Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.fehlten, sang die Nachtigall, als müsse ihr die Brust zerspringen; und nun ein Ton - lang ausathmend, ohne Ende. "Sie stirbt!" rief Dagmar, warf das süße Haupt zurück und schaute in des Mannes Augen. "O, kann man auch vor Liebe sterben!" - Er aber, in dem Thörichtthun der Minne, hob ihre leichte Last gegen den Silberschein des Mondes und küßte ihre Wangen. "O meine weißen Rosen! O heilige Jungfrau, beschütze mir mein ganz unfaßlich Glück!" Da scholl vom Schlosse her das Klirren einer Pforte, und sie wand sich jäh aus seinen Armen. "Scheiden!" rief sie schmerzlich; dann nahm sie seine Hand und drückte sie um ihre Hüfte; doch nur für eines Athemzuges Dauer. "Nein, fort! - fort!" rief sie in Schrecken. "O, und vergiß nicht mein; ich müßte sterben!" Sie fühlte einen heißen Kuß auf ihren Mund; dann rauschte es in den Pappelzweigen, und sie war allein. Sie stand, als wäre sie nicht lebend; ihre Wangen waren blaß, von ihren Lippen aber schimmerte es roth: das war die Minne, die dort des anderen Paares harrte. "O Herzliebe, o sehnende Noth!" seufzte das Kind und sank auf ihren Sitz. "Und wie heißet er denn nun? - Er? Er -?" fehlten, sang die Nachtigall, als müsse ihr die Brust zerspringen; und nun ein Ton – lang ausathmend, ohne Ende. „Sie stirbt!“ rief Dagmar, warf das süße Haupt zurück und schaute in des Mannes Augen. „O, kann man auch vor Liebe sterben!“ – Er aber, in dem Thörichtthun der Minne, hob ihre leichte Last gegen den Silberschein des Mondes und küßte ihre Wangen. „O meine weißen Rosen! O heilige Jungfrau, beschütze mir mein ganz unfaßlich Glück!“ Da scholl vom Schlosse her das Klirren einer Pforte, und sie wand sich jäh aus seinen Armen. „Scheiden!“ rief sie schmerzlich; dann nahm sie seine Hand und drückte sie um ihre Hüfte; doch nur für eines Athemzuges Dauer. „Nein, fort! – fort!“ rief sie in Schrecken. „O, und vergiß nicht mein; ich müßte sterben!“ Sie fühlte einen heißen Kuß auf ihren Mund; dann rauschte es in den Pappelzweigen, und sie war allein. Sie stand, als wäre sie nicht lebend; ihre Wangen waren blaß, von ihren Lippen aber schimmerte es roth: das war die Minne, die dort des anderen Paares harrte. „O Herzliebe, o sehnende Noth!“ seufzte das Kind und sank auf ihren Sitz. „Und wie heißet er denn nun? – Er? Er -?“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0168" n="164"/> fehlten, sang die Nachtigall, als müsse ihr die Brust zerspringen; und nun ein Ton – lang ausathmend, ohne Ende. „Sie stirbt!“ rief Dagmar, warf das süße Haupt zurück und schaute in des Mannes Augen. „O, kann man auch vor Liebe sterben!“ – Er aber, in dem Thörichtthun der Minne, hob ihre leichte Last gegen den Silberschein des Mondes und küßte ihre Wangen. „O meine weißen Rosen! O heilige Jungfrau, beschütze mir mein ganz unfaßlich Glück!“</p> <p>Da scholl vom Schlosse her das Klirren einer Pforte, und sie wand sich jäh aus seinen Armen. „Scheiden!“ rief sie schmerzlich; dann nahm sie seine Hand und drückte sie um ihre Hüfte; doch nur für eines Athemzuges Dauer. „Nein, fort! – fort!“ rief sie in Schrecken. „O, und vergiß nicht mein; ich müßte sterben!“</p> <p>Sie fühlte einen heißen Kuß auf ihren Mund; dann rauschte es in den Pappelzweigen, und sie war allein. Sie stand, als wäre sie nicht lebend; ihre Wangen waren blaß, von ihren Lippen aber schimmerte es roth: das war die Minne, die dort des anderen Paares harrte. „O Herzliebe, o sehnende Noth!“ seufzte das Kind und sank auf ihren Sitz. „Und wie heißet er denn nun? – Er? Er -?“ </p> </div> </body> </text> </TEI> [164/0168]
fehlten, sang die Nachtigall, als müsse ihr die Brust zerspringen; und nun ein Ton – lang ausathmend, ohne Ende. „Sie stirbt!“ rief Dagmar, warf das süße Haupt zurück und schaute in des Mannes Augen. „O, kann man auch vor Liebe sterben!“ – Er aber, in dem Thörichtthun der Minne, hob ihre leichte Last gegen den Silberschein des Mondes und küßte ihre Wangen. „O meine weißen Rosen! O heilige Jungfrau, beschütze mir mein ganz unfaßlich Glück!“
Da scholl vom Schlosse her das Klirren einer Pforte, und sie wand sich jäh aus seinen Armen. „Scheiden!“ rief sie schmerzlich; dann nahm sie seine Hand und drückte sie um ihre Hüfte; doch nur für eines Athemzuges Dauer. „Nein, fort! – fort!“ rief sie in Schrecken. „O, und vergiß nicht mein; ich müßte sterben!“
Sie fühlte einen heißen Kuß auf ihren Mund; dann rauschte es in den Pappelzweigen, und sie war allein. Sie stand, als wäre sie nicht lebend; ihre Wangen waren blaß, von ihren Lippen aber schimmerte es roth: das war die Minne, die dort des anderen Paares harrte. „O Herzliebe, o sehnende Noth!“ seufzte das Kind und sank auf ihren Sitz. „Und wie heißet er denn nun? – Er? Er -?“
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/168>, abgerufen am 27.07.2024. |