Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

todtenstill; ein Kauz nur schrie von einem Thurm herunter. Plötzlich warf sie jäh das Fenster zu und sah sich wild im Zimmer um: das Haupt des Todten, dem sie hatte sterben helfen, hatte aus der Nacht sie angestarrt. Doch, es war nicht hereingekommen; die Kerzen brannten hell und ruhig.

Und wieder saß sie unbeweglich, und die Qual vergebenen Harrens war nicht mehr zu tragen. Da gedachte sie eines Wundergürtels, den eine uralte Muhme ihr zum ersten Ehefeste mitgegeben hatte. "Es ist derselbe," hatte sie gesagt, "den einst der Ritter an Ginevra gab; so Du ihn umlegst, thut Dir kein Leid was an!" Aber die stolze Braut hatte derzeit Zaubermittel nicht vonnmöthen und warf den Gürtel achtlos von sich. Doch nun war andere Stunde; sie kniete bald vor dieser, bald vor jener Truhe und warf um des verschmähten Kleinods willen ihre Kostbarkeiten durcheinander; da endlich hielt sie den goldgewebten Gürtel in der Hand, und dort saß der Rubin, vor dessen Schein all' Ungemach verschwinden sollte. Sie legte ihn über ihr weißes Nachtgewand, und er schmiegte sich leicht um ihre Hüften; aber vergebens sah sie auf den milden Glanz des Steines; der mußte gegen andere Schmerzen sein.

todtenstill; ein Kauz nur schrie von einem Thurm herunter. Plötzlich warf sie jäh das Fenster zu und sah sich wild im Zimmer um: das Haupt des Todten, dem sie hatte sterben helfen, hatte aus der Nacht sie angestarrt. Doch, es war nicht hereingekommen; die Kerzen brannten hell und ruhig.

Und wieder saß sie unbeweglich, und die Qual vergebenen Harrens war nicht mehr zu tragen. Da gedachte sie eines Wundergürtels, den eine uralte Muhme ihr zum ersten Ehefeste mitgegeben hatte. „Es ist derselbe,“ hatte sie gesagt, „den einst der Ritter an Ginevra gab; so Du ihn umlegst, thut Dir kein Leid was an!“ Aber die stolze Braut hatte derzeit Zaubermittel nicht vonnmöthen und warf den Gürtel achtlos von sich. Doch nun war andere Stunde; sie kniete bald vor dieser, bald vor jener Truhe und warf um des verschmähten Kleinods willen ihre Kostbarkeiten durcheinander; da endlich hielt sie den goldgewebten Gürtel in der Hand, und dort saß der Rubin, vor dessen Schein all’ Ungemach verschwinden sollte. Sie legte ihn über ihr weißes Nachtgewand, und er schmiegte sich leicht um ihre Hüften; aber vergebens sah sie auf den milden Glanz des Steines; der mußte gegen andere Schmerzen sein.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0153" n="149"/>
todtenstill; ein Kauz nur schrie von einem Thurm herunter. Plötzlich warf sie jäh das Fenster zu und sah sich wild im Zimmer um: das Haupt des Todten, dem sie hatte sterben helfen, hatte aus der Nacht sie angestarrt. Doch, es war nicht hereingekommen; die Kerzen brannten hell und ruhig.</p>
        <p>Und wieder saß sie unbeweglich, und die Qual vergebenen Harrens war nicht mehr zu tragen. Da gedachte sie eines Wundergürtels, den eine uralte Muhme ihr zum ersten Ehefeste mitgegeben hatte. &#x201E;Es ist derselbe,&#x201C; hatte sie gesagt, &#x201E;den einst der Ritter an Ginevra gab; so Du ihn umlegst, thut Dir kein Leid was an!&#x201C; Aber die stolze Braut hatte derzeit Zaubermittel nicht vonnmöthen und warf den Gürtel achtlos von sich. Doch nun war andere Stunde; sie kniete bald vor dieser, bald vor jener Truhe und warf um des verschmähten Kleinods willen ihre Kostbarkeiten durcheinander; da endlich hielt sie den goldgewebten Gürtel in der Hand, und dort saß der Rubin, vor dessen Schein all&#x2019; Ungemach verschwinden sollte. Sie legte ihn über ihr weißes Nachtgewand, und er schmiegte sich leicht um ihre Hüften; aber vergebens sah sie auf den milden Glanz des Steines; der mußte gegen andere Schmerzen sein.</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0153] todtenstill; ein Kauz nur schrie von einem Thurm herunter. Plötzlich warf sie jäh das Fenster zu und sah sich wild im Zimmer um: das Haupt des Todten, dem sie hatte sterben helfen, hatte aus der Nacht sie angestarrt. Doch, es war nicht hereingekommen; die Kerzen brannten hell und ruhig. Und wieder saß sie unbeweglich, und die Qual vergebenen Harrens war nicht mehr zu tragen. Da gedachte sie eines Wundergürtels, den eine uralte Muhme ihr zum ersten Ehefeste mitgegeben hatte. „Es ist derselbe,“ hatte sie gesagt, „den einst der Ritter an Ginevra gab; so Du ihn umlegst, thut Dir kein Leid was an!“ Aber die stolze Braut hatte derzeit Zaubermittel nicht vonnmöthen und warf den Gürtel achtlos von sich. Doch nun war andere Stunde; sie kniete bald vor dieser, bald vor jener Truhe und warf um des verschmähten Kleinods willen ihre Kostbarkeiten durcheinander; da endlich hielt sie den goldgewebten Gürtel in der Hand, und dort saß der Rubin, vor dessen Schein all’ Ungemach verschwinden sollte. Sie legte ihn über ihr weißes Nachtgewand, und er schmiegte sich leicht um ihre Hüften; aber vergebens sah sie auf den milden Glanz des Steines; der mußte gegen andere Schmerzen sein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt von Wikisource (John_Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuus).

Quelle der Scans: Wikimedia Commons (John Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuss).

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/153
Zitationshilfe: Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/153>, abgerufen am 22.11.2024.