Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Herr jetzt mit dem zweiten Schuh? -- Unter mir in den Binsen saß freilich ein großer Frosch mit seiner ganzen Gesellschaft und suchte mir die Geschichte vorzusingen. Ich merkte wohl, daß sie von Allem Bescheid wußten. Aber du weißt, ich bin immer ein schlechter Linguiste gewesen; ich verstand die Kerle nicht. Doch wie nun Alles in der Welt zu Ende geht, so ging auch diese Nacht dahin; der Morgenwind fuhr über die Felder und weckte alle Kreaturen; und als die ersten Lerchen aufstiegen, erschien auch die Sonne am Horizont und beleuchtete mich in all meiner Unsauberkeit; ich konnte es nun deutlich an meinen Kleidern nachbuchstabiren, daß ich nicht bloß durch Hecken und Dornen, sondern auch durch Sümpfe und Gräben hierher gelangt sein mußte. Es schauderte mich ein wenig, ich weiß nicht mehr, ob vor Kälte oder Scham, und ich machte mich daran, die Spuren meiner Thorheit nach Möglichkeit zu vertilgen. Dann stieg ich auf den Wall des Grundstücks, um eine vernünftige Landstraße zu erspähen; und nachdem ich nicht nur diese, sondern zu Ende derselben auch ein Dorf unter grünen Bäumen entdeckt hatte, marschirte ich bald zwischen wohl numerirten Chausseesteinen wie ein verständiger Mann, der die Kühle der ersten Frühe zu seiner Wanderung benutzt. In dem Dorfe, das ich dann erreichte, war eben das Tagesleben angebrochen; ich hörte in den Gehöften die Leute zu ihren Pferden reden, die zur Heufuhr an die Wagen gespannt wurden. Mitten in der Dorfstraße, Herr jetzt mit dem zweiten Schuh? — Unter mir in den Binsen saß freilich ein großer Frosch mit seiner ganzen Gesellschaft und suchte mir die Geschichte vorzusingen. Ich merkte wohl, daß sie von Allem Bescheid wußten. Aber du weißt, ich bin immer ein schlechter Linguiste gewesen; ich verstand die Kerle nicht. Doch wie nun Alles in der Welt zu Ende geht, so ging auch diese Nacht dahin; der Morgenwind fuhr über die Felder und weckte alle Kreaturen; und als die ersten Lerchen aufstiegen, erschien auch die Sonne am Horizont und beleuchtete mich in all meiner Unsauberkeit; ich konnte es nun deutlich an meinen Kleidern nachbuchstabiren, daß ich nicht bloß durch Hecken und Dornen, sondern auch durch Sümpfe und Gräben hierher gelangt sein mußte. Es schauderte mich ein wenig, ich weiß nicht mehr, ob vor Kälte oder Scham, und ich machte mich daran, die Spuren meiner Thorheit nach Möglichkeit zu vertilgen. Dann stieg ich auf den Wall des Grundstücks, um eine vernünftige Landstraße zu erspähen; und nachdem ich nicht nur diese, sondern zu Ende derselben auch ein Dorf unter grünen Bäumen entdeckt hatte, marschirte ich bald zwischen wohl numerirten Chausseesteinen wie ein verständiger Mann, der die Kühle der ersten Frühe zu seiner Wanderung benutzt. In dem Dorfe, das ich dann erreichte, war eben das Tagesleben angebrochen; ich hörte in den Gehöften die Leute zu ihren Pferden reden, die zur Heufuhr an die Wagen gespannt wurden. Mitten in der Dorfstraße, <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0036"/> Herr jetzt mit dem zweiten Schuh? — Unter mir in den Binsen saß freilich ein großer Frosch mit seiner ganzen Gesellschaft und suchte mir die Geschichte vorzusingen. Ich merkte wohl, daß sie von Allem Bescheid wußten. Aber du weißt, ich bin immer ein schlechter Linguiste gewesen; ich verstand die Kerle nicht. Doch wie nun Alles in der Welt zu Ende geht, so ging auch diese Nacht dahin; der Morgenwind fuhr über die Felder und weckte alle Kreaturen; und als die ersten Lerchen aufstiegen, erschien auch die Sonne am Horizont und beleuchtete mich in all meiner Unsauberkeit; ich konnte es nun deutlich an meinen Kleidern nachbuchstabiren, daß ich nicht bloß durch Hecken und Dornen, sondern auch durch Sümpfe und Gräben hierher gelangt sein mußte. Es schauderte mich ein wenig, ich weiß nicht mehr, ob vor Kälte oder Scham, und ich machte mich daran, die Spuren meiner Thorheit nach Möglichkeit zu vertilgen. Dann stieg ich auf den Wall des Grundstücks, um eine vernünftige Landstraße zu erspähen; und nachdem ich nicht nur diese, sondern zu Ende derselben auch ein Dorf unter grünen Bäumen entdeckt hatte, marschirte ich bald zwischen wohl numerirten Chausseesteinen wie ein verständiger Mann, der die Kühle der ersten Frühe zu seiner Wanderung benutzt.</p><lb/> <p>In dem Dorfe, das ich dann erreichte, war eben das Tagesleben angebrochen; ich hörte in den Gehöften die Leute zu ihren Pferden reden, die zur Heufuhr an die Wagen gespannt wurden. Mitten in der Dorfstraße,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
Herr jetzt mit dem zweiten Schuh? — Unter mir in den Binsen saß freilich ein großer Frosch mit seiner ganzen Gesellschaft und suchte mir die Geschichte vorzusingen. Ich merkte wohl, daß sie von Allem Bescheid wußten. Aber du weißt, ich bin immer ein schlechter Linguiste gewesen; ich verstand die Kerle nicht. Doch wie nun Alles in der Welt zu Ende geht, so ging auch diese Nacht dahin; der Morgenwind fuhr über die Felder und weckte alle Kreaturen; und als die ersten Lerchen aufstiegen, erschien auch die Sonne am Horizont und beleuchtete mich in all meiner Unsauberkeit; ich konnte es nun deutlich an meinen Kleidern nachbuchstabiren, daß ich nicht bloß durch Hecken und Dornen, sondern auch durch Sümpfe und Gräben hierher gelangt sein mußte. Es schauderte mich ein wenig, ich weiß nicht mehr, ob vor Kälte oder Scham, und ich machte mich daran, die Spuren meiner Thorheit nach Möglichkeit zu vertilgen. Dann stieg ich auf den Wall des Grundstücks, um eine vernünftige Landstraße zu erspähen; und nachdem ich nicht nur diese, sondern zu Ende derselben auch ein Dorf unter grünen Bäumen entdeckt hatte, marschirte ich bald zwischen wohl numerirten Chausseesteinen wie ein verständiger Mann, der die Kühle der ersten Frühe zu seiner Wanderung benutzt.
In dem Dorfe, das ich dann erreichte, war eben das Tagesleben angebrochen; ich hörte in den Gehöften die Leute zu ihren Pferden reden, die zur Heufuhr an die Wagen gespannt wurden. Mitten in der Dorfstraße,
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/36>, abgerufen am 16.02.2025. |