Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.Während der Ueberfahrt ließ Elisabeth ihre Hand Auf dem Hofe angekommen trafen sie einen Schee¬ Während der Ueberfahrt ließ Eliſabeth ihre Hand Auf dem Hofe angekommen trafen ſie einen Schee¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0062" n="56"/> <p>Während der Ueberfahrt ließ Eliſabeth ihre Hand<lb/> auf dem Rande des Kahnes ruhen. Er blickte beim<lb/> Rudern zu ihr hinüber; ſie aber ſah an ihm vorbei in<lb/> die Ferne. So glitt ſein Blick herunter und blieb auf<lb/> ihrer Hand; und dieſe blaſſe Hand verrieth ihm, was<lb/> ihr Antlitz ihm verſchwiegen hatte. Er ſah auf ihr<lb/> jenen feinen Zug geheimen Schmerzes, der ſich ſo gern<lb/> ſchöner Frauenhände bemächtigt, die Nachts auf<lb/> krankem Herzen liegen. — Als Eliſabeth ſein Auge<lb/> auf ihrer Hand ruhen fühlte, ließ ſie ſie langſam über<lb/> Bord ins Waſſer gleiten.</p><lb/> <p>Auf dem Hofe angekommen trafen ſie einen Schee¬<lb/> renſchleiferkarren vor dem Herrenhauſe; ein Mann<lb/> mit ſchwarzen, niederhängenden Locken trat emſig das<lb/> Rad und ſummte eine Zigeunermelodie zwiſchen den<lb/> Zähnen, während ein eingeſchirrter Hund ſchnaufend<lb/> daneben lag. Auf dem Hausflur ſtand in Lumpen<lb/> gehüllt ein Mädchen mit verſtörten ſchönen Zügen und<lb/> ſtreckte bettelnd die Hand gegen Eliſabeth aus. Rein¬<lb/> hardt griff in ſeine Taſche; aber Eliſabeth kam ihm<lb/> zuvor und ſchüttete haſtig den ganzen Inhalt ihrer<lb/> Börſe in die offene Hand der Bettlerin. Dann wandte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [56/0062]
Während der Ueberfahrt ließ Eliſabeth ihre Hand
auf dem Rande des Kahnes ruhen. Er blickte beim
Rudern zu ihr hinüber; ſie aber ſah an ihm vorbei in
die Ferne. So glitt ſein Blick herunter und blieb auf
ihrer Hand; und dieſe blaſſe Hand verrieth ihm, was
ihr Antlitz ihm verſchwiegen hatte. Er ſah auf ihr
jenen feinen Zug geheimen Schmerzes, der ſich ſo gern
ſchöner Frauenhände bemächtigt, die Nachts auf
krankem Herzen liegen. — Als Eliſabeth ſein Auge
auf ihrer Hand ruhen fühlte, ließ ſie ſie langſam über
Bord ins Waſſer gleiten.
Auf dem Hofe angekommen trafen ſie einen Schee¬
renſchleiferkarren vor dem Herrenhauſe; ein Mann
mit ſchwarzen, niederhängenden Locken trat emſig das
Rad und ſummte eine Zigeunermelodie zwiſchen den
Zähnen, während ein eingeſchirrter Hund ſchnaufend
daneben lag. Auf dem Hausflur ſtand in Lumpen
gehüllt ein Mädchen mit verſtörten ſchönen Zügen und
ſtreckte bettelnd die Hand gegen Eliſabeth aus. Rein¬
hardt griff in ſeine Taſche; aber Eliſabeth kam ihm
zuvor und ſchüttete haſtig den ganzen Inhalt ihrer
Börſe in die offene Hand der Bettlerin. Dann wandte
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