Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Maler und setzte seinem Hengst die Fersen in die Weichen. Rübezahl, Rübezahl! schrieen die Kinder, und lachend setzte sich der Zug aufs Neue in Bewegung. Endlich war die Teufelskanzel erreicht. Sie war nicht unbefugt, diesen Namen zu führen; lothrecht schoß der Fels über hundert Klafter in die Tiefe, wo sich unten im Sonnenglanz die lachendste Landschaft ausbreitete. Durch grüne Wiesen, an Dörfern und Wäldern vorbei, floß in vielen Krümmungen ein glänzender Strom, dessen Rauschen in der Mittagsstille zu uns heraufklang, und drüber her, in gleicher Höhe mit uns, standen die Lerchen flügelschlagend in der Luft und mischten ihren Gesang in die Musik der Wellen. Wer dessen noch fähig war, der mußte hier von Lebens- und Liebeslust bestürmt werden. Brunken, dessen Mähre einem der Bauerburschen zur Obhut übergeben war, stand neben mir und starrte wie verzaubert in die Tiefe. Arnold, sagte er und drückte mir die Hand, das Leben ist doch schön! Nach dem Frühstück stieg der Assessor mit einigen anderen Herren auf einem Umwege den Berg hinab, um eine von unten heraufschimmernde Marmorader zu untersuchen, die Uebrigen blieben noch auf der Lagerstelle; Brunken und ich schlenderten in den Wald hinein. Während ich mich hier an einer freien Stelle ins Moos warf, befiel ihn die Kletterlust seiner Jugend; ich sah ihn über mir an einer jungen Buche wie eine große Maler und setzte seinem Hengst die Fersen in die Weichen. Rübezahl, Rübezahl! schrieen die Kinder, und lachend setzte sich der Zug aufs Neue in Bewegung. Endlich war die Teufelskanzel erreicht. Sie war nicht unbefugt, diesen Namen zu führen; lothrecht schoß der Fels über hundert Klafter in die Tiefe, wo sich unten im Sonnenglanz die lachendste Landschaft ausbreitete. Durch grüne Wiesen, an Dörfern und Wäldern vorbei, floß in vielen Krümmungen ein glänzender Strom, dessen Rauschen in der Mittagsstille zu uns heraufklang, und drüber her, in gleicher Höhe mit uns, standen die Lerchen flügelschlagend in der Luft und mischten ihren Gesang in die Musik der Wellen. Wer dessen noch fähig war, der mußte hier von Lebens- und Liebeslust bestürmt werden. Brunken, dessen Mähre einem der Bauerburschen zur Obhut übergeben war, stand neben mir und starrte wie verzaubert in die Tiefe. Arnold, sagte er und drückte mir die Hand, das Leben ist doch schön! Nach dem Frühstück stieg der Assessor mit einigen anderen Herren auf einem Umwege den Berg hinab, um eine von unten heraufschimmernde Marmorader zu untersuchen, die Uebrigen blieben noch auf der Lagerstelle; Brunken und ich schlenderten in den Wald hinein. Während ich mich hier an einer freien Stelle ins Moos warf, befiel ihn die Kletterlust seiner Jugend; ich sah ihn über mir an einer jungen Buche wie eine große <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0020"/> Maler und setzte seinem Hengst die Fersen in die Weichen.</p><lb/> <p>Rübezahl, Rübezahl! schrieen die Kinder, und lachend setzte sich der Zug aufs Neue in Bewegung. Endlich war die Teufelskanzel erreicht. Sie war nicht unbefugt, diesen Namen zu führen; lothrecht schoß der Fels über hundert Klafter in die Tiefe, wo sich unten im Sonnenglanz die lachendste Landschaft ausbreitete. Durch grüne Wiesen, an Dörfern und Wäldern vorbei, floß in vielen Krümmungen ein glänzender Strom, dessen Rauschen in der Mittagsstille zu uns heraufklang, und drüber her, in gleicher Höhe mit uns, standen die Lerchen flügelschlagend in der Luft und mischten ihren Gesang in die Musik der Wellen. Wer dessen noch fähig war, der mußte hier von Lebens- und Liebeslust bestürmt werden. Brunken, dessen Mähre einem der Bauerburschen zur Obhut übergeben war, stand neben mir und starrte wie verzaubert in die Tiefe.</p><lb/> <p>Arnold, sagte er und drückte mir die Hand, das Leben ist doch schön!</p><lb/> <p>Nach dem Frühstück stieg der Assessor mit einigen anderen Herren auf einem Umwege den Berg hinab, um eine von unten heraufschimmernde Marmorader zu untersuchen, die Uebrigen blieben noch auf der Lagerstelle; Brunken und ich schlenderten in den Wald hinein. Während ich mich hier an einer freien Stelle ins Moos warf, befiel ihn die Kletterlust seiner Jugend; ich sah ihn über mir an einer jungen Buche wie eine große<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
Maler und setzte seinem Hengst die Fersen in die Weichen.
Rübezahl, Rübezahl! schrieen die Kinder, und lachend setzte sich der Zug aufs Neue in Bewegung. Endlich war die Teufelskanzel erreicht. Sie war nicht unbefugt, diesen Namen zu führen; lothrecht schoß der Fels über hundert Klafter in die Tiefe, wo sich unten im Sonnenglanz die lachendste Landschaft ausbreitete. Durch grüne Wiesen, an Dörfern und Wäldern vorbei, floß in vielen Krümmungen ein glänzender Strom, dessen Rauschen in der Mittagsstille zu uns heraufklang, und drüber her, in gleicher Höhe mit uns, standen die Lerchen flügelschlagend in der Luft und mischten ihren Gesang in die Musik der Wellen. Wer dessen noch fähig war, der mußte hier von Lebens- und Liebeslust bestürmt werden. Brunken, dessen Mähre einem der Bauerburschen zur Obhut übergeben war, stand neben mir und starrte wie verzaubert in die Tiefe.
Arnold, sagte er und drückte mir die Hand, das Leben ist doch schön!
Nach dem Frühstück stieg der Assessor mit einigen anderen Herren auf einem Umwege den Berg hinab, um eine von unten heraufschimmernde Marmorader zu untersuchen, die Uebrigen blieben noch auf der Lagerstelle; Brunken und ich schlenderten in den Wald hinein. Während ich mich hier an einer freien Stelle ins Moos warf, befiel ihn die Kletterlust seiner Jugend; ich sah ihn über mir an einer jungen Buche wie eine große
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/20>, abgerufen am 16.02.2025. |