernder Sorgfalt die Reizung dieses entsetzlichen Keimes zu verhindern weiß, kann bei dem Einzelnen das Unheil vielleicht niederhalten; aber darin wird nur zu arg gesündigt. Die hübsche Anna in Ihrem Hause, das arme Mädchen, das jetzt mit einem Kinde liegt, sie hatte ja wohl nicht den Fehler ihres unglücklichen Vaters, wie das bei Frauen denn auch seltener ist; aber doch – was meinen Sie, das ihr fehlte vor nun dreiviertel Jahr, in jener Nacht, da Sie mich aus dem besten Schlaf aufklopfte? - Ich will es Ihnen sagen, Capitän, – das schöne Mädchen war in jener Nacht sinnlos betrunken! - Wer weiß, ob nicht ihr Unglück …“ Aber ich hörte schon nicht mehr, was der Doctor sprach: denn in mir redete es mit hundert Stimmen durcheinander; aber eine darunter war die stärkste. „Deine Schuld, deine Schuld!“ rief sie stets dazwischen. Und das war Rick Geyer’s Stimme, die ich gleich erkannte; und bald sah ich ihn vor mir in seiner schönen Jugendflottheit, die Bänder an seinem blanken Hute flatterten im Winde; bald aber mit dem gedunsenen Gesicht und den schweren Augen, die mich zornig ansahen. Dann wieder sah ich die Anna, das zehnjährige begehrliche Ding, wie sie voll Abscheu den heißen Trunk von sich sprudelte, zu dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0086" n="82"/> mit ausdauernder Sorgfalt die Reizung dieses entsetzlichen Keimes zu verhindern weiß, kann bei dem Einzelnen das Unheil vielleicht niederhalten; aber darin wird nur zu arg gesündigt. Die hübsche Anna in Ihrem Hause, das arme Mädchen, das jetzt mit einem Kinde liegt, sie hatte ja wohl nicht den Fehler ihres unglücklichen Vaters, wie das bei Frauen denn auch seltener ist; aber doch – was meinen Sie, das ihr fehlte vor nun dreiviertel Jahr, in jener Nacht, da Sie mich aus dem besten Schlaf aufklopfte? - Ich will es Ihnen sagen, Capitän, – das schöne Mädchen war in jener Nacht sinnlos betrunken! - Wer weiß, ob nicht ihr Unglück …“</p> <p>Aber ich hörte schon nicht mehr, was der Doctor sprach: denn in mir redete es mit hundert Stimmen durcheinander; aber eine darunter war die stärkste. „Deine Schuld, deine Schuld!“ rief sie stets dazwischen. Und das war Rick Geyer’s Stimme, die ich gleich erkannte; und bald sah ich ihn vor mir in seiner schönen Jugendflottheit, die Bänder an seinem blanken Hute flatterten im Winde; bald aber mit dem gedunsenen Gesicht und den schweren Augen, die mich zornig ansahen. Dann wieder sah ich die Anna, das zehnjährige begehrliche Ding, wie sie voll Abscheu den heißen Trunk von sich sprudelte, zu dem </p> </div> </body> </text> </TEI> [82/0086]
mit ausdauernder Sorgfalt die Reizung dieses entsetzlichen Keimes zu verhindern weiß, kann bei dem Einzelnen das Unheil vielleicht niederhalten; aber darin wird nur zu arg gesündigt. Die hübsche Anna in Ihrem Hause, das arme Mädchen, das jetzt mit einem Kinde liegt, sie hatte ja wohl nicht den Fehler ihres unglücklichen Vaters, wie das bei Frauen denn auch seltener ist; aber doch – was meinen Sie, das ihr fehlte vor nun dreiviertel Jahr, in jener Nacht, da Sie mich aus dem besten Schlaf aufklopfte? - Ich will es Ihnen sagen, Capitän, – das schöne Mädchen war in jener Nacht sinnlos betrunken! - Wer weiß, ob nicht ihr Unglück …“
Aber ich hörte schon nicht mehr, was der Doctor sprach: denn in mir redete es mit hundert Stimmen durcheinander; aber eine darunter war die stärkste. „Deine Schuld, deine Schuld!“ rief sie stets dazwischen. Und das war Rick Geyer’s Stimme, die ich gleich erkannte; und bald sah ich ihn vor mir in seiner schönen Jugendflottheit, die Bänder an seinem blanken Hute flatterten im Winde; bald aber mit dem gedunsenen Gesicht und den schweren Augen, die mich zornig ansahen. Dann wieder sah ich die Anna, das zehnjährige begehrliche Ding, wie sie voll Abscheu den heißen Trunk von sich sprudelte, zu dem
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/86>, abgerufen am 16.02.2025. |