Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.welche mit der Natur in Zwiespalt leben. Zuweilen, wenn sein Herz ins Spiel kam -- und dieser Muskel war bei ihm sehr stark vertreten -- ließ er sich zu einem für seine äußere Erscheinung bedenklichen Pathos hinreißen und konnte dadurch einem wohlgewachsenen Gegner die gefährlichsten Blößen geben. Bei einer solchen Gelegenheit lernte ich ihn kennen. Wir saßen eines Abends, eine bunte Gesellschaft von Künstlern, jungen Juristen und Regierungsbeamten in einem Kaffeehause, und wie gewöhnlich bildeten Politik und sociale Fragen das Thema des Gespräches. An meiner Seite saß der mir damals noch wenig bekannte kleine Maler, ihm gegenüber ein Regierungsassessor, ein junger Mann mit einer Brille und einem blonden Fuchskopf, den ich mitunter in dem gastfreien Hause meines Onkels gesehen hatte. Dieser -- er ist seitdem übrigens mein Vetter geworden -- schien auf die eifrigen Verhandlungen der Andern nur wie auf eine Art Komödie herabzusehen, die ihn in einem müßigen Augenblicke unterhalten durfte. Im Laufe des Gespräches kam man auf den Paß- und Reisezwang, vermöge dessen die jungen Handwerker noch immer als präsumtiv verdächtige Subjecte von einem Polizeiamt an das andere geschickt würden; und es erhob sich ein lebhafter Sturm dagegen. Als auch mein kleiner Nachbar seine sittliche Entrüstung in gleichem Sinne kundgegeben, bemerkte der Assessor, nachdem er ihn erst eine Weile durch seine Brillengläser fixirt hatte: Aber, so viel ich weiß, Herr welche mit der Natur in Zwiespalt leben. Zuweilen, wenn sein Herz ins Spiel kam — und dieser Muskel war bei ihm sehr stark vertreten — ließ er sich zu einem für seine äußere Erscheinung bedenklichen Pathos hinreißen und konnte dadurch einem wohlgewachsenen Gegner die gefährlichsten Blößen geben. Bei einer solchen Gelegenheit lernte ich ihn kennen. Wir saßen eines Abends, eine bunte Gesellschaft von Künstlern, jungen Juristen und Regierungsbeamten in einem Kaffeehause, und wie gewöhnlich bildeten Politik und sociale Fragen das Thema des Gespräches. An meiner Seite saß der mir damals noch wenig bekannte kleine Maler, ihm gegenüber ein Regierungsassessor, ein junger Mann mit einer Brille und einem blonden Fuchskopf, den ich mitunter in dem gastfreien Hause meines Onkels gesehen hatte. Dieser — er ist seitdem übrigens mein Vetter geworden — schien auf die eifrigen Verhandlungen der Andern nur wie auf eine Art Komödie herabzusehen, die ihn in einem müßigen Augenblicke unterhalten durfte. Im Laufe des Gespräches kam man auf den Paß- und Reisezwang, vermöge dessen die jungen Handwerker noch immer als präsumtiv verdächtige Subjecte von einem Polizeiamt an das andere geschickt würden; und es erhob sich ein lebhafter Sturm dagegen. Als auch mein kleiner Nachbar seine sittliche Entrüstung in gleichem Sinne kundgegeben, bemerkte der Assessor, nachdem er ihn erst eine Weile durch seine Brillengläser fixirt hatte: Aber, so viel ich weiß, Herr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0012"/> welche mit der Natur in Zwiespalt leben. Zuweilen, wenn sein Herz ins Spiel kam — und dieser Muskel war bei ihm sehr stark vertreten — ließ er sich zu einem für seine äußere Erscheinung bedenklichen Pathos hinreißen und konnte dadurch einem wohlgewachsenen Gegner die gefährlichsten Blößen geben.</p><lb/> <p>Bei einer solchen Gelegenheit lernte ich ihn kennen.</p><lb/> <p>Wir saßen eines Abends, eine bunte Gesellschaft von Künstlern, jungen Juristen und Regierungsbeamten in einem Kaffeehause, und wie gewöhnlich bildeten Politik und sociale Fragen das Thema des Gespräches. An meiner Seite saß der mir damals noch wenig bekannte kleine Maler, ihm gegenüber ein Regierungsassessor, ein junger Mann mit einer Brille und einem blonden Fuchskopf, den ich mitunter in dem gastfreien Hause meines Onkels gesehen hatte. Dieser — er ist seitdem übrigens mein Vetter geworden — schien auf die eifrigen Verhandlungen der Andern nur wie auf eine Art Komödie herabzusehen, die ihn in einem müßigen Augenblicke unterhalten durfte. Im Laufe des Gespräches kam man auf den Paß- und Reisezwang, vermöge dessen die jungen Handwerker noch immer als präsumtiv verdächtige Subjecte von einem Polizeiamt an das andere geschickt würden; und es erhob sich ein lebhafter Sturm dagegen. Als auch mein kleiner Nachbar seine sittliche Entrüstung in gleichem Sinne kundgegeben, bemerkte der Assessor, nachdem er ihn erst eine Weile durch seine Brillengläser fixirt hatte: Aber, so viel ich weiß, Herr<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
welche mit der Natur in Zwiespalt leben. Zuweilen, wenn sein Herz ins Spiel kam — und dieser Muskel war bei ihm sehr stark vertreten — ließ er sich zu einem für seine äußere Erscheinung bedenklichen Pathos hinreißen und konnte dadurch einem wohlgewachsenen Gegner die gefährlichsten Blößen geben.
Bei einer solchen Gelegenheit lernte ich ihn kennen.
Wir saßen eines Abends, eine bunte Gesellschaft von Künstlern, jungen Juristen und Regierungsbeamten in einem Kaffeehause, und wie gewöhnlich bildeten Politik und sociale Fragen das Thema des Gespräches. An meiner Seite saß der mir damals noch wenig bekannte kleine Maler, ihm gegenüber ein Regierungsassessor, ein junger Mann mit einer Brille und einem blonden Fuchskopf, den ich mitunter in dem gastfreien Hause meines Onkels gesehen hatte. Dieser — er ist seitdem übrigens mein Vetter geworden — schien auf die eifrigen Verhandlungen der Andern nur wie auf eine Art Komödie herabzusehen, die ihn in einem müßigen Augenblicke unterhalten durfte. Im Laufe des Gespräches kam man auf den Paß- und Reisezwang, vermöge dessen die jungen Handwerker noch immer als präsumtiv verdächtige Subjecte von einem Polizeiamt an das andere geschickt würden; und es erhob sich ein lebhafter Sturm dagegen. Als auch mein kleiner Nachbar seine sittliche Entrüstung in gleichem Sinne kundgegeben, bemerkte der Assessor, nachdem er ihn erst eine Weile durch seine Brillengläser fixirt hatte: Aber, so viel ich weiß, Herr
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/12>, abgerufen am 25.07.2024. |