Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.Augen voll von Thränen standen; dann war es verschwunden, und ich hörte langsame Schritte in den Garten hinab. War das der arge Bube, von dem die Leute redeten? Nachdenklich setzte ich meine Abendwanderung fort, denn das Gesicht, welches ich eben sah, einmal mußte ich es schon gesehen haben, vor fünfzehn oder zwanzig Jahren - aber das ging ja nicht, der Knabe mochte jetzt kaum zwölfe zählen. Noch am Abend dieses Tages hörten wir, in dem neuen rothen Hause liege die alte Haushälterin im Sterben; aber das Haus selbst war am Nachmittage, als ich dort vorbeigegangen, in seiner gewohnten wunderlichen Einsamkeit dagestanden, die Gardinen hatten, wie immer, unbewegt hinter den blauen Vorsätzen gehangen, keinen Laut hatte ich vernommen, selbst der schöne wilde Knabe hinter dem Gartenzaune war mir nur wie ein Gespenst erschienen; auch das Sterben wurde hier ganz still besorgt. Als ich am andern Tage mit meiner Frau vorüber ging, sagte ich: "Im neuen Hause hier soll Eine zum Sterben liegen; zu leben scheint man nicht darin." "Dann wird sie schon gestorben sein," erwiderte Augen voll von Thränen standen; dann war es verschwunden, und ich hörte langsame Schritte in den Garten hinab. War das der arge Bube, von dem die Leute redeten? Nachdenklich setzte ich meine Abendwanderung fort, denn das Gesicht, welches ich eben sah, einmal mußte ich es schon gesehen haben, vor fünfzehn oder zwanzig Jahren – aber das ging ja nicht, der Knabe mochte jetzt kaum zwölfe zählen. Noch am Abend dieses Tages hörten wir, in dem neuen rothen Hause liege die alte Haushälterin im Sterben; aber das Haus selbst war am Nachmittage, als ich dort vorbeigegangen, in seiner gewohnten wunderlichen Einsamkeit dagestanden, die Gardinen hatten, wie immer, unbewegt hinter den blauen Vorsätzen gehangen, keinen Laut hatte ich vernommen, selbst der schöne wilde Knabe hinter dem Gartenzaune war mir nur wie ein Gespenst erschienen; auch das Sterben wurde hier ganz still besorgt. Als ich am andern Tage mit meiner Frau vorüber ging, sagte ich: „Im neuen Hause hier soll Eine zum Sterben liegen; zu leben scheint man nicht darin.“ „Dann wird sie schon gestorben sein,“ erwiderte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0011" n="7"/> Augen voll von Thränen standen; dann war es verschwunden, und ich hörte langsame Schritte in den Garten hinab.</p> <p>War das der arge Bube, von dem die Leute redeten? Nachdenklich setzte ich meine Abendwanderung fort, denn das Gesicht, welches ich eben sah, einmal mußte ich es schon gesehen haben, vor fünfzehn oder zwanzig Jahren – aber das ging ja nicht, der Knabe mochte jetzt kaum zwölfe zählen.</p> <p>Noch am Abend dieses Tages hörten wir, in dem neuen rothen Hause liege die alte Haushälterin im Sterben; aber das Haus selbst war am Nachmittage, als ich dort vorbeigegangen, in seiner gewohnten wunderlichen Einsamkeit dagestanden, die Gardinen hatten, wie immer, unbewegt hinter den blauen Vorsätzen gehangen, keinen Laut hatte ich vernommen, selbst der schöne wilde Knabe hinter dem Gartenzaune war mir nur wie ein Gespenst erschienen; auch das Sterben wurde hier ganz still besorgt.</p> <p>Als ich am andern Tage mit meiner Frau vorüber ging, sagte ich: „Im neuen Hause hier soll Eine zum Sterben liegen; zu leben scheint man nicht darin.“</p> <p>„Dann wird sie schon gestorben sein,“ erwiderte </p> </div> </body> </text> </TEI> [7/0011]
Augen voll von Thränen standen; dann war es verschwunden, und ich hörte langsame Schritte in den Garten hinab.
War das der arge Bube, von dem die Leute redeten? Nachdenklich setzte ich meine Abendwanderung fort, denn das Gesicht, welches ich eben sah, einmal mußte ich es schon gesehen haben, vor fünfzehn oder zwanzig Jahren – aber das ging ja nicht, der Knabe mochte jetzt kaum zwölfe zählen.
Noch am Abend dieses Tages hörten wir, in dem neuen rothen Hause liege die alte Haushälterin im Sterben; aber das Haus selbst war am Nachmittage, als ich dort vorbeigegangen, in seiner gewohnten wunderlichen Einsamkeit dagestanden, die Gardinen hatten, wie immer, unbewegt hinter den blauen Vorsätzen gehangen, keinen Laut hatte ich vernommen, selbst der schöne wilde Knabe hinter dem Gartenzaune war mir nur wie ein Gespenst erschienen; auch das Sterben wurde hier ganz still besorgt.
Als ich am andern Tage mit meiner Frau vorüber ging, sagte ich: „Im neuen Hause hier soll Eine zum Sterben liegen; zu leben scheint man nicht darin.“
„Dann wird sie schon gestorben sein,“ erwiderte
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/11 |
Zitationshilfe: | Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/11>, abgerufen am 16.02.2025. |