Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.fortzugehen, ergriff sie meine Hand. Bleib, Arnold! Ich will's dir ja sagen, hab doch nur Geduld! Nun so sprich, Gertrud. Aber sie schlug die Hände vors Gesicht: Nein, ich kann's nicht! rief sie. Weßhalb nicht? Bin ich nicht dein alter Kamerad? Arnold -- ich schäme mich. -- Nein, bleib, geh nicht, ich ersticke sonst daran. Nun, Gertrud, wer ist es denn, der dich so erschrecken kann? Sie sah mich eine Weile unentschlossen an, dann, mit einer raschen Bewegung zu mir tretend, brachte sie den Mund dicht an mein Ohr und rief mit einem Ton des Abscheues: Der Bucklige! Mein armer Freund! Ich wußte weiter nichts zu sagen, obgleich es mir seit der letzten halben Stunde nichts Neues war, was ich erfuhr. Gertrud nickte: Er hat so gute Augen! sagte sie. O, ich weiß es ja, es ist so schlecht von mir! und dabei fing sie bitterlich zu weinen an. Nachdem ich sie etwas beruhigt hatte, bat ich sie, noch ein paar Augenblicke hier zu verweilen; ich wollte, ehe sie dorthin zurückkehrte, den kleinen Maler aus dem Kinderkreise zu entfernen suchen. Gertrud war damit einverstanden. Als ich aber kaum ein paar Schritte in die Bäume hinein gethan hatte, sah ich nicht weit von mir eine arme gebrechliche Gestalt an einen Baum gelehnt. fortzugehen, ergriff sie meine Hand. Bleib, Arnold! Ich will's dir ja sagen, hab doch nur Geduld! Nun so sprich, Gertrud. Aber sie schlug die Hände vors Gesicht: Nein, ich kann's nicht! rief sie. Weßhalb nicht? Bin ich nicht dein alter Kamerad? Arnold — ich schäme mich. — Nein, bleib, geh nicht, ich ersticke sonst daran. Nun, Gertrud, wer ist es denn, der dich so erschrecken kann? Sie sah mich eine Weile unentschlossen an, dann, mit einer raschen Bewegung zu mir tretend, brachte sie den Mund dicht an mein Ohr und rief mit einem Ton des Abscheues: Der Bucklige! Mein armer Freund! Ich wußte weiter nichts zu sagen, obgleich es mir seit der letzten halben Stunde nichts Neues war, was ich erfuhr. Gertrud nickte: Er hat so gute Augen! sagte sie. O, ich weiß es ja, es ist so schlecht von mir! und dabei fing sie bitterlich zu weinen an. Nachdem ich sie etwas beruhigt hatte, bat ich sie, noch ein paar Augenblicke hier zu verweilen; ich wollte, ehe sie dorthin zurückkehrte, den kleinen Maler aus dem Kinderkreise zu entfernen suchen. Gertrud war damit einverstanden. Als ich aber kaum ein paar Schritte in die Bäume hinein gethan hatte, sah ich nicht weit von mir eine arme gebrechliche Gestalt an einen Baum gelehnt. <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0026"/> fortzugehen, ergriff sie meine Hand. Bleib, Arnold! Ich will's dir ja sagen, hab doch nur Geduld!</p><lb/> <p>Nun so sprich, Gertrud.</p><lb/> <p>Aber sie schlug die Hände vors Gesicht: Nein, ich kann's nicht! rief sie.</p><lb/> <p>Weßhalb nicht? Bin ich nicht dein alter Kamerad?</p><lb/> <p>Arnold — ich schäme mich. — Nein, bleib, geh nicht, ich ersticke sonst daran.</p><lb/> <p>Nun, Gertrud, wer ist es denn, der dich so erschrecken kann?</p><lb/> <p>Sie sah mich eine Weile unentschlossen an, dann, mit einer raschen Bewegung zu mir tretend, brachte sie den Mund dicht an mein Ohr und rief mit einem Ton des Abscheues: Der Bucklige!</p><lb/> <p>Mein armer Freund! Ich wußte weiter nichts zu sagen, obgleich es mir seit der letzten halben Stunde nichts Neues war, was ich erfuhr.</p><lb/> <p>Gertrud nickte: Er hat so gute Augen! sagte sie. O, ich weiß es ja, es ist so schlecht von mir! und dabei fing sie bitterlich zu weinen an.</p><lb/> <p>Nachdem ich sie etwas beruhigt hatte, bat ich sie, noch ein paar Augenblicke hier zu verweilen; ich wollte, ehe sie dorthin zurückkehrte, den kleinen Maler aus dem Kinderkreise zu entfernen suchen. Gertrud war damit einverstanden. Als ich aber kaum ein paar Schritte in die Bäume hinein gethan hatte, sah ich nicht weit von mir eine arme gebrechliche Gestalt an einen Baum gelehnt.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
fortzugehen, ergriff sie meine Hand. Bleib, Arnold! Ich will's dir ja sagen, hab doch nur Geduld!
Nun so sprich, Gertrud.
Aber sie schlug die Hände vors Gesicht: Nein, ich kann's nicht! rief sie.
Weßhalb nicht? Bin ich nicht dein alter Kamerad?
Arnold — ich schäme mich. — Nein, bleib, geh nicht, ich ersticke sonst daran.
Nun, Gertrud, wer ist es denn, der dich so erschrecken kann?
Sie sah mich eine Weile unentschlossen an, dann, mit einer raschen Bewegung zu mir tretend, brachte sie den Mund dicht an mein Ohr und rief mit einem Ton des Abscheues: Der Bucklige!
Mein armer Freund! Ich wußte weiter nichts zu sagen, obgleich es mir seit der letzten halben Stunde nichts Neues war, was ich erfuhr.
Gertrud nickte: Er hat so gute Augen! sagte sie. O, ich weiß es ja, es ist so schlecht von mir! und dabei fing sie bitterlich zu weinen an.
Nachdem ich sie etwas beruhigt hatte, bat ich sie, noch ein paar Augenblicke hier zu verweilen; ich wollte, ehe sie dorthin zurückkehrte, den kleinen Maler aus dem Kinderkreise zu entfernen suchen. Gertrud war damit einverstanden. Als ich aber kaum ein paar Schritte in die Bäume hinein gethan hatte, sah ich nicht weit von mir eine arme gebrechliche Gestalt an einen Baum gelehnt.
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/26>, abgerufen am 25.07.2024. |