Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.in der Nähe, die ihn noch zu rechter Zeit herausholten. Mich selbst und meine Zeichenstunde, so schloß der Schullehrer seinen Bericht, wird diese Geschichte auf lange um allen Credit gebracht haben. Er stand auf und holte sich eine neue Pfeife aus der Ecke; ich blieb nachdenklich sitzen. -- Was hatte denn mich an jenes Wässerchen hinausgelockt? Die solide Desperation des armen Jungen versetzte mich in die tiefste Beschämung. So viel stand fest, ich mußte ihn kennen lernen; vielleicht daß ich ihm helfen konnte. Schulmeister, sagte ich endlich, ich bin krank gewesen, es würde mir gut thun, ein paar Wochen auf dem Lande zu leben. Könntet Ihr mir wohl Quartier geben? Daß ich ein Maler sei und allerlei für meine Mappen einzusammeln gedachte, verschwieg ich wohlweislich noch; und so war denn auch bald, wenn ich nur fürlieb nehmen wollte, ein Kämmerchen bei den kinderlosen Leuten für mich bereit. Freilich ließ ich mit einigen Kleidungsstücken auch mein Aquarellkästchen aus der Stadt kommen; aber das blieb vorläufig in dem Reisesack verborgen; auf meinen ersten Streifereien behalf ich mich mit dem Bleistift, womit ich denn noch am selben Nachmittage die Trinkgrube mit dem rettenden Lederschuh zum dankbaren Gedächtniß in mein Taschenbuch eintrug. Am Abend wagte ich mich unter die Dorfleute und endlich auch zu dem alten Kunstfeinde gegenüber, der rauchend in der großen Thorfahrt seines Hauses in der Nähe, die ihn noch zu rechter Zeit herausholten. Mich selbst und meine Zeichenstunde, so schloß der Schullehrer seinen Bericht, wird diese Geschichte auf lange um allen Credit gebracht haben. Er stand auf und holte sich eine neue Pfeife aus der Ecke; ich blieb nachdenklich sitzen. — Was hatte denn mich an jenes Wässerchen hinausgelockt? Die solide Desperation des armen Jungen versetzte mich in die tiefste Beschämung. So viel stand fest, ich mußte ihn kennen lernen; vielleicht daß ich ihm helfen konnte. Schulmeister, sagte ich endlich, ich bin krank gewesen, es würde mir gut thun, ein paar Wochen auf dem Lande zu leben. Könntet Ihr mir wohl Quartier geben? Daß ich ein Maler sei und allerlei für meine Mappen einzusammeln gedachte, verschwieg ich wohlweislich noch; und so war denn auch bald, wenn ich nur fürlieb nehmen wollte, ein Kämmerchen bei den kinderlosen Leuten für mich bereit. Freilich ließ ich mit einigen Kleidungsstücken auch mein Aquarellkästchen aus der Stadt kommen; aber das blieb vorläufig in dem Reisesack verborgen; auf meinen ersten Streifereien behalf ich mich mit dem Bleistift, womit ich denn noch am selben Nachmittage die Trinkgrube mit dem rettenden Lederschuh zum dankbaren Gedächtniß in mein Taschenbuch eintrug. Am Abend wagte ich mich unter die Dorfleute und endlich auch zu dem alten Kunstfeinde gegenüber, der rauchend in der großen Thorfahrt seines Hauses <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0039"/> in der Nähe, die ihn noch zu rechter Zeit herausholten. Mich selbst und meine Zeichenstunde, so schloß der Schullehrer seinen Bericht, wird diese Geschichte auf lange um allen Credit gebracht haben.</p><lb/> <p>Er stand auf und holte sich eine neue Pfeife aus der Ecke; ich blieb nachdenklich sitzen. — Was hatte denn mich an jenes Wässerchen hinausgelockt? Die solide Desperation des armen Jungen versetzte mich in die tiefste Beschämung. So viel stand fest, ich mußte ihn kennen lernen; vielleicht daß ich ihm helfen konnte.</p><lb/> <p>Schulmeister, sagte ich endlich, ich bin krank gewesen, es würde mir gut thun, ein paar Wochen auf dem Lande zu leben. Könntet Ihr mir wohl Quartier geben?</p><lb/> <p>Daß ich ein Maler sei und allerlei für meine Mappen einzusammeln gedachte, verschwieg ich wohlweislich noch; und so war denn auch bald, wenn ich nur fürlieb nehmen wollte, ein Kämmerchen bei den kinderlosen Leuten für mich bereit. Freilich ließ ich mit einigen Kleidungsstücken auch mein Aquarellkästchen aus der Stadt kommen; aber das blieb vorläufig in dem Reisesack verborgen; auf meinen ersten Streifereien behalf ich mich mit dem Bleistift, womit ich denn noch am selben Nachmittage die Trinkgrube mit dem rettenden Lederschuh zum dankbaren Gedächtniß in mein Taschenbuch eintrug. Am Abend wagte ich mich unter die Dorfleute und endlich auch zu dem alten Kunstfeinde gegenüber, der rauchend in der großen Thorfahrt seines Hauses<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
in der Nähe, die ihn noch zu rechter Zeit herausholten. Mich selbst und meine Zeichenstunde, so schloß der Schullehrer seinen Bericht, wird diese Geschichte auf lange um allen Credit gebracht haben.
Er stand auf und holte sich eine neue Pfeife aus der Ecke; ich blieb nachdenklich sitzen. — Was hatte denn mich an jenes Wässerchen hinausgelockt? Die solide Desperation des armen Jungen versetzte mich in die tiefste Beschämung. So viel stand fest, ich mußte ihn kennen lernen; vielleicht daß ich ihm helfen konnte.
Schulmeister, sagte ich endlich, ich bin krank gewesen, es würde mir gut thun, ein paar Wochen auf dem Lande zu leben. Könntet Ihr mir wohl Quartier geben?
Daß ich ein Maler sei und allerlei für meine Mappen einzusammeln gedachte, verschwieg ich wohlweislich noch; und so war denn auch bald, wenn ich nur fürlieb nehmen wollte, ein Kämmerchen bei den kinderlosen Leuten für mich bereit. Freilich ließ ich mit einigen Kleidungsstücken auch mein Aquarellkästchen aus der Stadt kommen; aber das blieb vorläufig in dem Reisesack verborgen; auf meinen ersten Streifereien behalf ich mich mit dem Bleistift, womit ich denn noch am selben Nachmittage die Trinkgrube mit dem rettenden Lederschuh zum dankbaren Gedächtniß in mein Taschenbuch eintrug. Am Abend wagte ich mich unter die Dorfleute und endlich auch zu dem alten Kunstfeinde gegenüber, der rauchend in der großen Thorfahrt seines Hauses
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/39>, abgerufen am 17.02.2025. |