Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Tugendcreatur lebendig! Wie hat sie geschrieen! Den Mund hab' ich ihr verhalten müssen, daß nur die ganze Gasse nicht zusammenlief: sie wollte den Baron verklagen, von seinem Gelde wollte sie nichts; aber heirathen sollte er ihre Tochter; noch Frau Baronin sollte sie werden! Ja, das sollte sie!

"Ja," sagte ich, "Baronin! Aber wenn's nun ein Posamentirgeselle oder ein Balbirer gewesen ist!"

Da schrie sie noch schlimmer. Und freilich, später erfuhren wir wohl, es war richtig so ein feiner Maat, ein Wasserschößling aus großer Familie gewesen, von denen, die von Schulden leben und deren Geschäft ist, anderer Leute Kinder zu verderben. Der Herrgott weiß, wo er geblieben ist; von seinen Gütern ist er nicht zurückgekommen.

Die Anna aber wurde immer stiller. Wenn die Mutter da war, besorgte diese den Laden, und sie saß im Hinterstübchen und nähte sich die Augen roth; war die Mutter aus dem Hause, so bediente das arme Kind die Käufer demüthig und wie eine Sünderin, sprach nur, was nöthig war, und ihre jungen Augen, die sonst so lustig in die Welt sahen, waren fast allezeit zu Boden geschlagen.

Nur, wenn jezuweilen Abends die Mutter auswärts war, kam sie die Treppe zu mir heraufgeschlichen.

Tugendcreatur lebendig! Wie hat sie geschrieen! Den Mund hab’ ich ihr verhalten müssen, daß nur die ganze Gasse nicht zusammenlief: sie wollte den Baron verklagen, von seinem Gelde wollte sie nichts; aber heirathen sollte er ihre Tochter; noch Frau Baronin sollte sie werden! Ja, das sollte sie!

„Ja,“ sagte ich, „Baronin! Aber wenn’s nun ein Posamentirgeselle oder ein Balbirer gewesen ist!“

Da schrie sie noch schlimmer. Und freilich, später erfuhren wir wohl, es war richtig so ein feiner Maat, ein Wasserschößling aus großer Familie gewesen, von denen, die von Schulden leben und deren Geschäft ist, anderer Leute Kinder zu verderben. Der Herrgott weiß, wo er geblieben ist; von seinen Gütern ist er nicht zurückgekommen.

Die Anna aber wurde immer stiller. Wenn die Mutter da war, besorgte diese den Laden, und sie saß im Hinterstübchen und nähte sich die Augen roth; war die Mutter aus dem Hause, so bediente das arme Kind die Käufer demüthig und wie eine Sünderin, sprach nur, was nöthig war, und ihre jungen Augen, die sonst so lustig in die Welt sahen, waren fast allezeit zu Boden geschlagen.

Nur, wenn jezuweilen Abends die Mutter auswärts war, kam sie die Treppe zu mir heraufgeschlichen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0078" n="74"/>
Tugendcreatur lebendig! Wie hat sie geschrieen! Den Mund hab&#x2019; ich ihr verhalten müssen, daß nur die ganze Gasse nicht zusammenlief: sie wollte den Baron verklagen, von seinem Gelde wollte sie nichts; aber heirathen sollte er ihre Tochter; noch Frau Baronin sollte sie werden! Ja, das sollte sie!</p>
        <p>&#x201E;Ja,&#x201C; sagte ich, &#x201E;Baronin! Aber wenn&#x2019;s nun ein Posamentirgeselle oder ein Balbirer gewesen ist!&#x201C;</p>
        <p>Da schrie sie noch schlimmer. Und freilich, später erfuhren wir wohl, es war richtig so ein feiner Maat, ein Wasserschößling aus großer Familie gewesen, von denen, die von Schulden leben und deren Geschäft ist, anderer Leute Kinder zu verderben. Der Herrgott weiß, wo er geblieben ist; von seinen Gütern ist er nicht zurückgekommen.</p>
        <p>Die Anna aber wurde immer stiller. Wenn die Mutter da war, besorgte diese den Laden, und sie saß im Hinterstübchen und nähte sich die Augen roth; war die Mutter aus dem Hause, so bediente das arme Kind die Käufer demüthig und wie eine Sünderin, sprach nur, was nöthig war, und ihre jungen Augen, die sonst so lustig in die Welt sahen, waren fast allezeit zu Boden geschlagen.</p>
        <p>Nur, wenn jezuweilen Abends die Mutter auswärts war, kam sie die Treppe zu mir heraufgeschlichen.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0078] Tugendcreatur lebendig! Wie hat sie geschrieen! Den Mund hab’ ich ihr verhalten müssen, daß nur die ganze Gasse nicht zusammenlief: sie wollte den Baron verklagen, von seinem Gelde wollte sie nichts; aber heirathen sollte er ihre Tochter; noch Frau Baronin sollte sie werden! Ja, das sollte sie! „Ja,“ sagte ich, „Baronin! Aber wenn’s nun ein Posamentirgeselle oder ein Balbirer gewesen ist!“ Da schrie sie noch schlimmer. Und freilich, später erfuhren wir wohl, es war richtig so ein feiner Maat, ein Wasserschößling aus großer Familie gewesen, von denen, die von Schulden leben und deren Geschäft ist, anderer Leute Kinder zu verderben. Der Herrgott weiß, wo er geblieben ist; von seinen Gütern ist er nicht zurückgekommen. Die Anna aber wurde immer stiller. Wenn die Mutter da war, besorgte diese den Laden, und sie saß im Hinterstübchen und nähte sich die Augen roth; war die Mutter aus dem Hause, so bediente das arme Kind die Käufer demüthig und wie eine Sünderin, sprach nur, was nöthig war, und ihre jungen Augen, die sonst so lustig in die Welt sahen, waren fast allezeit zu Boden geschlagen. Nur, wenn jezuweilen Abends die Mutter auswärts war, kam sie die Treppe zu mir heraufgeschlichen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt von Wikisource (John_Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuus).

Quelle der Scans: Wikimedia Commons (John Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuss).

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/78
Zitationshilfe: Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/78>, abgerufen am 22.11.2024.