Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

der Prinzessin die weiße Rose aus ihrem blonden Haar und wehte sie fort in die Nacht, die hinter ihnen heraufstieg. Einen Augenblick stand sie still und schloß ihre schönen blauen Augen, und als das Ungeheuer seinen ungestalten Kopf nach ihr umwandte, sah es nur die langen schwarzen Wimpern auf ihren zarten Wangen liegen. Da streckte es seine Tatze aus und zupfte damit an ihrem weißen Kleide. -- Machen Sie nicht so entsetzte Augen, Fräulein Gertrud! Das arme Ungeheuer hatte ja nichts als seine Tatzen. -- Aber freilich, als die Prinzessin aufsah, da schauderte sie und grub, wie sie zu thun pflegte, mit ihren weißen Zähnchen in die Lippe, daß sie blutete.

Die Kinder sahen alle auf Gertrud; denn, wie sie mir später vorplauderten, hatten sie gemeint, daß die Prinzessin mit jedem Zuge ihrer jungen Freundin ähnlicher würde. Auch schien der Erzähler, obgleich er vor sich in das Moos blickte, seine Worte nur an sie zu richten. -- Das. fuhr er fort, erbarmte das Ungeheuer, und es wollte ihr ein tröstliches Wort zusprechen; denn ihr wißt es wohl, es war selbst nur ein armer verwünschter Prinz. Aber der Laut, der aus seiner Seele fuhr, war so heiser, als hätte die schwarze Wildniß selbst das Geheul ausgestoßen. Da fiel die Prinzessin vor ihm in die Kniee und sah ihn mit entsetzten Augen an, und das Ungeheuer stieß abermals ein Geheul aus, weit grausenhafter als vorhin; denn es war der Schrei einer armen Seele, die nach Erlösung ringt. Es fühlte die

der Prinzessin die weiße Rose aus ihrem blonden Haar und wehte sie fort in die Nacht, die hinter ihnen heraufstieg. Einen Augenblick stand sie still und schloß ihre schönen blauen Augen, und als das Ungeheuer seinen ungestalten Kopf nach ihr umwandte, sah es nur die langen schwarzen Wimpern auf ihren zarten Wangen liegen. Da streckte es seine Tatze aus und zupfte damit an ihrem weißen Kleide. — Machen Sie nicht so entsetzte Augen, Fräulein Gertrud! Das arme Ungeheuer hatte ja nichts als seine Tatzen. — Aber freilich, als die Prinzessin aufsah, da schauderte sie und grub, wie sie zu thun pflegte, mit ihren weißen Zähnchen in die Lippe, daß sie blutete.

Die Kinder sahen alle auf Gertrud; denn, wie sie mir später vorplauderten, hatten sie gemeint, daß die Prinzessin mit jedem Zuge ihrer jungen Freundin ähnlicher würde. Auch schien der Erzähler, obgleich er vor sich in das Moos blickte, seine Worte nur an sie zu richten. — Das. fuhr er fort, erbarmte das Ungeheuer, und es wollte ihr ein tröstliches Wort zusprechen; denn ihr wißt es wohl, es war selbst nur ein armer verwünschter Prinz. Aber der Laut, der aus seiner Seele fuhr, war so heiser, als hätte die schwarze Wildniß selbst das Geheul ausgestoßen. Da fiel die Prinzessin vor ihm in die Kniee und sah ihn mit entsetzten Augen an, und das Ungeheuer stieß abermals ein Geheul aus, weit grausenhafter als vorhin; denn es war der Schrei einer armen Seele, die nach Erlösung ringt. Es fühlte die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0024"/>
der Prinzessin die weiße Rose aus ihrem blonden Haar und wehte sie      fort in die Nacht, die hinter ihnen heraufstieg. Einen Augenblick stand sie still und schloß      ihre schönen blauen Augen, und als das Ungeheuer seinen ungestalten Kopf nach ihr umwandte, sah      es nur die langen schwarzen Wimpern auf ihren zarten Wangen liegen. Da streckte es seine Tatze      aus und zupfte damit an ihrem weißen Kleide. &#x2014; Machen Sie nicht so entsetzte Augen, Fräulein      Gertrud! Das arme Ungeheuer hatte ja nichts als seine Tatzen. &#x2014; Aber freilich, als die      Prinzessin aufsah, da schauderte sie und grub, wie sie zu thun pflegte, mit ihren weißen      Zähnchen in die Lippe, daß sie blutete.</p><lb/>
        <p>Die Kinder sahen alle auf Gertrud; denn, wie sie mir später vorplauderten, hatten sie      gemeint, daß die Prinzessin mit jedem Zuge ihrer jungen Freundin ähnlicher würde. Auch schien      der Erzähler, obgleich er vor sich in das Moos blickte, seine Worte nur an sie zu richten. &#x2014;      Das. fuhr er fort, erbarmte das Ungeheuer, und es wollte ihr ein tröstliches Wort zusprechen;      denn ihr wißt es wohl, es war selbst nur ein armer verwünschter Prinz. Aber der Laut, der aus      seiner Seele fuhr, war so heiser, als hätte die schwarze Wildniß selbst das Geheul ausgestoßen.      Da fiel die Prinzessin vor ihm in die Kniee und sah ihn mit entsetzten Augen an, und das      Ungeheuer stieß abermals ein Geheul aus, weit grausenhafter als vorhin; denn es war der Schrei      einer armen Seele, die nach Erlösung ringt. Es fühlte die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] der Prinzessin die weiße Rose aus ihrem blonden Haar und wehte sie fort in die Nacht, die hinter ihnen heraufstieg. Einen Augenblick stand sie still und schloß ihre schönen blauen Augen, und als das Ungeheuer seinen ungestalten Kopf nach ihr umwandte, sah es nur die langen schwarzen Wimpern auf ihren zarten Wangen liegen. Da streckte es seine Tatze aus und zupfte damit an ihrem weißen Kleide. — Machen Sie nicht so entsetzte Augen, Fräulein Gertrud! Das arme Ungeheuer hatte ja nichts als seine Tatzen. — Aber freilich, als die Prinzessin aufsah, da schauderte sie und grub, wie sie zu thun pflegte, mit ihren weißen Zähnchen in die Lippe, daß sie blutete. Die Kinder sahen alle auf Gertrud; denn, wie sie mir später vorplauderten, hatten sie gemeint, daß die Prinzessin mit jedem Zuge ihrer jungen Freundin ähnlicher würde. Auch schien der Erzähler, obgleich er vor sich in das Moos blickte, seine Worte nur an sie zu richten. — Das. fuhr er fort, erbarmte das Ungeheuer, und es wollte ihr ein tröstliches Wort zusprechen; denn ihr wißt es wohl, es war selbst nur ein armer verwünschter Prinz. Aber der Laut, der aus seiner Seele fuhr, war so heiser, als hätte die schwarze Wildniß selbst das Geheul ausgestoßen. Da fiel die Prinzessin vor ihm in die Kniee und sah ihn mit entsetzten Augen an, und das Ungeheuer stieß abermals ein Geheul aus, weit grausenhafter als vorhin; denn es war der Schrei einer armen Seele, die nach Erlösung ringt. Es fühlte die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:17:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:17:45Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/24
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/24>, abgerufen am 24.11.2024.