Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

stand mit seiner Sichel über den Bäumen im Südost. Rolf Lembeck blickte grübelnd in die Nacht hinaus.

"Nimm! So nimm doch, liebster Mann!" hauchte das Kind und bot ihm ihre rothen Lippen.

Aber er drückte wie in Angst ihren Kopf an seine Brust. "Gieb mir nicht mehr, o Süße, Selige!"

Da lachte sie und riß das dunkle Köpfchen wieder gegen ihn auf. "Und was? So nimm doch, was Dein eigen ist!"

Aber der Mann stöhnte, in Wonne halb und halb in Schmerz: "O Dagmar, ein Feuer ist die Minne; es soll Dich nicht verbrennen!"

Sie verstand ihn nicht; sie frug auch nicht; nur als seine Lippen jetzt flüchtig ihre Stirn berührten, klagte sie: "Das ist ja nicht der Weg zum Herzen! Bist Du mir bös? Was that ich Dir?"

"Du, Dagmar!" rief er und seine Augen leuchteten wie blaue Sterne, "Du fülltest mir das Herz mit Wonne; ich will nicht Todesnoth in Deines bringen! Hör mich, Du Schöne, Unirdische! Mir ist es oft ein Wunder, daß meine Hände Dich berühren können; mir ist, als seiest Du mein schöner Schattengeist, von dem die alten Mähren sagen, zwischen Lilien aus dem Mondscheinsee zu mir emporgestiegen; mir träumt zu Nacht, daß Flügel

stand mit seiner Sichel über den Bäumen im Südost. Rolf Lembeck blickte grübelnd in die Nacht hinaus.

„Nimm! So nimm doch, liebster Mann!“ hauchte das Kind und bot ihm ihre rothen Lippen.

Aber er drückte wie in Angst ihren Kopf an seine Brust. „Gieb mir nicht mehr, o Süße, Selige!“

Da lachte sie und riß das dunkle Köpfchen wieder gegen ihn auf. „Und was? So nimm doch, was Dein eigen ist!“

Aber der Mann stöhnte, in Wonne halb und halb in Schmerz: „O Dagmar, ein Feuer ist die Minne; es soll Dich nicht verbrennen!“

Sie verstand ihn nicht; sie frug auch nicht; nur als seine Lippen jetzt flüchtig ihre Stirn berührten, klagte sie: „Das ist ja nicht der Weg zum Herzen! Bist Du mir bös? Was that ich Dir?“

„Du, Dagmar!“ rief er und seine Augen leuchteten wie blaue Sterne, „Du fülltest mir das Herz mit Wonne; ich will nicht Todesnoth in Deines bringen! Hör mich, Du Schöne, Unirdische! Mir ist es oft ein Wunder, daß meine Hände Dich berühren können; mir ist, als seiest Du mein schöner Schattengeist, von dem die alten Mähren sagen, zwischen Lilien aus dem Mondscheinsee zu mir emporgestiegen; mir träumt zu Nacht, daß Flügel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0185" n="181"/>
stand mit seiner Sichel über den Bäumen im Südost. Rolf Lembeck blickte grübelnd in die Nacht hinaus.</p>
        <p>&#x201E;Nimm! So nimm doch, liebster Mann!&#x201C; hauchte das Kind und bot ihm ihre rothen Lippen.</p>
        <p>Aber er drückte wie in Angst ihren Kopf an seine Brust. &#x201E;Gieb mir nicht mehr, o Süße, Selige!&#x201C;</p>
        <p>Da lachte sie und riß das dunkle Köpfchen wieder gegen ihn auf. &#x201E;Und was? So nimm doch, was Dein eigen ist!&#x201C;</p>
        <p>Aber der Mann stöhnte, in Wonne halb und halb in Schmerz: &#x201E;O Dagmar, ein Feuer ist die Minne; es soll Dich nicht verbrennen!&#x201C;</p>
        <p>Sie verstand ihn nicht; sie frug auch nicht; nur als seine Lippen jetzt flüchtig ihre Stirn berührten, klagte sie: &#x201E;Das ist ja nicht der Weg zum Herzen! Bist Du mir bös? Was that ich Dir?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Du, Dagmar!&#x201C; rief er und seine Augen leuchteten wie blaue Sterne, &#x201E;Du fülltest mir das Herz mit Wonne; ich will nicht Todesnoth in Deines bringen! Hör mich, Du Schöne, Unirdische! Mir ist es oft ein Wunder, daß meine Hände Dich berühren können; mir ist, als seiest Du mein schöner Schattengeist, von dem die alten Mähren sagen, zwischen Lilien aus dem Mondscheinsee zu mir emporgestiegen; mir träumt zu Nacht, daß Flügel
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0185] stand mit seiner Sichel über den Bäumen im Südost. Rolf Lembeck blickte grübelnd in die Nacht hinaus. „Nimm! So nimm doch, liebster Mann!“ hauchte das Kind und bot ihm ihre rothen Lippen. Aber er drückte wie in Angst ihren Kopf an seine Brust. „Gieb mir nicht mehr, o Süße, Selige!“ Da lachte sie und riß das dunkle Köpfchen wieder gegen ihn auf. „Und was? So nimm doch, was Dein eigen ist!“ Aber der Mann stöhnte, in Wonne halb und halb in Schmerz: „O Dagmar, ein Feuer ist die Minne; es soll Dich nicht verbrennen!“ Sie verstand ihn nicht; sie frug auch nicht; nur als seine Lippen jetzt flüchtig ihre Stirn berührten, klagte sie: „Das ist ja nicht der Weg zum Herzen! Bist Du mir bös? Was that ich Dir?“ „Du, Dagmar!“ rief er und seine Augen leuchteten wie blaue Sterne, „Du fülltest mir das Herz mit Wonne; ich will nicht Todesnoth in Deines bringen! Hör mich, Du Schöne, Unirdische! Mir ist es oft ein Wunder, daß meine Hände Dich berühren können; mir ist, als seiest Du mein schöner Schattengeist, von dem die alten Mähren sagen, zwischen Lilien aus dem Mondscheinsee zu mir emporgestiegen; mir träumt zu Nacht, daß Flügel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt von Wikisource (John_Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuus).

Quelle der Scans: Wikimedia Commons (John Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuss).

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/185
Zitationshilfe: Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/185>, abgerufen am 25.11.2024.